„Ich hatte auch Angst davor, dass der Russe kommt“
Er ist bislang der Kandidat mit den wenigsten Wahlplakaten und den wenigsten Fotos in der Mittelbayerischen Zeitung, darf sich aber dafür auf die Fahnen schreiben, die meisten (verbalen) Watschen im Stadtrat eingefangen zu haben („Wendehalskommunist“, „rote Socke“, „gnadenloser Demagoge“ etc.) und häufiger Auslöser von Wutanfällen des Bürgermeister-Trios zu sein: Richard Spieß (ein Porträt aus dem Jahr 2012). Seit 2004 ist der selbständige Handwerker bei der Linken (damals noch WASG) und kandidiert nun zum zweiten Mal als Oberbürgermeister-Kandidat. Im Interview erzählt er uns, warum in Verwaltungsvorlagen Schaidingers Wunschzahlen stehen, wohin ihn sich manche Medien wünschen und wie er den überhitzten Immobilienmarkt in den Griff bekommen möchte.
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Hallo Herr Spieß. Letzte Woche habe ich in der Zeitung gelesen, dass Sie der katholischen Kirche in Regensburg die Kindergärten wegnehmen wollen. Müssen Sie so auf die Pauke hauen, um in die Medien zu kommen?
Wir wollen doch niemandem die Kindergärten wegnehmen. Wir wollen, dass die Stadt die Trägerschaft der Angestellten in katholischen Kindergärten übernimmt. Damit wollen wir erreichen, dass die Leute aus diesen – aus meiner Sicht – rechtswidrigen Arbeitsverhältnissen herauskommen.
„Der Bürgermeister hat gleich den Untergang des Abendlandes heraufbeschworen.“
Das Thema ist nicht wirklich neu. Kennen Sie Menschen, die tatsächlich unter diesen Arbeitsbedingungen leiden oder bedienen Sie hier nur eine kirchenkritische Klientel, um so mal wieder in die Zeitung und an Wählerstimmen zu kommen?
Ich kenne zum Beispiel eine Person, die seit vielen Jahren bei der katholischen Kirche im Kindergarten arbeitet und die eine Beziehung mit einem geschiedenen Partner führt. Bei der Arbeit erzählt sie das nicht, aus Angst, ihren Job zu verlieren. Da frage ich mich schon, ob wir im 21. Jahrhundert leben. In der Praxis sehen zwar die Vorgesetzten meistens über so etwas erst einmal hinweg, aber im Konfliktfall ist das ein Kündigungsgrund. Menschen, die geschieden, schwul oder lesbisch sind, werden einfach erpresst, nach dem Motto: Wenn Du nicht spurst, dann… Das muss aufhören. Dass Menschen in einer Lebenslüge leben und ihren Partner verleugnen müssen, ist ein Unding. Ganz abgesehen von den arbeitsrechtlichen Auswirkungen, die eine Beschäftigung bei der Kirche birgt.
Dabei trägt auch bei kirchlichen Einrichtungen der Staat häufig über 90 Prozent der Kosten, wenn nicht gar wie bei Krankenhäusern über Krankenkassenbeiträge 100 Prozent. Die Stadt könnte prüfen, ob es möglich wäre, die Trägerschaft für diese Beschäftigten zu übernehmen, während die Gesamtträgerschaft bei der Kirche bleibt. In Osnabrück etwa wurde kürzlich die Stadtverwaltung per Ratsbeschluss aufgefordert zu prüfen, ob bei künftigen Verträgen mit kirchlichen Trägern Vereinbarungen getroffen werden können, die den Beschäftigten dort die vollen Arbeitnehmerrechte gewährleisten.
Ihr Antrag wurde aber bereits im Jugendhilfeausschuss einstimmig abgelehnt. So einfach, wie Sie sich das vorstellen, scheint das also nicht zu gehen.
Das war die beratende Sitzung eines Ausschusses, in dem wir weder Stimm- noch Rederecht haben. Bürgermeister Gerhard Weber hat als Sitzungsleiter unseren Antrag völlig falsch dargestellt und den Untergang des Abendlandes heraufbeschworen. Das war einfach unterirdisch. Wichtig wird jetzt die Diskussion im Stadtrat werden.
