„Gegen das Vergessen, Verschweigen, Verleugnen und Vertuschen.“ Bei der Eröffnung des Katholikentages gingen missbrauchte Domspatzen mit dieser Forderung auf die Straße.
„Was sollen wir jetzt mit denen machen?“ „So lange sie friedlich sind, dürfen die das.“ Auch wenn es etwas kühl ist, als der 99. Katholikentag auf dem Regensburger Domplatz eröffnet wird, laufen die Funkgeräte der Polizei am Mittwochabend für einen kurzen Moment fast heiß. Dabei ist die Stimmung trotz des nasskalten Wetters gut. Joachim Gauck ist da und Horst Seehofer. Die „Sechs lustigen Fünf“ und ein Domspatzen-Chor haben eben „Wer glaubt, ist nie allein“ gesungen.
„Mehr als 60 Fälle von sexuellem Missbrauch“
Aber gerade als Bischof Rudolf Voderholzer die Anwesenden begrüßt und stolz die Frage stellt, „welcher andere Event“ es denn vermöge, „Jugendliche und Greise, Unternehmer und Angestellte, Linke und Rechte, Konservative und Fortschrittsenthusiasten, Behinderte und Nichtbehinderte, Nerds und Ballprinzessinnen, Klassikfans und Rapper, Philippinos und Norweger, Juden und Muslime zu einer großen Feier unter einen Hut zu bringen“, bahnen sich vier Domspatzen, die man gerne vergessen würde, ihren Weg durch die Massen. Begleitet werden sie von einem Kamerateam und ihre Botschaft ist kaum misszuverstehen.
„Verprügelt und missbraucht“, steht auf der Schärpe von Udo Kaiser. „Der missbrauchte Domspatz“ hat sich Georg Auer auf die Sandwich-Tafeln geschrieben, die er sich umgehängt hat. Fotos aus seiner Zeit an der Domspatzen-Vorschule in Etterzhausen hat er dazu geklebt. Als Beweis sozusagen. In der Vergangenheit war von Stellen im Bistum Regensburg bestritten worden, dass Auer überhaupt an der Schule gewesen sei. Er gehört ebenso wie Kaiser zu den Empfängern eines Serienbriefs, mit dem das Bistum sie und andere Missbrauchsopfer wissen ließ, dass man ihre (eidesstattlich versicherten) Schilderungen von Prügel und Vergewaltigung „nicht nachvollziehen“ könne. „Eine Leistung in Anerkennung von erlittenem Leid erscheint vor diesem Hintergrund nicht gerechtfertigt“, heißt es in den wortgleichen Briefen, die Generalvikar Michael Fuchs seinerzeit, 2012, unterzeichnet hatte.
„Bis zum Jahr 2006 gibt es nach aktuellem Stand unserer Erkenntnisse mehr als 60 Fälle von sexuellem Missbrauch unterschiedlichster Art bei den Regensburger Domspatzen und in keinem einzigen Fall ist eine Anerkennung bzw. Entschädigung durch das Bistum Regensburg bekannt geworden.“
Aus einem Flugblatt der ehemaligen Domspatzen
Er, Fuchs, sitzt heute selig lächelnd zwischen den Prominenten aus Politik und Gesellschaft. Und Bischof Voderholzer ist heute viel zu sehr mit diesem „Event“ beschäftigt, als dass er sich von ein paar missbrauchten Domspatzen stören ließe. Ohnehin hat er diese „Altlast“ von seinem gen Rom beförderten Vorgänger Gerhard Müller übernommen und das ein Jahr alte und mit viel persönlicher Betroffenheit versehene Versprechen des Bischofs, sich um diese Fälle zu kümmern, hat er vermutlich selbst schon wieder vergessen.
Wenig Unterstützung von Gastronomen und Bevölkerung
Der, Müller, hat in Regensburg offenbar ganze Arbeit geleistet. Im negativen Sinn, aus katholischer Sicht. Innerhalb der Organisationsmaschinerie des Katholikentages stellt man sich nämlich durchaus die Frage, woran es denn liegen mag, dass sich trotz eines breit gestreuten Aufrufs an alle Regensburger Gastronomen lediglich acht bereit gefunden haben, einen vergünstigten „Katholikentagsteller“ für Pilger und Besucher anzubieten. Oder woran es liegen mag, dass sich trotz großflächiger Werbekampagne mit Flashmobs und prominenten Paten in der neueren Geschichte des Katholikentags offenbar noch nie so wenig Privatpersonen bereit erklärt haben, Besucher aufzunehmen wie dieses Jahr in Regensburg.
„Ich finde es schade, dass viele auch jetzt immer nur die negativen Seiten der katholischen Kirche sehen“, sagt einer der zahlreichen ehrenamtlichen Helfer. Er selbst ärgere sich das ganze Jahr über die Kirche, aber hier beim Katholikentag, da kämen doch vor allem „die Guten“ zusammen, um über „alle wichtigen Fragen, die unsere Gesellschaft beschäftigen“ zu diskutieren und sich auszutauschen. „Da muss man es doch auch mal gut sein lassen und lieber mitmachen statt miesmachen.“
Das elfte Gebot…
Tatsächlich sind auch Reformgruppen wie „Wir sind Kirche“ oder die Schwangerenkonfliktberatung „Donum Vitae“ zumindest zum Teil mit eingebunden. Manche munkeln, dies sei der Grund, warum Kardinal Müller seine Teilnahme abgesagt hat.
Tatsächlich stehen auch Themen wie die Solidarität innerhalb der EU, erneuerbare Energien oder der Rassismus gegen Sinti und Roma im Veranstaltungsprogramm.
Und tatsächlich scheint das Gros der Katholikentagsbesucher mit Kritik ganz gut umgehen zu können. Als Aktivisten – am Donnerstag – einen mahnenden Moses auf dem Domplatz aufstellen und die Zuschüsse für das Katholiken-Event (drei Millionen Euro) kritisieren, ernten sie eher selten Wünsche von Verdammnis und ewiger Höllenqual; weitaus häufiger gibt es sogar Zustimmung.
„Der blanke Hohn!“
Dass man sich aber – abgesehen von einer Veranstaltung mit Bischof Stephan Ackermann (Freitag, 11 Uhr, Kolpinghaus) – dem Thema sexueller Missbrauch so gut wie gar nicht stellt, ist gerade in Regensburg ein Armutszeugnis. Auf den T-Shirts der vier Domspatzen, die am Mittwoch über den Domplatz ziehen, steht, in welchem Punkt dieses Bistum deutschlandweit an der Spitze steht: beim „Vergessen, Verschweigen, Verleugnen und Vertuschen“. Der zuständige Bischof Voderholzer empfiehlt auch den Gläubigen beim Katholikentag lieber andere Veranstaltungen.
Auf dem Domplatz bekommen die Helfer am Mittwoch irgendwann die Anweisung, die blauen Absperrbänder, die den Durchgang freihalten, wegzunehmen. Dann sammeln sich die Besucher auch auf der Straße und die vier Domspatzen kommen mit ihrem mahnenden Marsch nicht mehr durch. Thema erledigt.