Gemeinschaftsunterkünfte sind gefährliche Orte
Die Corona-Ausbrüche in einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge sowie im Ankerzentrum in Regensburg belegen erneut die hohe Infektionsgefahr, die in „Masseneinrichtungen“ herrscht. Bemerkenswert: Fast die Hälfte aller Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften in Regensburg dürfte ausziehen – aber sie finden, wie so viele andere, keine bezahlbare Wohnung.
„Wir müssen mit den Einrichtungen so wie sie sind zurechtkommen und unternehmen alles, um die Krise zu meistern.“ Unter anderem mit diesem Satz wirbt die Regierung der Oberpfalz in einer Stellungnahme gegenüber unserer Redaktion um Verständnis für die aktuelle Situation in Regensburger Flüchtlingseinrichtungen. Wie zunächst exklusiv berichtet, wurde in der Gemeinschaftsunterkunft Dieselstraße vergangene Woche ein größerer Corona-Ausbruch festgestellt. Bei einer Testung unter 87 der insgesamt 289 Bewohnerinnen und Bewohner wurde – Stand Montag – bei insgesamt 42 Menschen eine Infektion mit dem Covid 19-Virus festgestellt. Ebenfalls am Montag räumte die Regierung dann zusätzlich 56 bestätigte Infektionen in Ankerzentrum-Dependance Pionierkaserne ein sowie einen weiteren Fall in einer anderen Gemeinschaftsunterkunft. Insgesamt also 99 Infizierte.
Regensburg sieht dunkelrot
Regensburg landete dadurch mit rund 72 Neuninfektionen pro 100.000 Einwohnern (7-Tages-Inzidenz) bundesweit auf Platz 1, riss damit sowohl den bundes- wie bayernweiten „Warnwert“, an dem gegebenenfalls vor Ort Maßnahmen ergriffen werden müssen, und ist bis heute der einzige dunkelrote Punkt auf der Landkreis-Karte des Robert-Koch-Instituts. Von Montag auf Dienstag wurden weitere 13 Fälle in der Stadt registriert, der Wert der 7-Tages-Inzidenz stieg auf 76,7. Am heutigen Mittwoch kamen nach momentanem Stand keine weiteren Fälle hinzu. Es könnte sich aber auch um Meldeverzögerungen handeln.
Hintergrund
Regensburg ist bundesweiter Corona-Hotspot, 25. Mai 2020
Beim Infektionsschutz sind nicht alle Menschen gleich, 22.5.20
Dutzende Corona-Fälle in Flüchtlingsunterkunft, 20. Mai 2020
Da wohl davon auszugehen ist – detaillierte Informationen liegen bislang nicht vor – dass es auch bei den 13 neuen Fällen größtenteils um Menschen in Flüchtlingseinrichtungen gehen dürfte, ist mit besonderen Einschränkungen in Regensburg nicht zu rechnen. Gemäß dem „Frühwarnsystem“ der Bayerischen Staatsregierung handelt es sich um ein „lokalisiertes und klar eingrenzbares Infektionsgeschehen“. Eine Beschränkung muss demnach nur für die betroffenen Einrichtungen gelten. Laut Auskunft der Bezirksregierung stehen deshalb neben der Gemeinschaftsunterkunft in der Dieselstraße das Ankerzentrum sowie eine weitere Flüchtlingsunterkunft unter Quarantäne. Für die Bewohner gibt es eine Ausgangssperren, infizierte Menschen wurden getrennt untergebracht.
Masseneinrichtungen sind gefährlich
Betrachtet man die nackten Zahlen sind die aktuellen Geschehnisse in Regensburg ein weiterer Beleg für die Gefährlichkeit von „Masseneinrichtungen“: Gemeinschaftsunterkünfte, Altenheime, Gefängnisse. Hier besteht für Bewohner wie Beschäftigte ein drastisch erhöhtes Infektionsrisiko.
