Seit Samstag befinden sich in München 55 Asylsuchende im Hungerstreik. Sie fordern ihre Anerkennung nach Artikel 16 des Grundgesetzes. „Jetzt sind Sie verantwortlich für unser Leben, und wir wollen für alle klarstellen, was im 21. Jahrhundert wichtiger ist: Das Leben von Menschen oder ein paar Stücke Papier?“ Mit diesen Worten endet ihre Erklärung. Am heutigen Mittwoch findet um 19 Uhr eine Solidaritätsdemonstration auf dem Neupfarrplatz in Regensburg statt.
Seit Samstag befinden sich in München 55 Flüchtlinge im Hungerstreik. Vier wurden bereits ins Krankenhaus eingeliefert. Fotos: privat
„Hierzulande ist Politik nicht erpressbar, wir leben in einem Rechtsstaat, wo man sich nicht durch Hungerstreiks eine Vorzugsbehandlung erzwingen kann.”
Sozialministerin Christine Haderthauer an die hungerstreikenden Flüchtlinge
Nach einer Demonstration in München, an der sich am Samstag rund 400 Personen beteiligten, haben mehrere Asylsuchenden gemeinsam mit Unterstützern den Rindermarkt in München besetzt. Die Polizei duldete dies zunächst. Mittlerweile ist die Versammlung angemeldet. Transparente hängen in einem Kreis und in der Mitte liegen, sitzen und stehen die Asylsuchenden unter Pavillons und Planen.
Auch Mohammad Kalali und Omid Moradian befinden sich im Hungerstreik. Die beiden Iraner gehören zu den Organisatoren des Protestcamps, das sich von Juli bis September 2012 auf dem Regensburger Neupfarrplatz befand. Sie leben derzeit mit einer sogenannten Duldung in Deutschland und sind laut dieser„ausreisepflichtig“.
Proteste bereits seit März 2012
Mohammad Kalali protestiert bereits seit März 2012 für eine menschenwürdige Behandlung. Fotos aus Würzburg, auf denen er sich die Lippen zugenäht hatte, sorgten bundesweit für Aufregung. Ebenso seine Reise gegen die Residenzpflicht, die er vom Protestcamp in Regensburg aus startete. Er besuchte die zu dieser Zeit Protestzelte von Asylsuchenden in Bamberg, Aub, Würzburg und Düsseldorf. Im August 2012 wurde sein Asylantrag vor dem Verwaltungsgericht in Regensburg abgeschmettert. Begründung: Er sei keine exponierte Person bei den Protesten und habe bei einer Abschiebung in den Iran nichts zu befürchten.
Ebenso wie Mohammad hat Omid Moradian am Protestzelt in Regensburg teilgenommen. Gemeinsam liefen sie anschließend von Würzburg aus mehr als 600 Kilometer nach Berlin. Unzähligen Journalisten und Fernsehkameras erzählten sie die Gründe für ihren Protest. Die Residenzpflicht, die ihnen ihre Bewegungsfreiheit nimmt. Die Pflicht, in einer sogenannten Gemeinschaftsunterkunft zu leben und die drohende Angst vor einer Abschiebung.
In Berlin angekommen traten sie Ende Oktober 2012 mit weiteren Asylsuchenden vor dem Brandenburger Tor in den Hungerstreik. Tagelang nahm ihnen die Polizei alles ab, was vor der Kälte schützen könnte. Nach einem Treffen mit Innenpolitikern des Bundestages zeigten sich diese erbost. Statt über „ihre persönliche Lage zu sprechen“, hätten die „nur politische Erklärungen“ abgegeben, meinte etwa Reinhard Grindel (CDU).
Bevor Mohammad und Omid Berlin wieder in Richtung Oberpfalz verließen, besetzten sie noch mit weiteren Personen die iranische Botschaft in Berlin.