„Ein Stadtrat Spieß ist nicht weniger wert als ein Stadtrat Hartl“
Sie beschweren sich also wieder einmal über Abläufe. Das ist nichts Neues. In den letzten Jahren haben Sie immer wieder beklagt, dass Sie als Linken-Stadträte nicht den gleichen Zugang zu Informationen hätten wie die Fraktionen der anderen Parteien und mehr Transparenz angemahnt. Gibt es nichts Wichtigeres als sich nur über Formalia zu streiten?
Das ist nichts Unwichtiges, sondern etwas sehr Grundsätzliches. Hier geht darum, wie Demokratie in Regensburg funktioniert. Wir haben aktuell ein Schreiben der Regierung der Oberpfalz, bei der wir uns über die andauernde Ungleichbehandlung beschwert haben. Die Regierung schreibt unmissverständlich, dass wir benachteiligt wurden und dass das nicht rechtens ist. Jetzt geht es darum, ob das auch irgendwelche Konsequenzen haben wird und da werden wir nicht nachgeben. Es gehört eben auch zu meinen Aufgaben als Stadtrat, dafür zu sorgen, dass es keine Ungleichbehandlung gibt. Ein Stadtrat Spieß ist nicht weniger wert als ein Stadtrat Hartl.
„Mit Viertelwahrheiten kommt man nicht mehr durch.“
Aber worum geht es Ihnen eigentlich inhaltlich? In Ihrem aktuellen Wahlwerbespot treten Sie mit dem Spruch auf: „Weil Macht echte Kontrolle braucht.“ Wo haben Sie die Macht in den letzten sechs Jahren effektiv kontrolliert?
Das meiste kann ich nicht detailliert erklären, weil es sich in aller Regel um Angelegenheiten aus nichtöffentlichen Sitzungen handelt. Aber da gab es zum Beispiel einen dubiosen Grundstückskauf am Donaumarkt zu einem völlig überhöhtem Preis. Dass wir damals sogar Anwälte bemüht haben, hat zumindest dazu geführt, dass der Stadtrat darüber aufgeklärt wurde, was dort gemacht wurde.
Ein anderes Beispiel: Der Rechnungsprüfungsausschuss hat bei einem Gebäude bemängelt, dass die Vergabe nicht so gelaufen ist, wie das im Bau- und Vergabeausschuss beschlossen wurde. Mein Einhaken hat dazu geführt, dass der Sache jetzt nachgegangen wird. Und schon jetzt ist klar: Da stimmt etwas nicht. In so einem Fall sagt auch einmal ein Joachim Wolbergs: „Bleib an der Sache dran.“ Es ist also nicht so, dass nicht auch andere Parteien darüber froh wären, dass es jemanden gibt, der sich auch traut, ein heißeres Eisen anzufassen und nicht immer nur drinsitzt und schön nickt. Unser Einhaken führt dazu, dass Stadträte besser und richtiger informiert werden als zuvor. Mit Viertelwahrheiten oder falschen Aussagen kommt man nicht mehr so einfach durch.
„Weil Schaidinger das wollte, wurde eine Vorlage schöngerechnet“
Sie wollen behaupten, dass die Verwaltung den Stadtrat belügt?
Das möchte ich so jetzt nicht sagen. Generell gibt es nur wenig Probleme mit der Verwaltung. Dort arbeiten eben loyale Beamte, die nach Anweisung handeln. Normalerweise müsste eine Verwaltung eine Vorlage machen, in der alle verfügbaren Informationen stehen und dann beginnt der Meinungsbildungsprozess. In Regensburg funktioniert das so, dass der Oberbürgermeister sagt, was er haben möchte und die Beamten der Verwaltung haben dann die Aufgabe, eine Vorlage zu schreiben, bei das, was der Oberbürgermeisters will als einzig machbare Möglichkeit herauskommt. So sieht es doch aus.
Das war jetzt wieder nur ein allgemeiner Vorwurf. Geht es nicht ein bisschen konkreter?
