Mut zu Lucke
Begleitet von Protesten absolvierte AfD-Bundeschef Bernd Lucke am Freitag seinen ersten Wahlkampfauftritt in Regensburg. 54 Sitzblockierer wurden vorläufig festgenommen.
Von David Liese und Stefan Aigner
Am Ende wird „O Fortuna“ aus Carl Orffs Carmina Burana eingespielt. Damit verabschiedet die Alternative für Deutschland ihren Bundessprecher Bernd Lucke aus Regensburg. Der hat seiner Anhängerschaft in der vollbesetzten RT-Halle gerade gute 45 Minuten lang das erzählt, was sie hören will.
„Geistige Brandstiftung“
Schon gute zweieinhalb Stunden zuvor versammeln sich am Freitagnachmittag etwa 120 Menschen wegen der Veranstaltung der AfD zur Europawahl. Allerdings handelt es sich bei ihnen nicht um Anhänger, sondern um Gegner von Lucke und seiner Mannschaft. Die Falken, die Antifa, aber auch Flüchtlingsaktivisten sowie viele weitere Gruppierungen und Einzelpersonen marschieren vom Ernst-Reuter-Platz quer durch die Stadt zur RT-Halle. Friedlich, aber deutlich macht man sich bemerkbar: Mit Sprechchören wie „AfD Nazischeiß, wir machen euch die Hölle heiß“ oder „Lucke vertreiben, Flüchtlinge bleiben“ zieht man die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich.
„Bernd Lucke betreibt heute in der RT-Halle geistige Brandstiftung“, spricht ein Verantwortlicher der Falken durch ein Megafon. Die AfD, die bei der Bundestagswahl nur knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, hetze gegen sozial Schwache und wolle nicht Armut bekämpfen, sondern Arme. Willkommen sei ihr nur, wer der Wirtschaft diene.
„Nazis, Nazis!“ „Die meinen wohl sich selber!“
Am Schopperplatz, etwa 300 Meter von der RT-Halle entfernt, wird der Demonstrationszug schließlich von der Polizei gestoppt. Vereinzelt mischen sich erste Besucher der Parteiveranstaltung zwischen die Reihen der Einsatzbeamten. Sie beäugen die Demonstranten misstrauisch. Im Gegenzug fallen vereinzelte „Nazis, Nazis!“-Rufe.
„Die meinen wohl sich selber“, sagt ein AfD-Sympathisant und wendet sich kopfschüttelnd ab. Zwei Jungen, vielleicht fünf Jahre alt, laufen mit Wasserpistolen zwischen Demozug und RT-Halle herum, rufen immer wieder lachend „Nazis, Nazis“ vor sich hin, ehe sie ein älterer Herr von der AfD beiseite nimmt und ihnen in väterlichem Ton erklärt: „Hier hinten gibt es keine Nazis. Die stehen da vorn, auch wenn sie sich anders nennen.“
Unterdessen füllt sich die Halle stetig. Sind es anfangs nur eine Handvoll AfD-Interessierte mit hohem Altersdurchschnitt, müssen , ehe Lucke auf die Bühne treten kann, sogar noch Stühle hinzugestellt werden, damit jeder Platz findet. Verena Brüdigam, Mitglied im Bundesvorstand der Partei und Regensburger Direktkandidatin bei der Bundestagswahl 2013, freut sich über so reges Interesse. Es sei die erste Großveranstaltung mit Lucke in der Region, sagt sie.
CSU-Europaplan: eine „billige Kopie“
Der Star des Abends bespricht sich unterdessen noch kurz mit einem der Saalordner neben der Bühne. Dann lässt er einen stolzen Vater ein Foto von sich und einem jungen Fan machen. Ein AfD-Anhänger, der schon die ganze Zeit fleißig mit Fotografieren beschäftigt ist, richtet eine kleine mobile Filmkamera von der Bühne aus auf das Publikum, nimmt immer wieder kurze Sequenzen auf.