„Am Mittwoch, den 28.11.2012, betraten wir, einige politische Aktivist_innen, um 14 Uhr das Gelände der Iranischen Botschaft, um die politischen Gefangenen im Iran zu unterstützen und unsere Abscheu über das Vorgehen des islamischen Regimes gegenüber Oppositionellen zu demonstrieren. Wir glauben, dass dieses Gelände ein Symbol dieses Regimes in Deutschland ist. Indem wir die offizielle Flagge der Islamischen Republik entfernten, griffen wir deren Identität an und verlangen im Rahmen dieser Aktion die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen. Wir wollen die internationale Gemeinschaft auf die Verbrechen aufmerksam machen, die täglich in den iranischen Gefängnissen stattfinden.“
Dritte Pressemitteilung der Aktivist_innen der Aktion an der iranischen Botschaft in Berlin
Auch Houmer Hedayatzadeh hat bei dem am Protestcamp in Regensburg teilgenommen. Er lief nach Berlin, trat in den Hungerstreik und gehörte ebenfalls zu den Besetzern der iranischen Botschaft.
Flüchtlingsstatus Glückssache?
Am 30. April wurde ihm vom Verwaltungsgericht Regensburg der Flüchtlingsstatus zugesprochen – die Verhandlung dauerte keine 30 Minuten. Er sei eine exponierte Person bei den Protesten gewesen, so die Begründung. Zur Aktion an der iranischen Botschaft stellt das Urteil fest: „Es ist davon auszugehen, dass die Teilnehmer dem iranischen Geheimdienst bekannt sind. Das Gericht ist zwar der Überzeugung, dass allein die Teilnahme an diesem Ereignis kein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates auslösen würde.“ Im Falle von Houmer sei das ganze aber in einer „Gesamtschau“ zu sehen.
Gemeinsam mit Mohammad, Omid und weiteren Asylsuchenden organisierte Houmer im März 2013 einen Kongress in München. Dort prägten sie den Begriff der Nichtbürger: Diejenigen, die ausgeschlossen sind von dem, was für den Bürger das Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe ist. Die sich auf engstem Raum in „Gemeinschaftsunterkünften“ zurecht finden müssen, die etwa in Bayern immer noch mit (überteuerten) Essenspaketen anstelle von Bargeld versorgt werden, deren Integration explizit unerwünscht ist und die den Mund zu halten und dankbar zu sein haben dafür, dass man sie doch sowieso noch halbwegs menschlich behandelt.
„Sie machen das alles, damit der Flüchtling irgendwann aufgibt“
Warum dieser Protest? Wir veröffentlichen dazu eine persönliche Erklärung von Houmer Hedayatzadeh:
Houmer Hedayatzadeh (hier bei seiner Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg): “Sie bringen uns tagtäglich Stück für Stück um, vielleicht nicht physisch aber psychisch, sie zerstören dich.” Foto: as
„Es ist natürlich nur meine eigene persönliche Sicht: ich würde mich als einen Menschen bezeichnen, der über alles in seinem Leben selbst entschieden hat, über Arbeit, Wohnen etc., ich konnte über mein Handeln selbst entscheiden. Aber ich bin aus jener Situation in eine andere gekommen, es wurde mir gesagt, was ich zu tun habe, sie zwangen mich Dinge zu tun und begründeten es damit, dass das Gesetz es so wolle und ich hätte mich daran zu halten, sie sagten: du bist hierher gekommen, du bist ein Asylbewerber und hast unsere Gesetze zu achten, auch wenn sie gegen deine eigenen Menschenrechte sind.Dann kam ich in ein Flüchtlingslager und merkte, dass ich in eine Umgebung gebracht worden war, in der mir sehr vieles auferlegt wurde, ich merkte, dass sie mich zermürben wollen, damit ich nicht mehr der bin, der ich bin sondern so, wie sie mich wollen. Ich wurde von meinem Umfeld getröstet in dieser Zeit, aber es war sehr schwer in der Stadt, in der ich war. Wenn ich auf den Gehwegen lief, gab es Momente, in denen ich mich selbst hasste und mir wünschte gestorben zu sein, um diese Dinge