Also gut. In einer der letzten Sitzungen gab es ein ganz besonderes Schmankerl. Es wurde eine Vorlage zu einer Baumaßnahme eingebracht, von der klar war, dass sie eine Million Euro kosten wird. Weil aber Hans Schaidinger wollte, dass in der Vorlage 750.000 Euro stehen, wurden diese Kosten so lange schön gerechnet, bis das dort stand. Bei der Diskussion kam das heraus und als am Ende gefragt wurde, warum die tatsächlichen Kosten nicht von Anfang an in der Vorlage standen, hat der betroffene Beamte gesagt: „Ich bin loyal und wenn ich angewiesen werde, 750.000 hinzuschreiben, dann tue ich das.“
„Beamte im Ordnungsamt dürfen mir nicht sagen, wo ich plakatieren darf.“
Das hört sich ziemlich unglaublich an.
So ist es aber. In Regensburg hat es dieselbe Verwaltung mit demselben Personal unter derselben Führung ja auch geschafft, den Ernst-Reuter-Platz mal als den schlechtesten, mal als den besten Stadthallen-Standort zu bewerten. Wenn Beamte so arbeiten, dann lässt das den Rückschluss zu, dass die Führung so streng zu sein scheint, dass sogar gestandene Amtsleiterinnen und Amtsleiter die Hosen voll haben.
Das hat nichts mit der Linken zu tun. Wir haben ein echtes Problem mit der Demokratie in dieser Stadt. Auf die Verwaltung wird Druck ausgeübt, um Informationen von den Stadträten, vor allem denen aus der Opposition, fernzuhalten. Das führt dann auch zu Auswüchsen, die dann fast schon wieder witzig sind. Beamte im Ordnungsamt dürfen mir zum Beispiel nicht sagen, wo wir unsere Wahlplakate aufhängen können und wo nicht. Die haben eine Anweisung von ganz oben, keine Auskünfte an Stadträte zu geben. So läuft das in Regensburg.
„Bei einem solchen Haushalt kann ich unmöglich zustimmen.“
Schade, dass man davon so selten etwas erfährt. Auch von Ihnen. In der Öffentlichkeit werden die Linken ja weniger als diejenigen wahrgenommen, die recherchieren und etwas aufdecken, sondern als Stadträte, die gegen alles stimmen: gegen das Fußballstadion, das Haus der Musik und in schöner Regelmäßigkeit auch immer gegen den kompletten Haushalt.
Den Haushaltsplänen, die ich jedes Jahr vorgelegt bekomme, kann ich einfach nicht zustimmen. Dort steht nicht ein einziges der sozialen Projekte drin, die seit langem nötig wären. Energetische Sanierungen wie am Siemensgymnasium und an der Kreuzschule werden immer wieder geschoben, obwohl das seit Jahren überfällig wäre.
Und außerdem ist der Haushalt ein totales Wunschkonzert. Da steht immer weit mehr drin, als tatsächlich umgesetzt werden kann. Und gestrichen wird dann wieder ganz undemokratisch – durch die Verwaltung, also den Oberbürgermeister.
Und, weil Sie das Fußballstadion erwähnen: Wenn ich sehe, dass ein Antrag auf tarifliche Bezahlung von Pflegekräften im Bürgerheim Kumpfmühl aus angeblichen Kostengründen abgelehnt wird, aber man stattdessen für zig Millionen ein Stadion baut, wenn es also solche Diskrepanzen in einem Haushalt gibt, dann ist es für mich ein Ding der Unmöglichkeit, dem zuzustimmen.
„Das neue Stadion kostet bei jedem Jahn-Spiel so viel wie ein Jahr gerechte Bezahlung im Bürgerheim“
Der Vergleich zwischen einem Fußballstadion und der Bezahlung von Pflegekräften ist etwas populistisch. Das eine ist eine einmalige Investition in Infrastruktur, das andere eine alljährliche Ausgabe.
Wieso ist das populistisch? Wenn das Stadion fertig ist und man die Kosten umlegt, wird die nächsten 30 Jahre jedes einzelne Spiel des SSV Jahn mit 160.000 Euro subventioniert werden. Dieselbe Summe wäre im Jahr nötig, um die Beschäftigten im Bürgerheim Kumpfmühl nach Tarif zu bezahlen. Dabei wäre ich nicht einmal grundsätzlich gegen ein Stadion.