Dann eröffnen der AfD-Kreisvorsitzende Matthias Menschel und der Bezirksvorsitzende für die Oberpfalz, Werner Meier, den Abend. Beide halten die Alternative für Deutschland noch einmal offensiv hoch, bereiten Lucke das Feld. Das Datum der Parteigründung sei ein „Tag der Freiheit und der Demokratie“ gewesen, sagt Menschel, und Meier wettert, der neue CSU-Europaplan sei eine „billige Kopie“ des Wahlprogramms der AfD. „Bitte lassen Sie sich von dieser billigen Kopie nicht beeindrucken, sondern wählen Sie das Original!“, fordert er das Auditorium auf.
Sitzblockade am Pfaffensteiner Steg
Währenddessen haben sich etwa 50 Gegendemonstranten auf dem Pfaffensteiner Steg zu einer Sitzblockade niedergelassen. Sie wollen die Zufahrt zur RT-Halle blockieren. Die Polizei versucht zunächst zu vermitteln. Nach etwa einer Stunde beginnen die Bereitschaftsbeamten, Person für Person wegzutragen und mit Bussen auf die Wache am Protzenweiher zu bringen. Das ganze läuft weitgehend reibungslos und friedlich ab, dauert aber – erst um kurz vor sieben Uhr ist die Blockade aufgelöst.
Die Polizei wird später 54 Festnahmen und genauso viele Anzeigen wegen Nötigung sowie zwei Anzeigen wegen Körperverletzung vermelden. Eine Demonstrationsteilnehmerin zeigt einen Besucher der Lucke-Veranstaltung wegen Volksverhetzung an. Er soll im Vorbeigehen den Holocaust relativiert haben. Rund um die Blockade entwickeln sich unterdessen hitzige Diskussionen um Demokratie und Meinungsfreiheit. „Die sollte man mal mit dem Wasserwerfer durchwaschen“, murmelt eine ältere Frau im Vorbeigehen.
Zurück in der RT-Halle: Hier hat Bernd Lucke mittlerweile das Podium betreten. Er nimmt gleich zu Beginn seiner Rede Bezug auf die Gegendemonstranten. Die seien eine „Schande für unser Land“. Das Publikum quittiert das mit Applaus. Draußen vor der Tür werden „verdächtige Personen“ mittlerweile abgewiesen. Sie dürfen nicht mehr in die Halle.
Früher, so steigt Lucke unterdessen in den inhaltlichen Teil seiner Rede ein, habe es für die Bundesbürger Wahlmöglichkeiten gegeben – klare Alternativen, zwischen denen man sich per Stimmenabgabe entscheiden hätte können. Heute sei das anders. Die „alternativlose Politik“ der Bundeskanzlerin und die gemeinsame Meinung der „Altparteien“ habe die AfD notwendig gemacht. „Frau Merkel war Taufpatin unserer Partei“, so Lucke.
„Das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes“
Dann kommt er auf die Schweiz zu sprechen. Dort habe das Volk erst kürzlich „dafür votiert, dass man Zuwanderung haben möchte. Es ist überhaupt nicht wahr, dass die Schweiz fremdenfeindlich ist.“ Die Zuwanderung solle eben nur auf bestimmte Kontingente begrenzt sein. Der Hintergrund: Erst Anfang Februar war eine Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“ in der Schweiz mit hauchdünnen 50,3 Prozent der Stimmen erfolgreich. Vor diesem Hintergrund verstehen viele Kritiker die Wahlplakate der AfD zur Europawahl, die den Slogan „Die Schweiz ist für Volksentscheide. Wir auch.“ tragen. Die Reaktion der EU auf das Schweizer Referendum findet Lucke „beschämend.“ Schließlich sei „das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes“ doch „das Entscheidende“.
Der AfD-Sprecher, der noch bis Ende September an der Universität Hamburg als Professor beurlaubt ist, malt ein Szenario des „Bundesstaates Europa“, das „wohl auf uns zukommt“ – auch wenn er und seine Partei das verhindern wollen. Nach einem Randkommentar zur Situation in der Ukraine – auch hier will Lucke Referenden der einzelnen Regionen, in denen diese entscheiden sollen, ob sie zur Ukraine oder zu Russland gehören wollen – kommt er dann auf sein vermeintliches Lieblingsthema zu sprechen.
