Ein vorbestrafter Alkoholiker auf einer Marihuana-Plantage – rein zufällig? Wer soll das bitte glauben? Für Ermittler, Staatsanwaltschaft und Amtsgericht war ein Regenstaufer der ideale Schuldige. Bei der Berufung stellte sich nun heraus: Die Beweislage war dünn, die Ermittlungen von Pannen gekennzeichnet.
Marihuana-Plantage bei Regenstauf: Aus Angst, im Ernstfall zu spät zu kommen, erntete die Polizei das Feld selbst ab. Symbolfoto: Polizei/ Archiv
Folgt man Amtsrichter Norbert Brem, dann glauben Dr. Bettina Mielke und die Schöffen der kleinen Strafkammer am Landgericht Regensburg noch an den Weihnachtsmann. Unterlegt mit dieser süffisanten Bemerkung verurteilte Brem im vergangenen Jahr einen 45jährigen wegen des Betreibens einer Hanfplantage zu einer Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren. Was der Mann zu seiner Verteidigung ins Feld geführt habe, sei nämlich alles andere als glaubwürdig, so Brem seinerzeit. Die Staatsanwaltschaft hatte gar zwei Jahre und drei Monate Gefängnis für den Mann gefordert und legte, weil sie sich mit dem ihrer Ansicht nach zu mildem Urteil nicht zufrieden gab, Berufung ein.
Eine schwierige Biographie
Der angeklagte Herbert G. (Name geändert) hat bislang kein leichtes Leben hinter sich. Er wuchs als eines von acht Geschwistern auf. Als G. zwölf Jahre alt war erhängte sich sein Vater, nachdem er die Mutter so schwer verprügelt hatte, das er glaubte, sie sei tot. Wenig später kam G.s Bruder bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Der damals Zwölfjährige war als erster an der Unfallstelle und fand ihn. Auch das spätere Leben des gelernten Maurers verlief alles andere als geregelt. Eine gescheiterte Ehe, insgesamt fünf Kinder, immer wieder Kontakt und Probleme mit dem Jugendamt. Die Richterin verliest eine Reihe von Vorstrafen, die G. auf dem Kerbholz hat: kleine Diebstähle („zwei Hämmer im Wert von zehn Euro“, „zwei Stallhasen im Wert von 45 Euro“), Beleidigungen, alles stets unter Alkoholeinfluss, mehrere Trunkenheitsfahrten. Wegen eines Unfalls unter Alkohol verbrachte G. mehrere Monate im Knast, später war er wegen seines Alkoholismus fast zwei Jahre im Bezirksklinikum. Auch wenn die letzte Vorstrafe bereits zwölf Jahre zurückliegt und auch, wenn er bislang nie in Zusammenhang mit illegalen Drogen auffiel, muss G. den Ermittlern der Kripo wie der ideale Schuldige vorgekommen sein, als sie ihn 2012 auf einem Foto wiedererkannten.
Zweieinhalb Kilo Marihuana von minderer Qualität
Zufällig hatte der Pächter eines Waldes bei Regenstauf im Mai desselben Jahres in einem Unterholz eine Hanfplantage entdeckt: 95 Pflanzen und ein kleiner Unterstand für Werkzeug an einem Platz abseits der frequentierten Wanderwege. Zwei Monate später erst installierte die Polizei dort eine Kamera, wartete ab und tatsächlich: Auf drei Fotos, die geschossen wurden, war ein Mann zu erkennen. Wie sich später herausstellte, war das Herbert G.. Obwohl die Ermittler ursprünglich abwarten wollten, bis das Feld abgeerntet wird, um den Plantagenbetreiber auf frischer Tat zu ertappen, wurde der Einsatz vorzeitig abgebrochen. Aus Angst, dann nicht schnell genug mit genügend Beamten vor Ort sein zu können, aber auch, weil das installierte Alarmierungssystem nicht richtig funktionierte, erntete die Polizei das Feld selbst ab. Zweieinhalb Kilo Marihuana von minderer Qualität wurden am Ende sichergestellt. Bei G. wurde eine Hausdurchsuchung angeordnet.
Sieben Stunden Hausdurchsuchung: ein Gramm Tabakgemisch
Sieben Stunden stellten Beamte dann die Wohnung von G. und seiner Familie auf den Kopf, ohne etwas zu finden. G. selbst schließlich wies sie auf einen Beutel hin, den ein Bekannter liegen gelassen habe. Darin befand sich – es wurde nie gewogen oder genauer untersucht – etwa ein Gramm eines Gras-Tabak-Gemischs. Spätestens jetzt waren sich die Kripo-Beamten sicher, ihren Mann zu haben. Von einer „erdrückenden Beweislage“ war die Rede, als Herbert G. 2013 wegen des „Betreibens einer Cannabis-Outdoor-Plantage seit Mai 2012“ angeklagt und am Ende auch verurteilt wurde.
