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Archiv für 20. Dezember 2013

"Da scheint es einen Schutzschirm zu geben"

Porno-Abmahner im Glück

Der Regensburger Abmahn-Anwalt Thomas Urmann („Porno-Pranger“) ist ein Glückskind. Trotz dubioser Praktiken, zahlreicher Strafanzeigen und deutlicher Gerichtsurteile ist die Staatsgewalt in der Vergangenheit nicht gegen den Profi-Abmahner vorgegangen. Bei anderen werden aus weit geringerem Anlass Geschäfts- und Kanzleiräume durchsucht, Akten und Computer beschlagnahmt und das Telefon überwacht. Ein ehemaliger Geschäftspartner von Urmann, der von dieser Aktion betroffen war, sagt: „So lange wir mit Urmann zusammengearbeitet haben, schien es einen Schutzschirm gegeben zu haben. Der war danach sehr schnell weg.“ Ein Vergleich.

Hatte in der Vergangenheit oft Grund zum Feiern: Profi-Abmahner Thomas Urmann. Foto: Archiv

Hatte in der Vergangenheit oft Grund zum Feiern: Profi-Abmahner Thomas Urmann. Foto: Archiv

Derzeit macht Thomas Urmann (Kanzlei U+C) mit zehntausenden Abmahnungen gegen vermeintliche Porno-Gucker auf der Plattform Redtube von sich reden. Die Daten dafür wurden möglicherweise illegal beschafft, die Verbindungen zwischen der angeblich geschädigten Firma (Archive AG) und den Abmahnanwälten erscheinen dubios (Eine Grafik dazu). Kürzlich wurden zudem Honorarvereinbarungen öffentlich gemacht, die einem Gutachten des Kölner Juristen Christian Solmecke zufolge illegal sind. Fast täglich tauchen im Internet neue Fakten und Fragen zu den dubiosen Praktiken von U+C, die bereits seit Jahren im Abmahngeschäft aktiv sind, auf.

Allein: Strafrechtlich blieb die Kanzlei bislang stets unbehelligt. Das betont Urmann in den wenigen Interviews, denen er sich stellt sehr gern. Ein Vergleich mit einem anderen Fall wirft Fragen auf.

Die Ausgangssituation

Rechtsanwalt Urmann und die KVR

Im vergangenen Jahr verschickte U+C im Namen einer KVR Handelsgesellschaft mindestens 1.000 Abmahnungen an angebliche Mitbewerber. Wegen fehlerhafter AGBs sollten die Betroffenen eine Unterlassungserklärung unterschreiben und rund 700 Euro an Gebühren bezahlen. Der Geschäftsführer Frank Drescher beschrieb das Geschäftsmodell der KVR als ein Unternehmen, das ähnlich wie Amazon oder ein ähnliches Online-Warenhaus arbeitet. Drescher ist als Internetabzocker bekannt.

Das Regensburger Amtsgericht stellt später fest, dass die unmittelbar vor der Abmahnwelle gegründete KVR allenfalls Waren im Wert eines niedrigen vierstelligen Euro-Betrags verkauft hat, ehe sie dann recht flott insolvent ging.

Etwa zur selben Zeit als die Urmann-KVR-Aktion beginnt, ereignet sich auch Folgendes:

Revolutive Systems und Rechtsanwalt Kallert

Der Rechtsanwalt Hans-Werner Kallert verschickt im September 2012 für das Regenstaufer Unternehmen Revolutive Systems GmbH knapp 200 Abmahnungen an Konkurrenten wegen fehlenden Impressums auf deren Facebook-Seite.

Die Gebühren pro Abmahnung liegen bei 265 Euro. Ein gutes Viertel der Abgemahnten unterschreibt und bezahlt.

Revolutive Systems beschreibt sich selbst als Systemhaus für Software-Entwicklung. Seit 2009 arbeiten die beiden Geschäftsführer schon zusammen und erwirtschaften mit ihren Produkten Einkünfte im sechsstelligen Bereich. 2011 gründen sie die Revolutive Systems GmbH. Zu den Kunden gehören namhafte Versicherungsunternehmen.

Weil sie einen lukrativen Auftrag an eine Limited verloren hätten, die via Facebook den Eindruck einer GmbH erweckt habe, sei ihnen der Kragen geplatzt, sagt Geschäftsführer Florian Blischke. Mit den Abmahnungen habe man diesen Konkurrenten „einen Dämpfer“ verpassen wollen. Rechtsanwalt Kallert sagt: „Ich bin kein Abmahn-Anwalt. Das war das erste Mal, dass ich einen solchen Fall übernommen habe.“

Die Reaktion

Urmann und KVR

Mehrere Betroffene stellen Strafanzeige gegen Urmann sowie KVR-Geschäftsführer Frank Drescher. Der Jurist Dr. Walter Felling strengt für einen seiner Mandanten zusätzlich ein Zivilverfahren vor dem Amtsgericht Regensburg an, das sowohl er wie auch Urmann als „Musterverfahren“ sehen. Es kommt zum Prozess vor dem Regensburger Amtsgericht. In einem deutlichen Urteil wird festgestellt, dass Urmann bzw. seine Kanzlei „sittenwidrig“ und aus „verwerflicher Gesinnung“ heraus gemeinsame Sache mit Drescher gemacht haben, um mit minimalem Aufwand auf Kosten anderer Geld zu verdienen. Das nennt sich landläufig Betrug. Beide, Drescher und die Urmann-Kanzlei, werden zu Schadenersatzzahlungen verurteilt.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Am 18. März 2014 findet die Berufung am Landgericht Regensburg statt.

