Die Fürstin von nebenan
Toleranz ist eine löbliche Eigenschaft, die den meisten Menschen aber erst mühsam eingeprügelt werden muss. Froh darf man sein, wenn man in seiner Nachbarschaft einen moralischen Kompass hat, der nicht dadurch an Genauigkeit verliert, dass er über die Krümmung des Horizonts hinausweisen will.
Ach ja, die Fürstin. Die Gloria und ich, ich und die Gloria, was soll ich sagen – wir beide, tja, uns verbindet ja eine lange gemeinsame Vergangenheit. Wir gehen sozusagen way back, wie man so sagt. Ich wohne nämlich quasi gegenüber, ein bisschen hinter dem Emmeramsplatz, und als ich 1993 eingezogen bin, wollte ich natürlich als guter Nachbar mal kurz bei ihr vorbeischauen und mich vorstellen.
Sie war zwar grade nicht daheim, aber meinen schönen Gruß hat sie bestimmt ausgerichtet gekriegt, und weil sie ja auch sehr auf gute Manieren Wert legt, hat das bei ihr definitiv großen Eindruck gemacht. Seither, was soll man sagen, man hat ja beiderseitig die Zeit nicht, um sich jetzt dauernd zu sehen. Aber ich hatte auch nie das Gefühl, dass unsere Freundschaft darauf beruht, andauernd was miteinander unternehmen zu müssen. Das geht einfach tiefer, da langt es auch, wenn man sich mal so alle zehn, 15 Jahre auf der Straße sieht.