Was soll das heißen, Sie wären nicht grundsätzlich gegen ein Stadion? Sie haben im Stadtrat dagegen gestimmt und zwar durchgängig.
Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn die Stadt das Grundstück für ein Stadion kostenfrei zur Verfügung gestellt hätte. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn die Stadt für die Infrastruktur und das Drumherum aufgekommen wäre. Da wäre ich sofort dabei gewesen. Ich bin auch Fußballfan und schaue auch gern Fußball. Aber den Jahn faktisch für die nächsten 30 Jahre kostenfrei zu stellen und zwar egal, wo dieser Verein rumkickt und egal, wie sich dieses Management anstellt – das halte ich für Humbug. Das dem Steuerzahler aufzubürden ist eine Farce.
Genau so ist das mit dem Haus der Musik. Wir sind vehement für ein Haus der Musik, aber doch nicht im ehemaligen Polizeipräsidium am Bismarckplatz, das nicht zuletzt wegen des Denkmalschutzes nur sehr aufwändig umgebaut werden kann und deshalb viele Millionen verschlingt. Das Gebäude am Bismarckplatz ist außerdem nicht erweiterbar. Dort geht nichts mehr. Wenn man stattdessen einen zukunftsfähigen Bau für alle Bedürfnisse und mit Erweiterungsmöglichkeiten geplant hätte, dann hätten wir einem solchen Projekt zugestimmt.
„Mit dem Wohngeld bezahlen wir letztlich die Gewinne der Investoren“
Jetzt haben Sie wieder viel kritisiert. Aber nicht erst seit Christian Schlegl und seinem Tunnel-Vorschlag weiß man doch, dass Oberbürgermeister-Kandidaten auch Visionen brauchen. Haben Sie welche?
Eines muss ich klar gestehen: Uns fehlen diese großen Visionen eines Christian Schlegl. Leider können wir uns einen Tunnel unter der Altstadt für ein paar hundert Millionen nicht vorstellen. Aber es gibt große Projekte, die wir gerne angehen würden. Eine Stadtbahn unterstützen wir seit Jahren und setzen uns dafür ein. Dafür würden wir auch richtig Geld in die Hand nehmen. Immer wieder kreide ich in meiner Haushaltsrede an, dass jedes Jahr 150.000 Euro in den Haushalt eingestellt, aber nie abgerufen werden, weil man in Wahrheit keinen Planungsgedanken an die Stadtbahn verschwendet.
Wir hätten auch gern die zehn Millionen Euro in die Hand genommen, um die GBW-Wohnungen in Regensburg zu kaufen. Das wäre ein Geschenk des Himmels gewesen. So billig wird man nie wieder Wohnungen in Regensburg bekommen. Das wäre ein Projekt gewesen, das sich völlig selbständig finanziert und den Steuerzahler keinen Cent gekostet hätte. Nach 15 Jahren wären die Wohnungen in Eigentum der Stadtbau gewesen und wir hätten auf diese Weise wieder mehr Wohnungen im Einflussbereich der Stadt gehabt, um die Mieten nicht völlig ausufern zu lassen.
Das wären so Visionen von einem linken Stadtrat Spieß. Eine solidarische Gesellschaft zu finanzieren. Ohne Zweifel kostet Solidarität Geld. Aber es ist die falsche Solidarität, sich hinzustellen und zu sagen: „Wir geben so und so viele Millionen für Wohngeld aus“, wenn damit nur überteuerte Mieten und letztlich Gewinne von Investoren bezahlt werden. Das ist nichts anderes als eine Umverteilung von Steuergeldern von unten nach oben.
„Böse Investoren wären gute Investoren, wenn wir die nötigen Vorgaben machen“
Sie sind selbständiger Unternehmer. Trotzdem haben Sie dieses Bild von den bösen Unternehmern und Investoren?