Hier, in der Nähe des früheren Straßenstrichs von Regensburg, residiert die Anwaltskanzlei U+C. Foto: Markus Feilner

Hier, in der Nähe des Regensburger Straßenstrichs, residiert die Anwaltskanzlei U+C. Foto: Markus Feilner

Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen U+C wegen derselben Sache stellt die Staatsanwaltschaft Regensburg „mangels Tatverdacht“ ein. Die Generalstaatsanwaltschaft in Nürnberg weist ein Beschwerde dagegen ab. Bei einer Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Landshut läuft es ähnlich.

Etwa zur selben Zeit:

Revolutive Systems und Kallert

Das Amtsgericht Regensburg bescheinigt der Revolutive Systems GmbH in einem ersten Zivilverfahren, rechtmäßig gehandelt zu haben. Das Urteil wird am 3. Dezember 2013 vom OLG Nürnberg aufgehoben. Die Abmahnungen seien rechtsmissbräuchlich. Eine betrügerische Gewinnerzielungsabsicht habe es mit den Abmahnungen zwar nicht gegeben, so das OLG. Aber: Die große Zahl stehe in keinem Verhältnis zum wirtschaftlichen Nutzen, der Verstoßes gegen die Impressumspflicht sei rein formal und der Aufwand zum Erstellen der Abmahnungen sehr gering.

Das ist die eine Seite.

Gegen Revolutive Systems geht aber auch unmittelbar nach dem Verschicken der Abmahnungen im September 2012 eine (!) Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Regensburg ein. Diese gibt das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Amberg ab.

Drei Monate später – kurz vor Weihnachten – werden die Geschäftsräume von Revolutive Systems durchsucht. Es werden Akten, Computer und für das Weihnachtsgeschäft verpackte Hardware beschlagnahmt. Ähnlich ergeht es Rechtsanwalt Kallert. Seine Kanzlei, die sich bei ihm zuhause befindet, wird mehrfach durchsucht. Akten und Computer – selbst der Laptop seines Sohnes – werden mitgenommen. Der Vorwurf: gewerbsmäßiger Bandenbetrug.

Die Telefone von Kanzlei und Unternehmen werden überwacht.

Einer Beschwerde von Kallert und Revolutive Systems gegen Durchsuchung und Beschlagnahme gibt das Landgericht Amberg später weitgehend statt. Ein Anfangsverdacht dafür, dass hier eine Betrugsabsicht vorgelegen habe, sei nicht gegeben, heißt es in dem Beschluss. Es sei klar geregelt, dass Revolutive Systems die Abmahngebühren für den Fall einer juristischen Niederlage übernehmen werde.

Die Staatsanwaltschaft Amberg indes ermittelt weiter, schickt Vernehmungsbögen an alle Abgemahnten. Die Kunden von Revolutive Systems informiert die Staatsanwaltschaft darüber, dass auch sie von der Telefonüberwachung des Unternehmens betroffen waren. Die meiste von ihnen brechen daraufhin die Geschäftsbeziehungen zu Revolutive Systems ab.

Drohungen

Revolutive Systems und Kallert

"Dann hätte er eben nicht abmahnen sollen." Schmiererei am Haus von Rchtsanwalt Kallert. Foto: privat

“Dann hätte er eben nicht abmahnen sollen.” Schmiererei am Haus von Rchtsanwalt Kallert. Foto: privat

Gegen Rechtsanwalt Kallert und die Geschäftsführer von Revolutive Systems gibt es einen Shitstorm im Netz, Drohungen und eine eigene Hassgruppe auf Facebook. Kallerts Haus wird mit einem Pentagram und der Aufschrift „Evil“ beschmiert. Der zuständige Amberger Staatsanwalt sieht keinen Grund, darauf zu reagieren. „Dann hätte er eben nicht abmahnen sollen. Dann passiert ihm so etwas nicht“, soll er zu Kallerts Sohn gesagt haben.

Die Kanzlei U+C

Auch gegen Rechtsanwalt Urmann und seine Kanzlei gibt es immer wieder Drohungen. Nach einem Drohbrief im Zuge der aktuellen Abmahnwelle sollen sich – einem Bericht des Regensburger Wochenblatts zufolge – sofort Kripo und Staatsschutz eingeschaltet und die Ermittlungen aufgenommen haben.

Mutmaßungen

Der verbliebene Geschäftsführer der Revolutive Systems GmbH heißt Florian Blischke. Er räumt gegenüber unserer Redaktion ein, früher mit der Urmann-Kanzlei zusammengearbeitet zu haben. Auch damals habe es laufend Strafanzeigen gegeben. Passiert sei nie etwas. Blischke: „Irgendwie war es, als habe es immer einen Schutzschirm für Herrn Urmann und alle, die mit ihm zusammengearbeitet haben, gegeben. Als wir uns von ihm getrennt haben war es damit vorbei.“

Als Ergänzung: Ein Bericht des BR-Magazins Quer vom Donnerstag:

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