Anfang Mai waren laut einer Auskunft des Landesamts für Gesundheit fast elf Prozent aller Infizierten in Bayern als Beschäftigte oder Bewohner solcher Masseneinrichtungen registriert. Über 37 Prozent aller bayerischen Corona-Toten (Stand: 7. Mai) sind diesem Bereich zuzuordnen. Fast alle diese Toten stammen aus Altenheimen, wo bei einem Infektionsausbruch die Todesrate aufgrund des hohen Alters und von Vorerkrankungen naturgemäß höher ist. Einige wenige Tote gab es in Flüchtlingsunterkünften, Beschäftigte sind derzeit kaum darunter.
Das Robert-Koch-Institut geht bei alledem von einer hohen Dunkelziffer aus. Bei fast 30 Prozent aller übermittelten Infektionsfälle fehlen demnach Angaben dazu, ob es sich um Bewohner von oder Beschäftigte in Masseneinrichtungen handelt. Nimmt man beispielsweise den Landkreis Sulzbach-Amberg, dann stammen dort (Stand 7. Mai) mehr als 75 Prozent aller Toten aus Altenheimen.
Mindestens zehn Prozent Flüchtlinge in Sammeleinrichtungen infiziert
Laut der Regierung der Oberpfalz sind im Stadtgebiet Regensburg insgesamt 530 Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. In den zwei Dependancen des Ankerzentrums (Pionierkaserne und Bajuwarenstraße) noch einmal etwas mehr: 532. Damit wären allein nach den am Montag veröffentlichten Zahlen rund zehn Prozent aller Bewohnerinnen und Bewohner von Sammelunterkünften für Flüchtlinge in der Stadt infiziert. Nicht mitgerechnet die neu hinzu gekommenen Fälle vom Dienstag und nicht mitgerechnet die Infektionsfälle in der Vergangenheit.
So gab es bereits Anfang Mai einen Ausbruch in der Gemeinschaftsunterkunft am Weinweg mit neun Betroffenen. Die Bezirksregierung bestätigt zudem auf Nachfrage, dass es bereits Ende März einen ersten Fall in der Unterkunft Dieselstraße gegeben habe. In der Folge sei es „zu weiteren Einzelfällen“ gekommen, die „stets nach den Vorgaben des Gesundheitsamtes isoliert untergebracht wurden“. Ab Anfang Mai seien dann „vermehrt Fällen festgestellt“ worden, was schließlich zu der erwähnten Testung von 87 Bewohnern führte, an deren Ende die nun öffentlich gemachten 42 Infizierten stehen.
Oberpfalz hui…
Die Regierung der Oberpfalz räumt ein, dass das Problem der beengten Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften ein Problem darstellt. „Insgesamt ist ein Ausbruchsgeschehen dort wo viele Menschen auf engen Raum zusammenleben, schwer kontrollierbar“, heißt es gegenüber unserer Redaktion. Blicke man insgesamt auf die Entwicklung in den bayerischen Regierungsbezirken stelle „das Infektionsgeschehen in Oberpfälzer Unterkünften, insbesondere in den Regensburger Unterkünften, leider keinen Einzelfall“ dar. Allerdings seien Unterkünfte in der Oberpfalz „im bayernweiten Vergleich bislang ausgesprochen wenig betroffen“ gewesen.
Tatsächlich zeigt ein Blick auf die gesamte Oberpfalz, dass vor allem Regensburg ein größeres Problem hat. Im gesamten Bezirk betreuen die Mitarbeiter der Flüchtlingsverwaltung nach Angaben der Regierung insgesamt 6.700 Asylbewerber. Davon leben 2.780 in Gemeinschaftsunterkünften, der Rest ist dezentral untergebracht.
Von Corona-Ausbrüchen waren/sind neben dem Ankerzentrum bislang insgesamt zehn Gemeinschaftsunterkünfte oberpfalzweit betroffen. Dabei gab/gibt es dieser Auskunft zufolge 195 infizierte Flüchtlinge (rund ein Drittel von ihnen gilt mittlerweile als genesen).
…Regensburg pfui
Das bedeutet, dass mehr als die Hälfte aller Infektionen das Stadtgebiet betreffen. Und davon entfällt das Gros auf zwei Standorte: die Unterkunft in der Dieselstraße mit einer Infektionsrate von derzeit fast 16 Prozent (42 von 289 Bewohnern positiv) und die Dependance des Ankerzentrums in der Pionierkaserne, wo 56 von 147 und damit 38 Prozent aller Bewohnerinnen und Bewohner sich angesteckt haben. Dass dies mit den räumlichen Verhältnissen – viele Menschen auf begrenztem Raum – zu tun hat, scheint auf der Hand zu liegen.