Nein. Diese bösen Investoren wären auch gute Investoren, wenn man ihnen die nötigen Vorgaben macht. Wenn man einem Investor das Grundstück für einen günstigen Preis gibt und entsprechende Verträge schließt, dann realisiert er dort auch Wohnung, die man für sechs Euro pro Quadratmeter vermieten kann. Dem Investor ist das doch wurscht. Der will Gewinn machen, wenn er investiert. Das muss ich als selbständiger Handwerker auch, wenn ich von etwas leben will und daran ist erstmal nichts zu kritisieren. Aber mir ist es doch auch egal, ob ich als Handwerker eine Tiefgarage für einen Sozialbau oder ein Luxusprojekt abdichten muss.
„Wenn man für neun Euro Mietpreis pro Quadratmeter nicht bauen könnte, dann gäbe es keine einzige Wohnung in Weiden, Straubing oder Tirschenreuth.“
Das hört sich jetzt sehr schön an, aber mancher Bauträger, selbst Stadtbauchef Joachim Becker sagt, dass die Baupreise zwischenzeitlich so hoch sind, dass Kaltmieten von neun Euro pro Quadratmeter notwendig sind, um neue Wohnung rentabel realisieren zu können.
Der Preis einer Wohnung errechnet sich aus den Erstellungskosten und den Grundstückskosten. Es ist ein entscheidender Faktor, ob ich 500 Euro für den Quadratmeter Grund bezahle oder 100 Euro. Dass aber das Bauen derart teuer geworden wäre, wird weitgehend hochgespielt. Ich bin jetzt seit über 30 Jahren im Baugewerbe. Und die Netto-Erstellungskosten sind bei Weitem nicht so stark gestiegen wie die Immobilienpreise und die Mieten.
Wäre es so, dass man unter neun Euro pro Quadratmeter nicht bauen könnte, dann gäbe es keine einzige Wohnung in Weiden, in Straubing oder Tirschenreuth. Denn für diesen Preis würde man dort nicht einmal ein Luxusapartment vermieten. Das ist einfach eine Lüge und fertig. Die Baufirma aus dem Bayerischen Wald verlangt für den Kubikmeter Beton in Regensburg nicht mehr als in Weiden. Die großen Gewinne werden beim Handel mit Immobilien erzielt und da entsteht in Regensburg eine immer größere Blase. Daran verdienen ein paar Investoren und wenn die Blase platzt und die Preise ins Bodenlose fallen, dann haben die ihren Reibach gemacht. Schuld daran ist die Stadt, weil sie seit Jahren nichts unternommen hat.
„Wir brauchen mehr Wohnungen im Einflussbereich der Stadt“
Wie würden Sie dann das Problem bezahlbarer Wohnraum angehen? Christian Schlegl verspricht 10.000 neue Wohnungen, Joachim Wolbergs Geld für die Stadtbau. Was verspricht Richard Spieß?
Vermutlich 90 Prozent des Baugrunds in Regensburg stammt von der Stadt. Sie kauft Grundstücke auf, macht daraus Bauland und verkauft es wieder. So werden viele Millionen Gewinn gemacht, weil die Stadt das so teuer wie möglich verkauft, selbst bei Bauflächen, die sie als sozial bezeichnet. Wenn man etwa sieht, dass in Burgweinting, also schon ein Stückchen außerhalb, bei einem sogenanntem sozialen Wohnprojekt noch 300 Euro pro Quadratmeter verlangt werden, dann muss man sich nicht wundern, wenn insgesamt Wohnen teuer ist. Meine Idee, von der ich auch glaube, dass sie die einzig realistische ist, wäre: Die Stadt muss wieder viel mehr in Eigenregie oder zumindest unter ihrem direkten Einfluss bauen.
Das hätte zwei Effekte: Die Wohngeldzahlungen würden einerseits drastisch sinken und andererseits würde das auch den Mietspiegel beeinflussen und für ein günstigeres Mietniveau sorgen. Dazu wäre natürlich ein wesentlich höherer Wohnbestand unter dem Einflussbereich der Stadt notwendig. Da brauchen wir schon 15.000 bis 20.000 Wohnungen unter dem Einfluss der Stadt, nicht unbedingt in ihrem Besitz. Aber über Vergabekriterien könnte man langfristige Mietbindungen sichern oder den Weiterverkauf auf lange Sicht unterbinden.
