Milde für den verlorenen Sohn
Für einen Zechpreller aus der Oberpfalz ließ das Regensburger Amtsgericht heute Milde walten. Fast schon priesterlich wurde der Richter in seiner Urteilsbegründung.
Von David Liese
Was Hermann S. (Name geändert) vorgeworfen wird, hat es durchaus in sich. Gleich zwei Anklagen gegen ihn werden heute vor dem Amtsgericht Regensburg verhandelt. Stolze zwanzig Male soll der 26-Jährige aus dem Landkreis Cham die Zeche geprellt haben – mal in Wirtshäusern, mal in Restaurants, einmal sogar in einem 4-Sterne-Hotel.
Doch damit nicht genug. Obendrein wird ihm zur Last gelegt, den Heustadl seiner Eltern in Falkenstein in Brand gesteckt zu haben. Nicht absichtlich, sondern fahrlässig: Nach einer durchzechten Nacht im Februar wollten S.s Eltern ihren Sohn nicht ins Haus lassen, obwohl er dort wohnte. „Weil der Bab‘ das ned wollte, dass ich betrunken heimkomme“, gibt S. vor Gericht in starkem Dialekt an. Einen Hausschlüssel besaß er nicht.
Ins Heu gelegt und eine Zigarette angezündet
Nach kurzem Überlegen habe er sich ins Heu in der angrenzenden Scheune gelegt und sich eine Zigarette angezündet. Dann sei er eingeschlafen. Sein Glück, dass ihn der Brandgeruch rechtzeitig aufweckte, um sich zu retten. Für die Scheune kam jede Rettung zu spät – sie brannte vollständig ab, so dass ein Schaden von etwa 250.000 Euro entstand.
Hermann S. gibt alles, was ihm vorgeworfen wird, zu. Sein Verteidiger, Andreas Alt, versucht, Erklärungen für das Verhalten des Mannes zu finden, der keine Berufsausbildung hat, bis zu seiner Festnahme im März arbeitslos war und den Anschluss an seine Familie vollständig verloren hat. Sein Mandant habe ein akutes Alkoholproblem, so der Rechtsanwalt. In der besagten Nacht habe er „acht oder zehn oder zwölf Halbe und ein paar Schnaps“ intus gehabt. „Ich wäre da schon lange tot.“
Arbeitslos, obdachlos, alkoholabhängig – perspektivlos
Das Verhältnis zu S.s Eltern sei schon vorher nicht gut gewesen. Nach dem Feuer sei er „de facto von zu Hause rausgeschmissen worden.“ Danach lebte er auf der Straße, schlief in Bushaltestellen und Eingängen von Bankfilialen. In diesen Zeitraum fallen auch die Zechprellereien. „Er hatte nichts zu essen“, erklärt Alt, „und keine Mittel, um sich etwas zu kaufen.“
Nach einem kurzen Aufenthalt im Bezirkskrankenhaus, wo er sich einer Entgiftung unterzogen hatte, sei er „vor die Tür gesetzt worden, weil kein Therapieplatz da war.“ Da sei S. wiederum „in ein Loch gefallen.“ Hermann S. selbst schweigt den überwiegenden Teil der Verhandlung. Wenn er gefragt wird, antwortet er kurz und nuschelnd. Er wirkt leer, beschämt, perspektivlos.
„Wie soll es mit Ihnen weitergehen?“
Richter Christian Ehrl, Staatsanwalt Markus Herbst und Rechtsanwalt Alt erörtern in einem Gespräch hinter verschlossenen Türen eben jene „Perspektivlosigkeit“, wie sie Ehrl selbst nennt. „Wie soll es mit Ihnen weitergehen?“, fragt er S. danach im Gerichtssaal. Wenn eine Bewährungsstrafe für ihn rausspringen sollte, „stehen Sie wieder auf der Straße. Was dann?“
Sein Rechtsanwalt bietet eine mögliche Antwort. S. habe sich in Haft selbstständig um einen Therapieplatz gekümmert, um seine Alkoholkrankheit in den Griff zu bekommen. Schon ab kommenden Montag könne er eine 16-wöchige Langzeittherapie in Furth im Wald antreten. Die Finanzierung dafür sei ebenfalls abgesichert. Bis Montag wolle er in einer Obdachlosenunterkunft schlafen.
„Beim ersten Termin hätte ich Sie eingesperrt.“
In der Urteilsverkündung bestätigt sich dann der Eindruck, den man schon im Laufe der Verhandlung gewonnen hat: Christian Ehrl lässt Milde walten. Er verurteilt Hermann S. zu eineinhalb Jahren Bewährungsstrafe. Die Strafaussetzung sei aber keinesfalls ein „Selbstläufer“. „Eigentlich ist ihre Perspektivlosigkeit nicht für eine gute Sozialprognose geeignet. Sie haben nix – null!“, so Ehrl. Im Normallfall hieße das, dass eine Bewährung nicht in Frage komme. Insofern habe S. Glück, dass seine Verhandlung um vier Wochen verschoben wurde. „Beim ersten Termin hätte ich Sie eingesperrt“, macht Ehrl deutlich.
Die Zusage für die Langzeittherapie reiße die Sache aber herum. Dennoch stehe die Bewährung „Spitz auf Knopf“. „Wenn Sie sich am Samstag oder Sonntag was ansaufen und die Therapie gefährden, können Sie gleich wieder zurück in die JVA gehen.“
Richter: „Es ist ja bald Katholikentag.“
Dass Ehrl nicht die Eltern des Angeklagten als Zeugen geladen habe, will der Richter als Chance für Hermann S. verstanden wissen. „Das wäre ein emotionaler Kessel gewesen, der sehr explosiv geworden wäre. Ich will, dass Sie Ihre Familie erst wiedersieht, wenn Sie die Therapie erfolgreich abgeschlossen haben.“
Vielleicht kehre ja dann der „verlorene Sohn“ zurück. „Es ist ja bald Katholikentag“, so schließt Ehrl seine Sitzung. Diese dem mehrtägigen Kirchenfest vorauseilende Nächstenliebe nimmt S. gern entgegen und erklärt durch seinen Anwalt den Verzicht auf Rechtsmittel. Staatsanwalt Herbst schließt sich an. Das Urteil ist damit rechtskräftig.