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Archiv für 7. November 2013

Zur Kritik an Poetry Slams

Der Koch, das Buffet und der Teller

Am Dienstag starteten die deutschsprachigen Meisterschaften im Poetry Slam in Bielefeld. In der Presse kommen die modernen Wettbewerbe nach wie vor schlecht weg, zuletzt bei Boris Preckwitz in einem im Oktober 2012 erschienen Artikel der Süddeutschen Zeitung: „Mehr und mehr eine Farce“ seien Poetry Slams – langweilig, billig oder sogar falsch. Eine späte Antwort. Kulturtheoretische Betrachtungen von Thomas Spitzer
Foto: Marvin Ruppert

Petry-Slams: Eine Mischung aus  humoristischer Gefälligkeitsprosa und harmlos juvenilem Popsound? Foto: Marvin Ruppert

Stellen sie sich folgendes Szenario vor: Sie stehen vor einem Buffet. Es gibt Räucherlachs, Grapefruits, Kaviar und Spiegelei. Sie entscheiden sich für das Nutellabrot. Dann gehen sie in die Küche und verprügeln den Koch. Nichts anderes passiert, wenn Poetry Slams von Journalisten besprochen werden. Die Rahmenbedingungen, unter denen sich bestimmte Textformen durchsetzen, werden verwechselt mit den Texten selbst. Veranstalter werden für diese Texte verantwortlich gemacht. Und den Autoren wiederum vorgeworfen, mehr sein zu wollen als ein Nutellabrot.

Ein misslungener Rundumschlag unter der Gürtellinie

So verhielt es sich auch mit dem SZ-Artikel „Mehr und mehr eine Farce“, in welchem Boris Preckwitz nach Belieben zwischen Veranstaltungsformat und -inhalt wechselte, um beides in den Dreck zu ziehen. Poetry Slams, so der Autor, seien weder wild noch experimentell, die „Instant-Texte“ eine Mischung aus „humoristischer Gefälligkeitsprosa“ und einem „harmlos juvenilen Popsound“. Dabei blieb er leider nicht über der Gürtellinie. Slam-Poeten seien Narzissten mit verkümmerten Egos, Slam-Texte literarischer Müll und das Slam-Publikum teil einer „Ulkkultur“. Der Begriff Poetry Slam, so der Autor, führe gezielt in die Irre und Slam-Workshops letztlich dazu, dass Mütter ihre Kinder auf Bühnen zerrten, um sie öffentlich zur Schau zu stellen. Während die Absurdität des – gehörig misslungenen – Rundumschlages bei der letzten Bemerkung auch für Laien zutage tritt, werden die Tatsachen zuvor auf perfideste Art verdreht. Zunächst einmal müsste jeder Journalist seit dem Deutschunterricht der Mittelstufe wissen: Poesie ungleich Lyrik ungleich Reimschema. Natürlich gibt es immer wieder Zuschauer, die denken, auf Poetry Slams werde ausschließlich gereimt (um dann erleichtert festzustellen, dass es nicht so ist). Mit Täuschung hat das in etwa so viel zu tun wie ein Kino, das den Namen ,Lichtspielhaus’ trägt.

Eine gewisse Problematik: den Poetry Slam für das kritisieren, was ihn ausmacht

Nun zu dem Veranstaltungsformat. Ein Hauptgrund für den Erfolg von Poetry Slams ist die aktive Beteiligung des Publikums – sowohl, wenn es darum geht, selbst auf die Bühne zu gehen, als auch die Gestaltung des Abends von außen. Die Zuschauer losen die Reihenfolge. Die Zuschauer bewerten. Die Zuschauer lachen, weinen, schweigen und klatschen. Diese Art der Mitgestaltung sorgt dafür, dass jeder Abend einzigartig ist. Ähnlich wie beim Improvisationstheater oder dem Freestyle-Battle. „Wahre Kultur“ – könnte man einwenden – „ist niemals demokratisch.“ Allerdings ergibt sich eine gewisse Problematik, wenn man versucht, den Poetry Slam konstruktiv für das zu kritisieren, was ihn ausmacht. Außerdem: Wieso sollte man das Publikum denn nicht beteiligen, wenn es schon mal da ist? Die auf Poetry Slams vorgetragenen Texte können denkbar unterschiedlich sein. Humorvoll, ernst, lyrisch, prosaisch, abgelesen, auswendig, politisch, sinnlos, improvisiert, verträumt, trocken oder rapartig skandiert. Dass sich bei diesem bunten Angebot oft die humoristische Prosa durchsetzt, hat – meiner persönlichen, streitbaren Meinung nach – vor allem den Grund, dass sich ein mittelmäßiger lustiger Text immer gegen einen mittelmäßigen ernsten, mittelmäßig flowigen, mittelmäßig politischen durchsetzen wird. Und letzterer sowohl schwerer zu schreiben als auch schwerer vorzutragen ist. Allerdings sorgen Wiederholungen bei zwei bis vier Stunden Programm für Ermüdungserscheinungen. Kontraste sind da Gold wert. Ausnahmslos jeder Slam-Veranstalter weiß das und versucht – im Rahmen seiner Möglichkeiten – zu handeln.
Foto: Consuela Codrin

Macht es Sinn Slam-Texte auf ihren literarischen Wert zu untersuchen? Foto: Consuela Codrin