Wenn die Konsequenz des Euros eine „europäische Wirtschaftsregierung“ sei, dann „will ich den Euro nicht.“ Dieser Teilsatz erntet den bislang lautesten Applaus. Durch die gemeinsame Währung sei „die Europäische Union auf ein falsches Gleis geraten.“ Die Einführung des Euro sei „ein großer Fehler“ gewesen, habe für eine „Umverteilung in Europa“ gesorgt – Deutschland sei einer der „Nettozahler“ in der Union. Die „Europa-Euphorie“ der „Altparteien“ sei „überzogen“.
„Ohne Scham über deutsche Interessen sprechen.“
„Wir haben uns in Deutschland viel zu sehr angewöhnt, alles, was deutsches Interesse ist, höchstens als europäisches Interesse verbrämt zu äußern“, sagt Lucke weiter. Aus diesem Grunde habe man sich für den Wahlslogan „Mut zu Deutschland“ entschieden, der ebenfalls auf vielen Wahlplakaten prangt – unterlegt mit der schwarz-rot-goldenen Fahne. Der AfD-Mann fordert: „Wir müssen offen und ohne Scham über unsere deutschen Interessen sprechen.“ „Deutsches Interesse“ sei es zum Beispiel nicht, dass die Einlagen der Sparer durch den niedrigen Zins nichts mehr wert seien. Wieder gibt es großen Beifall.
Das Ende seines Vortrags will Lucke „persönlich“ halten. Die „Anfeindungen“ gegen ihn, seine Partei und seine Wähler würden „schmerzen und verletzen“, ruft er. Aber: „Aufgeben wäre die falsche Reaktion“ – dann würden „die da“ durch ihre „widerlichen Mittel“ genau das erreichen, was sie wollten. Im Gegenteil müssten diese Reaktionen auf seine Partei – Lucke bezeichnet sie auch als „kleinen demokratischen Opponenten“ – „Ansporn sein, unseren Kampf fortzusetzen“.
„Die Grünen kommen vom Linksfaschismus“
Das Publikum springt auf, jubelt dem Makroökonomen mit dem unverwüstlichen Dauerlächeln frenetisch zu. Der lässt sich feiern, beantwortet dann noch drei Fragen aus dem Publikum. Anschließend donnert „O Fortuna“ los, verabschiedet Lucke nicht ohne einen Hauch von Größenwahn. Der Bundessprecher fährt weiter nach Erlangen, wo er ab 19.30 Uhr im Redoutensaal sprechen soll.
Vor der RT-Halle stehen unterdessen noch immer einige Gegendemonstranten mit Transparenten gegen Rassismus und Homophobie. Sie wollen den Besuchern, die das Veranstaltungsgelände verlassen, noch einmal direkt entgegentreten. Ein AfD-Anhänger nimmt das als Anlass, gegen die anwesenden „Linksextremisten“ zu schimpfen, die Grüne wie Volker Beck oder Daniel Cohn-Bendit in ihren Reihen hätten. Aus der Ecke des „Linksfaschismus“ kämen diese Grünen ja. In einem Satz bringt der ältere Herr schließlich Homosexualität in einen direkten Zusammenhang mit Pädophilie. Eine korpulente Frau feixt: „Ich muss schon sagen, ihr seid tapfer. Aber dumm.“
So geht eine Wahlkampfveranstaltung zu Ende, die die AfD sicherlich als Erfolg für sich verbuchen wird. In Regensburg ist es der Partei gelungen, sich als bürgerliche und gemäßigte Gruppierung zu präsentieren – auch wenn Bernd Luckes Rede unverkennbar nationalkonservative Züge trug und bisweilen sehr populistisch anmutete. Offene Fremdenfeindlichkeit konnte man dem Makroökonom, der in der Vergangenheit schon Einwanderer als „sozialen Bodensatz“ und Sinti und Roma als problematische „Randgruppen“ bezeichnete, zumindest an diesem Abend nicht unterstellen.