Nina Hagen und die zweite Mollath
Ist unverhältnismäßig lange Unterbringung in der Forensik Alltag? Der Fall der Regensburgerin Ilona Haslbauer sei „krasser als der von Mollath“, sagt Rechtsanwalt Adam Ahmed. Ihr Schicksal hat sogar Nina Hagen auf den Plan gerufen. Nach siebeneinhalb Jahren wird die Sozialpädagogin jetzt aus der geschlossenen Psychiatrie entlassen. Dort landete sie wegen eines Delikts, für das ihr das Gericht zunächst „nur“ vier Monate Haft aufgebrummt hatte.
„Wie seh ich aus?“, hört man Ilona Haslbauer noch etwas nervös hinter der halboffenen Tür des Gerichtssaals murmeln. Sie rückt sich ihre Sonnenbrille und den Federkopfschmuck zurecht. Dann geht alles sehr schnell. „Am 14. August komm ich raus“, kann sie den Journalisten, die gerade fast zwei Stunden vor der Tür gewartet haben noch sagen. Ein kurzes Lächeln. Dann wird sie von zwei Polizeibeamten zum Aufzug gebracht, runter in die Tiefgarage und von dort zurück in die Forensik Taufkirchen.
„Ich liebe Euch trotzdem“, schnieft Nina Hagen.
Ihre Unterstützer, die heute sechs Stunden lang vor dem Landgericht Landshut gewartet haben, darf Haslbauer nicht treffen. Ihr Rechtsanwalt Adam Ahmed muss den großen Beutel zum Vorplatz bringen und die Papierherzen an die Wartenden verteilen, die sie für sie gebastelt hat. Das trocknet auch ein wenig die Tränen von Nina Hagen. Die hat eben noch beklagt, dass sie von einem Polizisten recht grob behandelt wurde, als sie zu dem Polizeibus wollte, in dem Haslbauer weggebracht wurde. Doch die gute Nachricht von der bevorstehenden Entlassung der 57jährigen lässt die mit lila Stiefelchen, schwarzem Kostüm und Sonnenbrille bekleidete Künstlerin derlei Unbill schnell vergessen. „Ich liebe Euch trotzdem“, schnieft sie in Richtung der Polizeibeamten ins Mikro.
„Noch krasser als Mollath“, sagt der Anwalt.
Ein Fall, den Rechtsanwalt Adam Ahmed als „noch krasser als Mollath“ bezeichnet und über den Regensburg Digital erstmals 2008 berichtete, hat am Dienstag eine entscheidende Wendung genommen: Nach mehr als sieben Jahren in der psychiatrischen Forensik wird Ilona Haslbauer entlassen. Das ist die Entscheidung, die das Landgericht Landshut im Rahmen einer nichtöffentlichen Anhörung der Regensburgerin gefällt hat. Etwa vier Wochen muss Haslbauer noch warten, bis es so weit ist.
Seit zwölf Uhr Mittags haben etwa 20 Unterstützer, zum Teil selbst Psychiatriebetroffene und Menschen, die in der Forensik untergebracht waren, ausgeharrt, um das Ergebnis dieser Anhörung zu erfahren. Ein paar sind vielleicht auch nur gekommen, um Nina Hagen singen zu hören. Die Berlinerin engagiert sich schon länger für Insassen in der geschlossenen Psychiatrie. Schrill und schräg im Ton, aber doch deutlich in der Aussage fordert sie am Dienstag die Abschaffung des §63. Dieser verstoße gegen die UN-Behindertenrechtskonvention und sei damit illegal. In den „furchtbar gewalttätigen Forensik-Kasernen“ seien die Betroffenen aufgrund von „Orakel-Prognosen“ von Gutachtern untergebracht. Den früheren Leiter der Forensik und jetzigen Klinikchef in Taufkirchen greift Hagen mehrfach persönlich an. In seiner Jugend sei dieser ein „kommunistischer Kader“ mit einem Hang zur Gewalt gewesen. Und nun lebe er seine „maoistisch-stalinistischen, sadistischen Gelüste“ in der Isar-Amper-Klinik Taufkirchen aus.
„Wie unser Karl Valentin in Augschburg.“
In dieser von Negativschlagzeilen geplagten Forensik ist Haslbauer untergebracht. Sie kam zu etwas größerer Bekanntheit als die Fixierungspraxis in Taufkirchen in den Fokus geriet. Haslbauer war mehr als 25 Stunden ans Bett gefesselt und in ihrem Urin liegen gelassen worden. Damals hat Nina Hagen angefangen, mit Haslbauer zu telefonieren und die Mitschnitte im Internet zu veröffentlichen. Haslbauer sei eine „der besten Lyrikerinnen und Kabarettistinnen in Deutschland“, ruft Hagen ins Mikro, „wie unser Karl Valentin in Augschburg“. Anschließend rezitiert sie ein Gedicht von Haslbauer und kündigt an, dass es demnächst eine CD geben werde, auf der mehrere Prominente sich der Haslbauerschen Lyrik widmen würden. Dann folgt ein kurzes „Halleluja“, erst gemurmelt, dann gesungen.
