1994: Die Union unter Kohl setzt sich bei der Bundestagswahl gegen Scharpings SPD durch, §175 StGb wird gestrichen, Kurt Cobain erschießt sich und die Playstation kommt in Japan raus – alles gefühlt schon ewig her. Auch 1994: Die Stadt Regensburg schließt einen Konzessionsvertrag mit der REWAG zum Betrieb des Stromnetzes der Stadt. Der läuft demnächst aus. Bei der Neuvergabe regiert die Stadt am Bürger vorbei, wie anno dazumal.
In Regensburg demonstrierten nicht nur tausende für die Energiewende, es gibt auch weiter ein engagiertes Bürgerbündnis: Doch bei den Verhandlungen über den neuen Vertrag fürs Stromnetz bleibt die Öffentlichkeit außen vor. Foto: Archiv
In der Bundesrepublik liegt der Zugang der Bürger zum Stromnetz in der Verantwortung der jeweiligen Kommune. Die schließt mit einem Stromanbieter einen Konzessionsvertrag über den Betrieb des Stromnetzes, im Gegenzug über Konzessionsabgaben des Anbieters an die Kommune.
Geheimverhandlungen wegen E.ON
Formaljuristisch schließt die Kommune einen Vertrag über die Nutzung der öffentlichen Infrastruktur, die der Stromanbieter nutzen muss. Leichter verständlich wird das Ganze, wenn man sich das Stromnetz als einen Weg zwischen zwei Grundstücken vorstellt. Ein Nachbar mietet ihn vom andren, um leichter an seinen Hof zu kommen. Man schließt einen Nutzungsvertrag. Gegen eine verhandelte Gebühr kann der Nachbar den Weg nutzen, um leichter an seinen Hof zu kommen. Der Weg selbst, das Stück Grund, bleibt aber immer das Eigentum seines Nachbarn.
In Regensburg ist per Konzessionsvertrag die REWAG vertraglich zum Betrieb des Netzes verpflichtet. Der letzte, aktuell gültige Vertrag wurde 1994 auf 20 Jahre geschlossen und wird Ende nächsten Jahres auslaufen. Wie die REWAG bestätigt hat, steht man derzeit in Verhandlungen mit der Stadt wegen eines neuen Vertrags.
Soweit nichts Ungewöhnliches. Nur, niemand weiß bisher von diesen Vertragsverhandlungen, außer den beteiligten Vertretern der Stadt und der REWAG. Dass die Verhandlungen selbst nun geheim stattfinden, wird insbesondere damit begründet, dass ein privates Unternehmen, E-ON, maßgeblich an der REWAG beteiligt ist. Nur, auch im Vorfeld hat die Stadt auch die Öffentlichkeit gemieden.
BüfA schlägt Alarm
Und gerade an diesem Vorgehen übt nun das BüfA, das Bündnis für Atomausstieg und erneuerbare Energien, Kritik. Die Befürchtung ist laut BüfA-Sprecher Ludwig Simek, dass noch vor der Stadtratswahl im März ein neuer Konzessionsvertrag zur Annahme im Stadtrat vorgelegt wird, über dessen Inhalt die Fraktionen vorab nicht informiert werden. Die Stadtratsmitglieder würden dann unvermittelt und ohne Vorbereitungszeit über den vorgelegten Vertrag als Ganzes entscheiden müssen. Eine intensive Diskussion wäre damit kaum möglich.
Öffentliche Diskussion gefordert
Weil aber die REWAG zu etwa Zwei Drittel der Stadt und damit den Bürgern gehöre, sehen die Aktivisten es als Pflicht der Stadt an, die Bürger im Vorfeld umfassend zu informieren. Das allerdings ist nicht geschehen. Keine Beratungen im Stadtrat über den auslaufenden Konzessionsvertrag, keine Beteiligung von Bürgerinitiativen oder sonstigen neutralen Beratungsgremien vorab, keine Mitteilung an die Presse.
Gerade dieses öffentlichkeitsscheue Vorgehen der Stadt zieht den Unmut der Initiative auf sich. Schließlich sei die Versorgung mit Strom heutzutage beinahe so essentiell wie die Wasserversorgung. „Das alleine muss noch nichts bedeuten“, so BüfA-Mitglied und Linken-Stadtrat Richard Spieß. Aber mit dem Recht, das Stromnetz der Stadt auf 20 Jahre betreiben zu dürfen, hätte die REWAG auch „eine hohe Macht“.
Gerade weil nur die direkt Beteiligten die Inhalte der Verhandlungen kennen, befürchtet man von Seiten des BüfA, dass der neue Vertrag Passagen aufweist, die nicht unbedingt im Sinne der Bürger seien.
Rahmenbedingungen für 20 Jahre eingefroren?
Etwa bei der Laufzeit des Vertrages. Der letzte Konzessionsvertrag lief auf 20 Jahre, die gesetzliche Höchstdauer. Läuft der neue Vertrag ebenso lang, sind die Rahmenbedingen für die Energieversorgung auf 20 Jahre eingefroren. Und damit ist eventuell der Anschluss an die Energiewende in den nächsten 20 Jahren vertan. „Es ist viel Bewegung im Energiesektor. Und niemand weiß genau, wo da der Hase gerade hinläuft.“, warnt Spieß. Denkt man an die letzten 20 Jahre zurück: Internet, erneuerbare Energien, Fukushima, beschlossener Atomausstieg. Wer hätte daran vor 20 Jahren schon gedacht? Unter anderem befürchtet das BüfA, dass auch die Handlungsoptionen, die ein neuer Konzessionsvertrag bietet, zu wenig im Sinne der Energiewende genutzt würden, etwa einen verbindlichen Mindestanteil von erneuerbaren Energien des gelieferten Stroms.
Vorschläge des Städtetags in Regensburg kein Thema
Der Deutsche Städtetag, dessen stellvertretender Präsident just Regensburgs Oberbürgermeister Hans Schaidinger ist, hat dem Thema erst 2012 eine eigene Broschüre gewidmet. Diese beschäftigt sich sich detailliert mit den gesetzlichen Rahmenbedingen und Möglichkeiten, die sich beim Auslaufen eines Konzessionsvertrages für die Kommunen ergeben.
Neben der Vergabe der Konzession wird darin auch empfohlen, zu prüfen, ob die Kommune das Netz nicht selbst übernehmen könnte. Eine Empfehlung, der die Stadtverwaltung Regensburg allem Anschein nach nicht nachgekommen ist. So wurde im Stadtrat weder über die Ausschreibung für den neuen Vertrag noch über dessen Rahmenbedingungen diskutiert.
Andere Kommunen sind transparenter
Dass es auch anders geht, und vor allem transparenter, zeigen selbst kleine Kommunen wie etwa Gersthofen. Dort hat die Stadt vorab die verschiedenen Optionen öffentlich gemacht und über die Kriterien für den Abschluss eines neuen Konzessionsvertrags beraten. In Hamburg etwa haben die Bürger im September per Volksentscheid für den Kauf des Stromnetzes gesorgt.
Ob dieser Weg auch für Regensburg erfolgversprechend gewesen wäre, muss offen bleiben, ebenso wie die Frage nach Ergebnissen der Verhandlungen mit der Rewag. Eine Chance hat man allerdings jetzt schon verpasst: Zu zeigen, dass die Zeiten autokratischer Regierungen, am Bürger vorbei, in Regensburg auch schon ewig her sind.