nicht erleben zu müsse. Situationen, in denen jemand, der mich überhaupt nicht kannte und nicht wusste, wer ich bin und woher ich komme, nur allein wegen meiner Haut- oder Haarfarbe die Straßenseite wechselte, sich dabei fast von einem Auto anfahren lies, nur um nicht mit mir auf dem selben Gehweg zu sein.Und irgendwann…Sie versetzen dich in eine Lage und sie wissen genau was sie tun, sie machen das alles, damit der Flüchtling irgendwann aufgibt und sogar Dinge tut, die sein Leben in Gefahr bringen. Unter den katastrophalen Zuständen in den Lagern geht es irgendwann einfach nicht mehr… sie bringen uns tagtäglich Stück für Stück um, vielleicht nicht physisch aber psychisch, sie zerstören dich.Und als ich das sah, dass sie mich jeden Tag ein Stück mehr umbrachten, dachte ich, wenn ich schon sterben soll, dann will ich zumindest selbst darüber entscheiden wie. Ernsthaft… ich habe nichts zu verlieren, gar nichts. Also gehe ich lieber auf die Straße, denn alles, was dort passiert liegt in meiner Hand und ich kann später nicht bedauern und sagen, dass ich gezwungen wurde, etwas zu tun, ich hab es selbst getan. Und als ich auf der Straße war, merkte ich, wie anders es war. Ich bedauerte nicht schon früher auf die Straße gegangen zu sein und wertvolle Zeit im Heim vergeudet zu haben, indem ich nur grübelte.Mein Leben hat sich vollständig verändert, das, was ich in den letzten Monaten erlebt und gelernt habe, hätte ich in 500 Jahren Leben im Lager nicht erlebt. Ich merkte, dass ich mein altes Leben wieder zurück hatte, zumindest das persönliche selbstbestimmte Leben, also das tun, was ich will, aber was das politische Denken betrifft, so hat sich bei mir viel verändert, ich sehe viele Dinge ganz anders als früher, mein Blick auf alles hat sich geändert. Ich bin sehr froh darüber, dass ich auf der Straße bin aber auch traurig darüber, dass ich so spät erst auf die Straße bin, ich hätte viel früher kommen sollen. Und jetzt bin ich zu dem Punkt gekommen, dass ich mein Recht erringen kann. Ich kämpfe dafür, vielleicht klappt es vielleicht aber auch nicht, aber ich werde es später nicht bereuen, denn ich weiß, dass ich nach meinem eigenen Willen gehandelt und gelebt habe und ich bin sicher, dass ich es kann.“
Sozialministerin will sich nicht „erpressen“ lassen
Es folgten weitere Protestzelte in Bayreuth, Augsburg, Aschaffenburg, Würzburg, Schweinfurt, Nürnberg, Landshut und zuletzt in Regensburg. Sie besuchten von dort aus die Gemeinschaftsunterkünfte und erzählten den Asylsuchenden von ihrem Protest. Nun sind sie mit vielen von ihnen in München am Rindermarkt in einen Hungerstreik getreten.
Am Sonntag regnete es am späten Nachmittag in München. Houmer, Omid und Mohammad liefen umher, organisierten Pavillons, bauten diese auf. Telefonierten und begrüßten freundlich viele ihrer Bekannten, die zu ihnen kamen, um sie bei ihrem Protest zu unterstützen. Das, was Politiker gerne „Integration“ nennen, haben sie schon lange erreicht: durch zivilen Ungehorsam gegen Gesetze und Zustände für Asylsuchende, die einen sprachlos werden lassen. Durch Kontakte und Freundschaften zu Menschen, die sie bei ihrem Kampf um ein menschenwürdiges Leben unterstützen. Ihnen fehlt „nur“ ein Stück Papier, das ihnen das Leben in Deutschland um einiges erleichtern würde.
Aktuell befinden sich 55 Menschen im trockenen Hungerstreik. Vier von ihnen mussten bereits ins Krankenhaus eingeliefert werden. Sozialministerin Christine Haderthauer ließ am heutigen Mittwoch verkünden, dass sie den Hungerstreik als Erpressung sehe, der sie nicht nachgeben werde.Am Mittwoch wird es um 19:00 Uhr am Neupfarrplatz in Regensburg eine Solidaritätsdemonstration für die hungerstreikenden Asylsuchenden in München geben.