Ende 2006 wurde die Sozialpädagogin Ilona Haslbauer vom Landgericht Regensburg zu Maßregelvollzug verurteilt. Im Zuge eines langjährigen Nachbarschaftsstreits soll sie ihre Kontrahentin zu zwei verschiedenen Anlässen im Supermarkt mit einem Einkaufswagen gerammt haben. Die Betroffene erlitt dabei eine Prellung am Rücken und verletzte sich die Zehe. Bereits zuvor hatten sich bei Haslbauer über zehn Jahre hinweg mehrere Vorstrafen wegen Beleidigung, Körperverletzung und Sachbeschädigung angesammelt.
„Vier Monate Haft tat- und schuldangemessen“, sagt das Landgericht. Aber…
Das Landgericht Regensburg sah seinerzeit eine Freiheitsstrafe von vier Monaten ohne Bewährung für tat- und schuldangemessen an. Weil ein psychiatrischer Sachverständiger Haslbauer aber eine „paranoide wahnhafte Störung“ und ein Verhaltensmuster vom Typ rachsüchtiger Stalker attestierte, wurde ihre Unterbringung in der Forensik des Isar-Amper-Klinikums Taufkirchen angeordnet. Haslbauer sei eine Gefahr für die Allgemeinheit und durchweg krankheitsuneinsichtig. Eine Revision gegen dieses Urteil wurde 2007 vom Bundesgerichtshof verworfen. Bei sämtlichen Anhörungen und Gutachten, die folgten wurde diese Einschätzung bestätigt und eine Fortdauer der Unterbringung angeordnet. Bis zum gestrigen Dienstag. Hier wurde Haslbauers Entlassung verfügt.
Das ausschlaggebende Argument für diese Entscheidung, so Ahmed: „Wegen einer Tat, für die Frau Haslbauer zunächst zu vier Monaten Haft verurteilt wurde, sitzt sie jetzt seit siebeneinhalb Jahren in der Forensik. Das ist einfach nicht verhältnismäßig.“ Und Ahmed merkt kritisch an, dass seine Vorgänger – drei oder vier Rechtsanwälte waren bereits für Haslbauer tätig, ehe er das Mandat übernahm – „darauf schon früher hätten hinweisen können“. Auch dass diese Rechtsanwälte es nie gerügt hätten, dass frühere Anhörungen Haslbauers nur von einem anstelle von drei Richtern durchgeführt wurden, verwundere ihn doch sehr. Doch es sei weder ein Einzelfall, dass Gerichte die geltende Rechtslage nicht einhalten, noch dass es oft lange dauere, bis sich ein Anwalt finde, der sich ernsthaft um solche Verstöße kümmere.
Die wahnhafte Störung, nicht wahnhaft zu sein…
Doch das sind nicht die einzigen Auffälligkeiten bei dem Fall. Die Mainzer Diplom-Psychologin und Buchautorin Eva Schwenk („Fehldiagnose Rechtsstaat“) hat mehrere Gutachten unter die Lupe genommen, die Haslbauers Verbleib in der Forensik anregten. Sie hat zahlreiche Ungereimtheiten herausgearbeitet. Unter anderem werde Haslbauer verschiedentlich attestiert, dass es zu ihrem Krankheitsbild gehöre, unkorrigierbar der Auffassung sei, nicht wahnkrank zu sein. „Einen Wahn, nicht wahnkrank zu sein, den gibt es jedoch nicht“, fasst Schwenk die Absurdität dieser Diagnose zusammen.
Auch das Gutachten für die aktuelle Anhörung des Landgerichts Landshut überzeugt Schwenk nicht. Auf Basis der Aktenlage (Haslbauer verweigerte ein Explorationsgespräch) bescheinigt dessen Verfasser, der Medizinaldirektor der JVA Straubing, Haslbauer ein „Risiko weiterer Gewalttaten“ von „5,5% – 31%“. Dieser doch recht breit angelegten Wahrscheinlichkeitsprognose folgt dann eine detaillierte Aufzählung möglicher Delikte. Schwenks Fazit: Für das Gutachten würden keinerlei diagnostische Kriterien zum Beleg der angeblichen Wahnerkrankung herangezogen. Haslbauer habe dass Pech, Betroffene einer psychiatrischen Praxis zu sein, „in der alles, was sie tut oder nicht tut, sagt oder nicht, mit einer psychiatrischen Nosologie (Krankheitslehre, Anm. d. Red.) belegt wird“.
Gutachten der Forensik-Leiterin: „nicht die geringste Kenntnis, geschweige denn Verständnis“
Noch härter geht Schwenk mit dem Sachverständigengutachten ins Gericht, dass die jetzige Leiterin der Forensik in Taufkirchen über Haslbauer erstellt hat. Dieses könne „nicht als psychiatrisches Gutachten bezeichnet werden“, so Schwenk. Und weiter: „Es ist ein eklezistisches Sammelsurium, in dem persönliche Einschätzungen mit psychopathologischen Begriffen formuliert werden, von deren Bedeutung nicht die geringste Kenntnis, geschweige denn Verständnis vorhanden ist.“
Wiederaufnahmeverfahren?
Solche Stellungnahmen dürften sicher interessant werden, wenn das umgesetzt wird, was Adam Ahmed kurz nach der Anhörung in Landshut andeutet: Sobald Ilona Haslbauer entlassen sei und sich im „normalen“ Leben wieder einigermaßen zurecht finde, werde man einen Wiederaufnahmeantrag für ihr Verfahren prüfen. Bislang hat Haslbauer für die sieben Jahre Forensik keinerlei Anspruch auf Entschädigung. Den Steuerzahler kostete ihre Unterbringung schätzungsweise 700.000 Euro.