Entdecke Veranstaltungen in Regensburg Alle Kultur Oekologie Soziales Kino

Archiv für 23. Januar 2014

Filmkritik „Das radikal Böse“

Mörderische Normalität

Noch bis zum 28. Januar läuft im Kino im Andreasstadel der Dokumentarfilm „Das radikal Böse“. Thomas Witzgall hat ihn sich angeschaut.

DRB_plakat_A3_RGBMit „Das radikal Böse“ legt Stefan Ruzowitzky (Oscar 2008 für „Die Fälscher“) einen Dokumentarfilm zu den deutschen Vernichtungskommandos vor, die auf dem Gebiet der Sowjetunion und Polens Massenerschießungen vornahmen. Dem Film zufolge zeichnen diese Todeskommandos, die aus nächster Nähe mit Karabiner und Pistolen mordeten, mit etwa zwei Millionen Juden für ein Drittel aller Opfer der Shoa verantwortlich.

Ruzowitzky versteht seinen Film als Einladung zur Auseinandersetzung in neuer Form, wie er im Interview mit „Kulturzeit“ betonte. Weil es die Tätergeneration nicht mehr gebe, sei sein Fokus nicht die Anklage, sondern die Auseinandersetzung mit den „heutigen“ sprich aktuellen Aspekten und Wirkungsmechanismen, welche die Morde möglich machten und zur Routine ganz normaler Männer werden ließen. Diese „normalen Männer“ stehen im Fokus des Films.

Am Beginn des Film steht ein Zitat Primo Levis:

„Es gibt die Ungeheuer, aber sie sind zu wenig, als dass sie wirklich gefährlich werden könnten. Wer gefährlich ist, das sind die normalen Menschen.“

Man sieht die Angeklagten im Nürnberger „Einsatzgruppenprozess“, wie sie sich im Sinne der Anklage nicht schuldig bekennen. Gleichzeitig erfährt der Zuschauer, dass diese Männer aus psychologischer Sicht völlig normal seien.

Immer wieder werden psychologische Versuche („Konformitätsexperiment von Asch“, das „Milgram-Experiment“, das „Stanford-Prison-Experiment“ und die Überlegungen des Militärpsychologen Dave Grossmann) eingespielt. Die Erkenntnisse daraus: Gruppenzwang, Gruppendynamik und der Glaube, einer guten Sache zu folgen, machten das Morden für die Mehrzahl der Täter möglich. Andere Beweggründe werden aber nicht ausgeschlossen.

Zu Wort kommen im Film, neben Grossmann selbst, unter anderem der Psychiater Robert Lifton, und der Historiker Christopher Browning. Dessen Buch „Ganz normale Männer“ über den Einsatz des Polizei-Reservebataillons 101 lieferte die Vorlage für die Dokumentation, auch wenn Ruzowitzky den Fokus auf alle Mordkommandos ausweitet.

Ganz normale Männer…

Im Mittelpunkt der filmischen Szenen stehen namenlose, ganz normale Männer in historischen Uniformen, gespielt von Darstellern jüngeren und mittleren Alters. Gleich zu Beginn des Films wird man mit ihrer schwersten Entscheidung konfrontiert: der Beteiligung am ersten Massaker. Nur wenige lassen sich davon ausnehmen.

canvasDanach trifft man sie allein im Wald an, konfrontiert mit ihren Emotionen nach der Erschießung. Sie wirken verzweifelt, konsterniert, nicht ansprechbar und kämpfen mit Übelkeit. Sie beginnen, sich zu rechtfertigen. Die Grundlage für diese Szenen bildeten Tagebuchaufzeichnungen, Briefe und Aussagen vor Gericht nach 1945. Sie reichen von Scham vor den Kameraden bis zur Wiederholung der antisemitischen Propaganda der Nazis. Sie kritisieren aus Mordlust und Leidenschaft mordenden Kameraden. Einzelne rechnen sich an, sich nicht bereichert zu haben. Auch Himmlers Lob, anständig geblieben zu sein, fehlt nicht. Am Ende stehen die Rechtfertigung für die Tötung kleiner Kinder sowie das Selbstmitleid der Täter, warum man nur einer solchen „Prüfung“ ausgesetzt sei, die man aber dennoch durchführt.

Der Blick ins Publikum

Lernten die Mörder zunehmend eine psychologische Distanz zu ihren Opfern aufzubauen, indem diese sich ausziehen und abwenden mussten, macht der Film das Gegenteil. Immer wieder blicken die eigentlich abgewendeten Soldaten von der Leinwand ins Publikum. Man sieht sie in ihrem Alltag, beim Fußball, beim Baden im Fluss und beim verordneten Kameradschaftsabend samt Filmvorführung. Eingeblendet werden dazu Berichte mit Opfermeldungen.

canvas2Beides wird, was filmisch gelingt, zum Alltag und zur Routine der Soldaten. „Bystander“ bei den Massakern machten für die Experten einen Großteil der Normalität aus, wie der Film mit Hinweis auf den Fall der Kitty Genovese erklärt. Aufgeräumt wird mit der Ansicht, die Morde hätten heimlich stattgefunden. Zeitzeugen aus dem Städtchen Bibrka (Ukraine), noch Kinder während der Ereignisse, berichten von den Erschießungen und Deportationen.

Das radikal Böse ist das System

Das radikal Böse ist für die Experten dann das von wenigen Überzeugungstätern geschaffene System, das ganz normale Männer zu Mördern werden lässt. Auch hier findet der Film die richtige Balance, ruft zum rechtzeitigen Widerstand gegen solche Systeme auf. Aber er entlässt auch die Täter nicht aus ihrer individuellen Verantwortung.