Den zweiten Hauptgrund für den Erfolg von Poetry Slams sehe ich in einer gewissen Unprofessionalität der Auftritte. Authentizität könnte man auch sagen. Oder von ,Kunst mit Werkspur’ sprechen. Soll heißen: Die Slam-Texte und -Performances sind nicht perfekt, aber sympathisch. Oder besser: Sympathisch, weil nicht perfekt. Die meisten Slam-Poeten sind im Studentenalter und betreiben das Schreiben und Auftreten als Hobby. Die – über 500 Mitglieder fassende – Familie deutschsprachiger Slam-Poeten ist kein elitärer Zirkel, der sich abschottet, sondern im Gegenteil immer darauf bedacht ist für Nachwuchs zu sorgen. Deshalb werden U20-Wettbewerbe ausgetragen und Poetry-Slam-Workshops für Schüler gegeben. Und ja, die Slam-Szene ist ausgezeichnet solidarisch und vernetzt. Diese Vernetzung, welche schon vor facebook existierte, fiel allerdings nicht – wie man nach Preckwitz’ Lektüre meinen könnte – vom Himmel, sondern ist das Resultat jahrelanger Arbeit einzelner Idealisten. Im Übrigen ist der Grund dafür, dass zwei Slam-Poeten ähnlich klingen, in vielen Fällen in der oben besprochenen Unprofessionalität begründet. Poetry Slams, bei denen ausschließlich Profis auftreten, bilden nach wie vor die Ausnahme. Und schließlich ist es leichter, zu Beginn einer Karriere bereits erfolgreiche Stile zu imitieren. (Spielend leicht wird das mit dem Hilfsmittel youtube.) Das hat nichts mit böswilligem Klauen zu tun, eher mit einem Mangel an künstlerischem Selbstbewusstsein, der – zu Beginn – normal ist und nun einmal nötig, um zu experimentieren. Schulbands fangen an, ihren Stil zu finden, indem sie Songs covern. Zu ersten Erfolgserlebnissen gelangt man damit relativ schnell, zu einem tiefen Respekt von Seiten der Szene nicht. Die Flexibilität und Offenheit dieser Szene sorgt für Probleme bei der Betrachtung des Poetry Slam als literarische Bewegung. Wenn überhaupt handelt es sich um eine bühnenliterarische Bewegung. Denn ausnahmslos alle Slam-Texte leben von der Performance. Selbst wenn sie ohne Begrüßung in den Boden genuschelt werden. „Der Text selbst“, so ein erfolgreicher Slam-Poet einmal zu mir, „macht vielleicht 20 Prozent des Gesamtpakets aus, vielleicht auch 30 oder 40. Aber auf keinen Fall die Hälfte.“ Die Stimme, das Aussehen, die Art, wie die Textblätter gehalten oder bestimmte Stellen mit Bewegungen unterstrichen werden (und sei es nur durch ein Kopfnicken), das alles entscheidet darüber, ob ein Slam-Poet die Gunst des – oft erschreckend sensiblen – Publikums erlangt. Anders ausgedrückt: Wenn es sich bei allen Slam-Texten um vollwertige Literatur handelte, könnte man genauso gut zu Hause bleiben und lesen. Das wäre vielleicht auch schön, aber etwas anderes.

Das mit der Vergleicherei sollte man sich gut überlegen

Deshalb macht es nur bedingt Sinn, Slam-Texte am Reißbrett auf ihren literarischen Wert zu überprüfen. Und generell sollte man sich das mit der Vergleicherei gut überlegen. Den Vorwurf, Poetry Slams würden Theatervorstellungen oder Lesungen um ihr Publikum bringen, kann man mal stärker, mal schwächer herauslesen. Aber ist es wirklich so, dass die zwei-, drei-, fünfhundert vorwiegend jungen Zuschauer alternativ in einer Inszenierung von Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ sitzen würden? Der Poetry Slam kommt aus den USA, Konkurrenz waren nicht Lesungen, sondern Konzerte, Partys und der Fernseher. Genauso wie das Musical als Konkurrenz zum Kino entstand, nicht zum Theater. Man stelle sich eine Kritik des neuen Woody-Allen-Films Blue Jasmine vor, die mit den folgenden Worten schließt: Blue Jasmine ist gut… aber wie man es auch dreht und wendet… Ein Theaterstück ist es nicht. Genauso wie man einen Woody-Allen-Film nicht mit Theaterstücken vergleicht, ja, nicht einmal mit anderen Filmen außerhalb der Reihe, so sollte man Slam-Texte ausschließlich mit Slam-Texten vergleichen. Und das ist – Überraschung! – genau das, was bei Poetry Slams passiert. Der Autor Thomas Spitzer tritt seit 2009 erfolgreich bei Poetry Slams auf. Insgesamt vertrat er die Alte Mälzerei bei 5 großen Turnieren. Im November 2012 erreicht er bei den deutschsprachigen Meisterschaften das Halbfinale. Im April 2013 erschien mit “bunt und kühl” sein erstes Buch beim ConBrio-Verlag Regensburg. Alle Infos: facebook.com/thomasespitzer
Regensburger Historiker-Streit

30 Jahre Bürger-Legende

Fast dreißig Jahre hat sie standgehalten, die selbstinszenierte Heldengeschichte von Robert Bürger als dem Retter Regensburgs 1945. Seit Peter Eiser und Günter Schießl sie im April 2012 in „Kriegsende in Regensburg“ einer Revision unterzogen haben, gelten Bürgers Erzählungen als grundsätzlich erschüttert und ihr Urheber als findiger Quellenmanipulator. Ein Zwischenbericht über den Stand einer Debatte, die im vergangenheitspolitischen Treibsand Regensburgs zu verschwinden droht.

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