Sozialministerium zwischen Lügen und Ignoranz
Die hohen Fixierungszahlen in Taufkirchen sind dem Sozialministerium offenbar derart unangenehm, dass es bestreitet, etwas davon gewusst zu haben. Eine E-Mail an unsere Redaktion beweist: Das ist gelogen.
Fast 30 Stunden ans Bett gefesselt? Die durchschnittliche Dauer von Fixierungsmaßnahmen in der Frauenforensik in Taufkirchen war in der Vergangenheit ungewöhnlich hoch, um nicht zu sagen skandalös hoch. Und das völlig abseits des Falls, der derzeit Schlagzeilen macht: Eine transsexuelle Patientin wurde in Taufkirchen über 60 Tage am Stück ans Bett gefesselt.
Selbst Insider sind schockiert
Die Zahlen aus Taufkirchen, wo rund 160 psychisch kranke Straftäterinnen im Maßregelvollzug untergebracht sind, schockieren selbst Insider. Michael von Cranach, ehemaliger Leiter der Psychiatrischen Klinik Kaufbeuren mit angeschlossener Forensik, reagiert angesichts der Fixierungspraxis in Taufkirchen gegenüber dem Bayerischen Rundfunk mit Unverständnis:
„Ich finde das wahnsinnig lang. Das kann ich nicht nachvollziehen – das kann ich mir nicht vorstellen.“
Auch dem Bayerischen Sozialministerium – Kontrollinstanz für die Zustände im Maßregelvollzug – scheinen diese Zahlen peinlich zu sein. Man bestreitet einfach deren Kenntnis. Betrachtet man die Hintergründe, dann dürfte es sich dabei schlicht um eine glatte Lüge handeln.
Leiterin hat detaillierte Zahlen für das Ministerium erhoben
Unsere Redaktion hatte bereits im Dezember zu den Fixierungen in Taufkirchen nachgefragt. Die dortige Leiterin des Maßregelvollzugs Verena Klein hatte dazu schriftlich erklärt:
„Auf eine Anfrage des Ministeriums habe ich (…) die Zahlen ab November 2011 erhoben und geantwortet, dass vom 01.11.2011 bis 30.06.2013 (18 Monate) in der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie (…) Taufkirchen (Vils) insgesamt 18 Patientinnen im Rahmen von 337 Maßnahmen über im Durchschnitt 29,12 Stunden (gesamt 9813 Stunden) fixiert wurden, wobei eine massiv fremdaggressive Patientin alleine mehr als 1418 Stunden oft auch einige Tage am Stück fixiert werden musste.“
Klein ist erst seit Juli 2013 für den Maßregelvollzug in Taufkirchen zuständig. Der von ihr erfasste Zeitraum lag in der Verantwortung von Klinikchef Professor Matthias Dose. Doch das nur am Rande.
Sozialiministerium: „Nicht Bestandteil der Abfrage“
Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk, der sich am Sonntag in einer ausführlichen Reportage der „Blackbox Forensik“ (zum Podcast) gewidmet hat, versucht das Sozialministerium sich mit einer bemerkenswerten Antwort aus der Verantwortung zu stehlen:
„Dem Sozialministerium wurde vom Isar-Amper-Klinikum Taufkirchen mitgeteilt, dass in dem Zeitraum vom 01.11.2011 bis 30.06.2013 insgesamt 18 dort untergebrachte Personen von Fixierungsmaßnahmen betroffen waren. Zahlen zu den ‘Maßnahmen’ und zur ‘durchschnittlichen Dauer von Fixierungen’ waren nicht Bestandteil der Abfrage und sind dem Sozialministerium weder bekannt noch können sie verifiziert werden.“
Das ist zum Einen – ausweislich der Antwort von Verena Klein – falsch, und zeugt zum Anderen von einer verantwortungslosen Ignoranz. Diese Ignoranz lässt sich auch am ansonsten nicht gerade überbordendem Kontrolleifer des Ministeriums ablesen. In 20 Jahren gab es in Taufkirchen dem BR zufolge nur acht Kontrollbesuche.
Sozialministerin Emilia Müller hat ein Interview mit dem BR dazu übrigens abgelehnt.
Regensburgerin sitzt seit sieben Jahren in Taufkirchen
In Taufkirchen ist auch die Regensburgerin Ilona Haslbauer seit mittlerweile über sieben Jahren untergebracht. Sie soll im Zuge eines jahrelangen Streits ihre Nachbarin mit einem Einkaufswagen gerammt haben. Wann und ob sie jemals entlassen werden wird, ist völlig unklar.