„Wie in der Allgemeinbevölkerung auch, verlaufen ca. 80 Prozent der Infektionen symptomfrei“, lautet zumindest eine beruhigende Nachricht der Regierung. „Ansonsten berichten die Betroffenen ‘lediglich’ von Erkältungssymptomen. Gott sei Dank befinden sich nur vier in stationärer Behandlung.“
Ansteckungen auch außerhalb der Unterkünfte?
Unklar ist derzeit allerdings noch, ob sich das Virus nicht noch weiter, auch außerhalb der Unterkünfte, verbreitet hat. Wie schon berichtet, wurde die städtische Berufsschule bereits am 14. Mai vom Gesundheitsamt darüber informiert, dass für Schüler, die in der Dieselstraße untergebracht sind, ein Betretungsverbot für die Schule besteht. Betroffene Azubis erfuhren selbst dies zum Teil erst Tage später, als die Unterkunft dann am 19. Mai vom Gesundheitsamt unter Quarantäne gestellt wurde. In zumindest einem Fall pendelte ein junger Mann noch mit dem Zug zu seiner Ausbildungsstelle nach Straubing und arbeitete dort den ganzen Tag im Betrieb. Ein späterer Test bei ihm fiel positiv aus.
Wie die Mittelbayerische Zeitung berichtete, hat die Tafel, bei der auch viele Geflüchtete einkaufen, wegen Kontakts von Mitarbeitern zu Verdachtspersonen ihren Betrieb bis vorerst 8. Juni eingestellt.
Die BI Asyl hat nun eine Chronologie veröffentlicht, laut der Grundschüler aus der Dieselstraße sogar noch früher – am 11. Mai – aus der Schule nachhause geschickt wurden, weil es in ihrer Unterkunft Corona gebe. Flächendeckend informiert darüber wurden die Bewohnerinnen und Bewohner aber erst deutlich später, als die Quarantäne und ein Ausgangsverbot am 19. Mai verhängt wurden.
Wie viele Bewohner wurden getestet?
Unklar ist derzeit auch noch, ob mittlerweile alle 289 Bewohner der Unterkunft Dieselstraße getestet wurden oder ob es bei den anfänglich 87 vorgenommenen Tests mit 42 Positiv-Fällen geblieben ist. Falls nein, könnten die Zahlen im Lauf der Woche noch einmal deutlich steigen.
Die Regierung der Oberpfalz verweist darauf, dass die Entscheidung darüber, wer getestet werde, „grundsätzlich beim Gesundheitsamt“ liege. Die Antwort auf eine dort gestellte Anfrage steht noch aus.
Die BI Asyl hat für den morgigen Donnerstag eine Kundgebung vor der Unterkunft in der Dieselstraße angekündigt. Gefordert wird eine unverzügliche Testung aller Bewohnerinnen und Bewohner und – ganz grundsätzlich – ein „Ende der erzwungenen Lagerunterbringung“.
Dringlichkeitsantrag morgen im Stadtrat
In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass die zwangsweise Unterbringung zwar für das Ankerzentrum zutrifft. Von den 530 Menschen, die derzeit in Gemeinschaftsunterkünften in Regensburg leben, dürfte dagegen laut Auskunft der Regierung fast die Hälfte ausziehen. Sie wurden als Flüchtlinge anerkannt. Allerdings fehlt auch für sie – wie für viele andere – der bezahlbare Wohnraum in Regensburg. Sie leben aus wirtschaftlichen Zwängen weiter in Gemeinschaftsunterkünften.
Die Grünen im Regensburger Stadtrat haben nun für die Sitzung am morgigen Donnerstag einen Dringlichkeitsantrag eingebracht. Die Forderung an Stadt und Bezirksregierung: „Verhandlungen mit Besitzer*innen von Hotels und Ferienwohnungen müssen umgehend aufgenommen werden, um eine dezentrale Unterbringung der Geflüchteten zu ermöglichen. Nur so können wir die Pandemie eindämmen und Leben schützen“.