Wie soll das dann vonstatten gehen?
Zum einen über die Stadtbau. Die bekommt den Baugrund umsonst, die Stadt trägt die Erschließungskosten und dann wird der realistische Preis errechnet, zu dem dann auch vermietet wird. Man könnte zum Beispiel auch Grund und Boden günstig an Genossenschaften abgeben und denen entsprechende Vorgaben machen. Das hätte auch Vorteil, dass diese Wohnungen auf lange Sicht für Spekulationen nicht zur Verfügung stehen und das wäre sicherer Wohnraum für Generationen. Die Baugenossenschaft Margaretenau etwa bietet eine der günstigsten Wohngegenden in ganz Regensburg.
„Die MZ ignoriert uns, für das Wochenblatt sind wir Kommunisten, die rüber gehen sollen…“
Das alles hört sich zumindest diskussionswürdig an. Warum machen Sie eigentlich keinen Wahlkampf?
Wir verschicken durchaus Pressemitteilungen und ich bin auch bei Diskussionen dabei. Aber das findet so gut wie keinen Niederschlag. Die Mittelbayerische Zeitung hat sich darauf versteift, dass mein Name möglichst nicht erscheinen darf. Mein Bild sowieso nicht. Das hat man zuletzt eindrucksvoll bei der Podiumsdiskussion der Sozialen Initiativen gesehen. Weil ich auf dem Podium zwischen Wolbergs und Schlegl gesessen bin, mussten auch die beiden darauf verzichten, mit Foto in der MZ zu erscheinen.
Wir werden einfach ignoriert und seit der Causa Götz und unserer Kritik an der Runtinger-Medaille scheint man bei der MZ ohnehin der Ansicht zu sein, dass die Linken am Besten die Stadt verlassen sollten. Beim Wochenblatt hat man sich schon seit längerem darauf verständigt, dass wir Kommunisten sind, die nichts aus der DDR gelernt haben und am Besten „rüber gehen“ sollten.
„Ich habe neben dem Eisernen Vorhang gelebt und dahinter war das Reich des Bösen.“
Na ja. Dass Sie Wendehalskommunisten und rote Socken sind, hört man ja im Stadtrat öfter. Und wenn man manchmal Christian Schlegl zuhört, könnte man glauben, Sie und Irmgard Freihoffer höchstpersönlich hätten von Bayern aus Ostdeutschland zugrunde gerichtet. Wie stehen Sie selbst zu Ihrer Partei? Was bindet Sie gerade in Bayern an die Linke?
Natürlich gibt es bei der Linken Dinge, die ich gern anders hätte. Es gibt Auseinandersetzungen, Meinungsbildungsprozesse und manchmal geht es ruppig zu. Man ist aber mit einer Partei nicht verheiratet und sie ist auch kein Selbstzweck, sondern ein Vehikel zur Veränderung der Gesellschaft. Die stärkste Kritik, die ich an der momentanen Gesellschaft habe, ist dieser Zwang zum andauernden Konkurrenzkampf. Das fängt im Kindergarten an und hört beim Sterben nicht auf. Ich möchte eine solidarische Gesellschaft und mehr Miteinander. Und bei diesem Ziel schneidet die Linke im Vergleich mit allen anderen Parteien für mich im Moment am Besten ab.
Außerdem: Diese Partei besteht aus einem Ost- und einem Westteil. 40 Jahre Antikommunismus im Westen und 40 Jahre ideologische Schulung im Osten zu vereinen ist einerseits eine unglaublich komplizierte Sache, andererseits ist diese Partei der Beweis dafür, dass das geht. Deswegen ist mir dieses Projekt auch wichtig. Ich bin aufgewachsen mit der Angst davor, dass der Russe kommt. Ich habe neben dem Eisernen Vorhang gelebt und dahinter war das Reich des Bösen. Zu lernen, dass man Dinge, die man mal völlig anders gesehen hat, einmal objektiv und unvoreingenommen betrachtet, ist ein Projekt, dass man in dieser Gesellschaft umsetzen sollte.