Vorwerfen kann man dem Film nur seinen undifferenzierten Umgang mit den Tätergruppen. Besatzungstruppen werden hier mit den SS-Einsatzgruppen in einen Topf geworfen. Diese Differenzierung macht den Kern der Untersuchung „Ganz normale Männer“ von Browning aus. Von beiden Gruppen geht ein jeweils eigener Schrecken aus.

Wurden die SSler vor dem Unternehmen „Barbarossa“ sorgsam ausgewählt, gesammelt und durch Vorträge von Nazi-Größen auf ihre Aufgabe vorbereitet, so wurden die Reservepolizisten ins kalte Wasser geschmissen. Handelte es sich bei den Spitzen der Einsatzgruppen oftmals um Akademiker mit hohen Bildungsabschlüssen, stammten die Polizisten aus einem eher kleinbürgerlichen Milieu, wenn nicht sogar der Arbeiterschaft. Standen auf der einen Seite Technokraten im Dienste des Regimes und junge Überzeugungstäter, von Beginn an im NS-Staat aufgewachsen, so bestimmten Personen mittleren Alters in den Polizeibataillon das Bild, sozialisiert in der bürgerlichen Gesellschaft Weimars.

Diese Einstellungen wirkten immerhin soweit, dass die Maßnahmen der Radau-Antisemiten (Geschäftsboykott, Pogrome) bei der Bevölkerung durchfielen, auch wenn sich spätestens 1938 schon diese verhängnisvolle Kluft zwischen der Bevölkerung und den deutschen Juden gebildet hatte, wie Browning feststellt. Auf sie passt die Beschreibung „ganz normale Männer“ noch treffender als auf die gegen Ende gezeigten Täter der Einsatzgruppenprozesse. Eine Differenzierung wäre wünschenswert gewesen.

canvas1Ebenso schließt Browning die im Film gegebene Erklärung „Verrohung durch Krieg“ explizit aus. So mordeten etwa die untersuchten Polizisten im relativ ruhigen Polen. Auch der vom Film ins Zentrum der ideologischen Beweggründe gerückte Antisemitismus muss differenzierter gesehen werden. Er erklärt die Auswahl der Opfer, aber nicht abschließend das Morden an sich.

Die Täter mordeten ebenso aus nationalistischer und imperialistischer Motivation, für die Kornkammer Ukraine und die Absicherung der deutschen Weltmachtstellung, kurz, damit es ihrer Kinder „einmal besser haben“, wie es im Film in einem Brief eines Soldaten an seine Kinder kurz durchklingt. Diese Kombination erklärt auch besser, warum „ganz gewöhnliche Deutsche [,die] zu Hause teilnahmslos und apathisch, komplizenhaft und gefühllos waren“ im Osten zu Mördern wurden. (Browning, S. 264, 4. Auflage 2007). Dieser Befund beunruhigt umso mehr, wenn man sich vor Augen führt, wie akzeptierter nationalistische Thesen gegenüber antisemitischen Entgleisungen (Möllemann, Hohmann) heute sind.

Die Täter verstehen, ohne sie zu entschuldigen

Dem Film gelingt das schwierige Kunststück, dem sich Sozialwissenschaftler ebenfalls stellen müssen: Nähe zu den Tätern zu suchen, die Taten zu verstehen, ohne sie zu rechtfertigen oder gar zu entschuldigen. Eine Distanz bleibt während des Films immer, nicht nur weil die zu Wort kommenden Experten die Aussagen einordnen, sondern auch, weil die dargebotenen Aussagen inhaltlich so gar nicht in die heutige Zeit zu passen scheinen. Besonders während der Wiederholung der antisemitischen Thesen, unterlegt mit Bildmaterial aus dem Propagandastreifen „Der ewige Jude“ macht sich innerliche Unruhe bemerkbar, zumal man dem im Kino nicht entgehen, umschalten, laut protestieren oder zur Trillerpfeife greifen kann.

Das Ganze wirkt wie ein Test: Welche Wirkung könnte die freie Verfügbarkeit von Hitlers Thesen aus „Mein Kampf“ auf die heutige Gesellschaft haben, wenn das Urheberrecht demnächst ausläuft? Stoßen sie auf positive Resonanz? Die Antwort: Falls überhaupt, dann allenfalls bei einem Personenkreis, der von Beginn an mit den Tätern sympathisiert.

Ein Blick auf die vergessene Seite der Shoa

Emotional nahe gehen einem dagegen die historischen Aufnahmen, mit denen die Opfer ein Gesicht bekommen. Gezeigt werden Portraits und Aufnahmen aus dem pulsierenden Leben in Warschau vor dem deutschen Einmarsch. Erschießungen sind anhand historischer Aufnahmen zu sehen.

Insgesamt gelingt dem Film aber der Blick auf die vergessene Seite der Shoa, die Täter, die aus nächster Nähe morden mussten und gemordet haben. Ihm gelingt, den aktuellen Bezug aus dem historischen Thema herauszuarbeiten. Der Film hat mit 94 Minuten eine angenehme Länge, die Statements der Forscher sind kompakt, nie langatmig oder übertrieben belehrend. Die ausgewählten Experimente werden passend und verständlich erklärt, Der Film vermag zwar nicht die Auseinandersetzung mittels weiterführender Literatur zu ersetzen, ist aber ohne Einschränkung für die Auseinandersetzung mit dem Thema in Schule und Bildungsarbeit geeignet.

Zu sehen noch bis zum 28.1. 2014 in den Kinos im Andreasstadel
www.das-radikal-boese.com

drin