G. selbst hatte von Anfang an eingeräumt, auf der Plantage gewesen zu sein. Er habe sie beim Zelten mit seinen zwei Söhnen zufällig entdeckt, als er Feuerholz gesammelt habe. Später habe er noch zwei Mal aus Neugier vorbeigeschaut. Für Norbert Brem war dies, wie erwähnt, ein Fall für den Weihnachtsmann. Für die Staatsanwaltschaft indes war das Urteil zu milde. Und so kam es ein gutes Jahr später zur Berufungsverhandlung vor der kleinen Strafkammer des Landgerichts.
Was dem Rechtsstaat gut zu Gesicht stünde…
Dort nahm am Dienstag G.s Rechtsanwalt Tobias Richter die Beweise der Ermittler ins Visier. Diese seien nämlich alles andere als erdrückend. „Bei einer so dünnen Beweislage und Pannen bei den Ermittlungen kann man nicht einfach den Erstbesten nehmen und verurteilen.“ Dass G. mit seinen Söhnen in besagtem Waldstück beim Zelten gewesen sei, sei unstrittig. Und dass Hanfplantagen zufällig gefunden würden – von Bauern, Jägern, Wanderern oder Pilzsammlern – sei bekanntermaßen Alltag. Die von G. im August geschossenen Fotos zeigten ihn nicht bei irgendwelchen Handlungen auf der Plantage. Es fänden sich auch keinerlei Fingerabdrücke oder DNA seines Mandanten auf den Werkzeugen. „Es besteht das Risiko, dass hier die falsche Person auf der Anklagebank sitzt“, so Richter. „Es steht nicht fest, dass er der einzige auf der Plantage war.“ Auch die Hausdurchsuchung hätte keinen schlagenden Beweis zutage gefördert. „Es fanden sich keine Anleitungen, Töpfe oder ähnliche Utensilien zum Hanfanbau.“ Ebenfalls sei bei G. nie ein Drogentest vorgenommen worden. Das sei ein weiteres Versäumnis der Ermittler. „Es bestehen begründete Zweifel an der Schuld meines Mandanten. Dem Rechtsstaat würde es gut zu Gesicht stehen, ihn freizusprechen.“ Zumal, auch das führte Richter aus, für niemanden irgendein Schaden entstanden sei.
Staatsanwalt fordert Gefängnisstrafe
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft sprach in seinem eher knappen Plädoyer hingegen von „starken Indizien“, die gegen G. sprächen. Weder die zufällige Entdeckung der Plantage, noch die Erklärung „Neugier“ für die mehrfachen Besuche seien glaubwürdig. „Es kann theoretisch anders gewesen sein, aber nur theoretisch“, so der Staatsanwalt. Einen vernünftigen Zweifel an G.s Schuld gebe es nicht. Da der unerlaubte Besitz von Drogen in größerer Menge mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr belegt und der Angeklagte auch nicht bereit sei, ein Geständnis abzulegen, müsse man vor dem Hintergrund seiner vielen Vorstrafen eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verhängen.
„Nicht mit der notwendigen Sicherheit von der Täterschaft überzeugt“
Nach einer Stunde Beratung folgte das Gericht am Ende weitgehend der Argumentation von Rechtsanwalt Richter. „Wir sind nicht mit der notwendigen Sicherheit von der Täterschaft überzeugt“, so Dr. Bettina Mielke in ihrer Begründung. Zwar sei nicht alles, was G. gesagt habe, glaubwürdig. „Wir halten es für eine etwas lebensnahere Erklärung, dass Sie zu der Plantage gegangen sind, um vielleicht etwas mitzunehmen.“ Insofern sei es wahrscheinlich, dass G. etwas mit der Plantage zu tun habe. Dass er selbst sie gepflanzt und betrieben habe, das gebe die Beweislage nicht her. Nach seinem Freispruch muss G. auch für die Hausdurchsuchung entschädigt werden. Angesichts eines solchen Urteils könnte man fast wieder an den Weihnachtsmann glauben.
Ein „Kollektiv mit Dienstleister-Funktion” will in Regensburg einen neuen linken Treffpunkt etablieren. Am Donnerstag lädt man zu einem ersten Infoabend.