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Archiv für 17. Juli 2014

Der Richter, der Gustl Mollath 2006 einweisen ließ, will heute von nichts mehr wissen. Ein Psychiater hielt Mollath 2004 zwar für skurril, aber nicht gefährlich. Und auch der Angeklagte selbst kommt zu Wort – persönlich und in älteren Schriftstücken, die verlesen wurden. Tag neun des Wiederaufnahmeverfahrens. (Alle Prozessberichte gibt es hier.)

"Du alte Drecksau. Du sollst bald verrecken." Drohanrufer zu Richter Otto Brixner. Foto: as

“Du alte Drecksau. Du sollst bald verrecken.” Drohanrufer zu Richter Otto Brixner. Foto: as

„Vollisolationseinzelerzwingungshaftbedingungen.“ Es ist einer der prägnantesten Worthaufen, die am Donnerstag vor dem Landgericht Regensburg verlesen werden. Zwischen der Vernehmung zweier Zeugen – unter ihnen jener Richter, der Gustl Mollath in die Psychiatrie schickte – geht es fast ein wenig unter, dass mehrere Schriftstücke aus der Feder des 57jährigen in die Verhandlung eingeführt werden. Briefe, die er auf dem Höhepunkt des Rosenkriegs mit seiner Ex-Frau an sie und ihren Arbeitgeber schrieb. Strafanzeigen gegen Petra M. und andere Beteiligte der von Mollath so bezeichneten „Schwarzgeldschieberkreise“. Beeindruckend ist insbesondere ein Text unter der Überschrift „Was mich prägte“. Mollath hatte diesen einem Ordner vorangestellt, den er bei dem entscheidenden Prozess 2006 vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth übergeben wollte. Als eine Art Verteidigungsschrift.

Ein kleines Psychogramm…

Die Verlesung der fünf Seiten wirkt stellenweise wie ein Stück Literatur. Eine Mischung aus einschneidenden persönlichen Erlebnissen Mollaths, vermengt mit weltpolitischen Ereignissen des 20. und 21. Jahrhunderts – dem Vietnamkrieg, Martin Luther King oder der Ermordung John F. Kennedys. Je weiter man liest, desto mehr zeichnet Mollath darin aber auch, ob nun bewusst oder unbewusst, ein kleines Psychogramm von sich, ein Bild seiner Entwicklung. Seiner zunehmenden Unzufriedenheit mit den Zuständen in einer Welt, mit der er immer weniger klarkommt. Er sei „von Krieg umgeben“, heißt es irgendwann. Der 11. September 2001 – er habe das kommen sehen, kann man lesen. Fast unfreiwillig komisch wirkt da der urplötzlich aufscheinende Satz „Petra wird immer merkwürdiger.“ Sie wolle jetzt den Mond anbeten. Zunehmend werden dann die Ehekrise und die Schwarzgeldvorwürfe Thema.

 „Es gab keine Verschwörung gegen Mollath.“

Übergeben konnte Mollath diesen Ordner 2006 beim Prozess vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth, an dessen Ende seine Einweisung in die Psychiatrie stand, nicht. Der damalige Richter Otto Brixner weiß zwar von nichts mehr, aber als der 71jährige als Zeuge vernommen wird, erklärt er dazu ganz allgemein: „Ich sehe nicht ein, warum ich ohne Beweisantrag irgendetwas entgegennehmen sollte.“

Es ist eine wenig ergiebige Vernehmung für das Gericht. Brixner gibt sich nämlich völlig ahnungslos. Er weiß von gar nichts mehr. Nur das, was er aktuell gelesen hat. Gustl Mollath kenne er aus der Zeitung. Dessen Ex-Frau würde er auf der Straße nicht mal erkennen. Und zu Petra M.s neuen Mann Martin M., den Brixner in den 80ern beim Handball trainierte und von dem er sogar noch weiß, dass dieser Linkshänder war, habe er keinerlei Kontakt. Auch jetzt im Zuge des Prozesses nicht. „Der könnte mich gar nicht anrufen.“ Seit er im vergangenen Jahr mit Anrufen á la „Du alte Drecksau. Du sollst bald verrecken“ belästigt worden sei, habe er eine Geheimnummer.

Freilich könne es sein, dass er – wie durch andere Zeugen bestätigt – am Rande von Mollaths Einweisungs-Prozess mal mit Martin M. auf dem Gang geredet habe. Aber ob er das tat oder nicht – Brixner kann sich einfach nicht erinnern und meint: „Was soll das auch für eine Bedeutung haben, wenn ich jemanden auf dem Flur treffe?“ Es habe keine Verschwörung gegen Mollath gegeben, so Brixner. Egal, was da manchmal geschrieben werde.

„Ich rede sowieso immer etwas laut.“

Die Vorwürfe eines damaligen Schöffen, dass Brixner die Verhandlung lautstark und teilweise schreiend geführt habe, räumt er zumindest teilweise ein. So ganz allgemein. „Ich rede sowieso immer etwas laut. Es kann schon sein, dass ich ihn (also Mollath) angegangen bin.“

Konfrontiert mit den offensichtlichen Fehlern im Urteil, das Mollaths Einweisung besiegelte, wird Brixner selbstkritisch – ein ganz kleines Bisschen zumindest. „Das darf nicht passieren. Das ärgert mich auch. Aber ob die Verhandlung deshalb schludrig war, wie da immer geschrieben wird? Wenn ich manche Presseberichte lese, ist das auch schludrig.“

So schlecht kann das Urteil nicht gewesen sein…

Unter anderem war in dem Urteil die Rede davon, Petra M. sei von Mollath mehrmals getreten worden, während sie bewusstlos am Boden lag. Der in Regensburg bestellte Sachverständige Prof. Eisenmenger hatte das bereits vor wenigen Tagen als unlogisch bezeichnet. Petra M. könne nichts bezeugen, was zum Zeitpunkt ihrer Bewusstlosigkeit geschah. Auch Angaben zum Attest, das Petra M.s Verletzungen belegen soll oder zu einer Festnahme Mollaths sind falsch. Die beisitzende Richterin, die das Urteil seinerzeit verfasste, gab vergangene Woche vor Gericht an, sie habe es unter Zeitdruck verfasst und kurz darauf in Urlaub gefahren. Brixner, der das Urteil unterzeichnet hat, ohne dass ihm diese Fehler aufgefallen wären, erklärt nach mehreren Nachfragen schließlich, dass es so schlecht nicht gewesen sein könne. Schließlich habe der Bundesgerichtshof keine Revision dagegen zugelassen.

Mollaths Fragen gerieten am Donnerstag zur Anklage gegen die Forensik. Foto: ld

Mollaths Fragen gerieten am Donnerstag zur Anklage gegen die Forensik. Foto: ld

Ob er tatsächlich zu einem Schöffen mit Blick auf Mollath gesagt habe „Dem schaut der Wahnsinn aus den Augen“? Brixner will sich nicht äußern. „Sie erwarten wohl nicht, dass ich dazu Stellung nehme. Das wäre ein Verstoß gegen das Beratungsgeheimnis.“ Diese Meinung teilt am Donnerstag zwar nicht einmal Oberstaatsanwalt Wolfhard Meindl, aber: Brixner könnte sich ja ohnehin nicht erinnern.

„Da muss schon was Gravierenderes passieren.“

Daran, dass er der Entpflichtung von Mollaths Pflichtverteidiger Thomas Dolmany nicht zugestimmt hatte, obwohl das sowohl der selbst, als auch Mollath, als auch die Staatsanwaltschaft beantragt hatten, kann Brixner nichts Falsches erkennen. Dolmany hatte sich damals von Mollath bedroht gefühlt. Letzte Woche hatte der Rechtsanwalt dies erneut recht eindrücklich geschildert.

„Das kann schon sein, dass der nicht mehr wollte“, meint Brixner dazu nur. Der Herr Dolmany ist ja auch ein etwas kleinerer Herr.“ Es liege aber nicht „im Belieben des Angeklagten, sich so zu verhalten, dass ein Verteidiger entlassen wird“. Dass Mollath mal laut an Dolmanys Tür geklopft und „der sich dann eine Stunde nicht mehr raus getraut“ habe, sei kein Grund. „Da muss schon was Gravierenderes passieren.“

 „Ich brauche Ihr Mitleid nicht.“

Etwas von dem ehemals lauten und autoritär auftretenden Richter blitzt auf, als Mollath zu fragen beginnt und mit „Mein Beileid zum Tod ihrer Frau“eröffnet. „Ach, hören Sie doch auf. Lassen Sie das“, unterbricht Brixner. „Ich brauche Ihr Mitleid nicht.“ Auf eine Frage Mollaths immerhin liefert der zwischenzeitlich pensionierte Richter aber einen kleinen Einblick in Zustände der bayerischen Justiz. Warum das Verfahren so schnell durchgezogen worden sei? Brixner hatte Mollaths Verfahren binnen drei Stunden durchgepeitscht. Ob es tatsächlich einen solchen Zeitdruck gebe? „Das ist ein Zustand wie er in der bayerischen Justiz üblich ist. Wir haben zu wenig Richter, zu wenig Staatsanwälte und zu wenig Mittelbau. Wir können nur mit dem Personal arbeiten, das wir haben.“

Eine „laienhafte Einschätzung“ von Mollaths Geisteszustand

Bereits am Vormittag war der Psychiater Dr. Michael Wörtmüller vernommen worden. Er hätte Mollath 2004 begutachten sollen, nachdem dieser zwangsweise ins Bezirksklinikum Erlangen eingewiesen worden war. Wörtmüller hatte sich aber für befangen erklärt. Befragt zu den Gründen schildert er eine Begegnung mit Mollath auf seinem Grundstück. „Skurril“ sei das gewesen. Mollath habe einen Brustbeutel mit Comicfigur-Aufdruck um den Hals gehabt. Erst im Verlauf eines mehrminütigen Gesprächs habe sich herausgestellt, dass Mollath eigentlich zu Wörtmüllers Nachbarn, einem Arbeitskollegen der Ex-Frau wollte. Von diesem Nachbarn habe er später erfahren, dass Mollath „in seinem Umfeld Probleme bereitet hat“, dass es um die Ehe und irgendwas mit Schwarzgeld gegangen sei. Daraufhin habe er dem Nachbarn eine „laienhafte Einschätzung“ von Mollaths Geisteszustand gegeben. Als Wörtmüller ihn später im Auftrag des Amtsgerichts Nürnberg untersuchen sollte, habe er sich nach längerem Überlegen und ersten Gesprächen für befangen erklärt.

„Sehr dramatisch“

Mollaths Befragung von Wörtmüller gerät eher zu einer anklagenden Schilderung dessen, wie er die Einweisung damals erlebt haben muss. Wörtmüller weist einige Vorwürfe zurück, erklärt aber mehrfach, dass er Mollaths damalige Situation und seine Geschichte für „schlimm“ und „sehr dramatisch“ halte. Menschen, die eingewiesen würden und dann alles ablehnten, gerieten in eine „sehr schwierige Situation“. Bei seinen Begegnungen mit Mollath, das sagt Wörtmüller auch, habe er diesen übrigens nie für gefährlich gehalten.

Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.

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