Weil sie ihn für schwul hielten sollen drei junge Männer einen vierten verprügelt, getreten, unter Beschimpfungen durch Siegenburg getrieben und ihn schwer verletzt in der Kälte zurückgelassen haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen versuchten Mord durch Unterlassen vor. Beim Prozessauftakt am Freitag gab es viele Versionen der Wahrheit. Selbst das Opfer wirkte nicht glaubwürdig.
Wirkten, akls könnten sie kein Wässerchen trüben: die drei Angeklagten mit ihren Rechtsanwälten. Foto: as
Leicht haben es die Richter am Landgericht Regensburg nicht. Denn weder die drei Angeklagten noch das Opfer machen den Eindruck, als würden sie die Wahrheit sagen. Da sind viele Erinnerungslücken, widersprüchliche Aussagen und das Opfer – ein 22jähriger Mann, den das Trio in der Nacht des 23. Februar 2012 übel zugerichtet und seinen Tod billigend in Kauf genommen haben soll, räumt offen ein, dass er Geld von den Tätern und deren Familien gefordert habe, „damit ich vor Gericht sagen kann, dass sie mir irgendetwas Gutes getan haben“.
„Lauf um Dein Leben“
In der beschaulichen Kleinstadt Siegenburg soll das Bruderpaar Tobias (20) und Lothar B. (18) zusammen mit ihrem Bekannten Daniel A. (24) ihr Opfer verprügelt, getreten und unter Beschimpfungen durch mehrere Gasse getrieben haben, ehe sie den schmächtigen Mann mit den langen Haaren mit gebrochenem Nasenbein, Gehirnerschütterung und Kieferhöhlenfraktur ohne Mantel bei Temperaturen von um die vier Grad zu einem Feld brachten, um ihn dort mit den Worten „Lauf um Dein Leben“ seinem Schicksal zu überlassen. Der Verletzte konnte sich zu einem Haus schleppen und von dort Polizei und Krankenwagen rufen. Er verbrachte zwei Tage im Uniklinikum.
Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet auf gefährliche Körperverletzung und versuchten Mord durch Unterlassen. Das mutmaßliche Motiv: Schwulenhass. Weil er sich auffällig kleidet und manchmal Röcke trägt, hielten die drei den jungen Mann, der sich nach eigenen Einlassungen als Frau sieht, für homosexuell. Einer der Täter wollte das Opfer offenbar zwingen, sich auszuziehen und ihm „einen zu blasen“. Auch die Drohung, ihn mit einem Messer umzubringen, soll gefallen sein.
„Da wären wir doch wie die Tiere“
Bereits zu Beginn der Verhandlung vor der Jugendkammer des Landgerichts Regensburg kündigten die Angeklagten – die derzeit in den JVAs Regensburg, Amberg und Nürnberg einsitzen – an, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Doch die Schilderungen der drei gestalten sich recht unterschiedlich. Zwar räumen alle die Tat im Grundsatz ein, versuchen jedoch die eigene Rolle und die dahinterstehende Motivation herunterzuspielen.
„Niemand von uns hatte vor, ihn umzubringen. Wir haben auch nie daran gedacht, dass er erfrieren könnte. Da wären wir doch wie die Tiere“, erklärt etwa der arbeitslose Bäcker Daniel A., der immer wieder betont, dass er die Situation habe „entschärfen“ wollen. Ja, freilich habe er zugeschlagen, aber erst als ihm das Blut des Opfers nach einem Faustschlag von Tobias B. ins Gesicht gespritzt sei. „Und da habe ich Angst vor Krankheiten.“ Der regelmäßige Alkohol-, Cannabis- und Crystal-Konsum. Da reagiere man eben etwas anders. „Sie können sich vielleicht nicht vorstellen wie das ist“, so A. ans Gericht gewandt.
Ein wenig Bier, „ein bisschen Käptn Morgan“ und eine Flasche Bacardi
Er habe „nur“ zwei Mal mit der Faust zugeschlagen, erklärt auch Tobias B., dessen Ausführungen immer wieder stocken und von Bemerkungen wie „das weiß ich nicht mehr“ und „daran kann ich mich nicht erinnern“ begleitet sind. Es sei halt „irgendwie zum Konflikt gekommen“.
Er habe an dem Abend einiges getrunken: ein wenig Bier, „ein bisschen Käptn Morgan“, eine Flasche Bacardi Gold. Offenbar keine ungewöhnliche Menge für den 20jährigen, der erklärte, zu jener Zeit „alle paar Tage und am Wochenende jeden Tag“ mindestens ein Flasche Chantre getrunken und „etwa vier Gramm“ Marihuana geraucht zu haben. Wie viel es genau gewesen sei, wisse er nicht, außer: „Ich war gut drauf. Angetrunken.“ Auch darüber, was er zuvor an dem Tag gemacht habe, wusste der (mittlerweile gekündigte) Azubi zum Einzelhandelskaufmann nichts zu berichten. Ebensowenig, was seine beiden Begleiter mit dem Opfer angestellt hatten.
Nur wenig später – nach einer kurzen Verhandlungspause – muss Tobias B. einräumen, dass er gelogen hat. Grund waren die Aussagen seines Bruders Lothar. Er habe das Opfer bereits tagsüber in der Stadt getroffen und eingeladen, doch abends auch zum Mittrinken zu kommen. Sein Bruder aber habe dann gemeint, dass „der Typ“ besser wieder gehen solle. Später trennten sich die Wege der beiden Brüder. Tobias B. und Daniel A. fuhren nach Regensburg, „um dort weiter zu feiern“.
„Er hat wahrscheinlich geglaubt, der will mich anmachen.“
Lothar, damals noch Maurer-Azubi, sei mit anderen Freunden in Siegenburg geblieben und habe das Opfer erneut getroffen. Dann zog man ein wenig um die Häuser. „Wir haben miteinander geredet, geraucht und uns gut verstanden.“ Die Ironie: Der 22jährige war erst vor kurzem nach Siegenburg gezogen und wohnt neben der Großmutter der Gebrüder B..
Erst als der Bruder aus Regensburg zurückgekommen sei und beide am Marktplatz – offenbar der Treffpunkt zum Trinken und Feiern in Siegenburg – gesehen habe, sei die Situation eskaliert. „Er hat wahrscheinlich geglaubt, der will mich anmachen. Wenn er betrunken ist, dann haut Tobi gerne zu.“ Schließlich habe er auch mitgemacht. „Ich weiß auch nicht genau, warum.“
Allein im Schweinestall
Und dann habe man sich immer mehr vom Marktplatz entfernt, hinters Rathaus, über ein paar Brücken. „Die Schimpfwörter sind nur so geflogen“, so Lothar B.. Und offensichtlich auch die Fäuste. Irgendwann sei er zurück gelaufen, um die Jacken zu holen, die man offenbar vorsorglich ausgezogen hatte. Sein Bruder sei später mitgekommen, um auch den Mantel des Opfers zu suchen, während Daniel A. bei dem 22jährigen geblieben sei, mit dem er schließlich in einem Schweinestall am Rand der „Schweinebrücke“ landete. Der junge Mann sei „ziemlich angeschlagen“ am Boden gelegen und Daniel A. habe ihm „Fragen gestellt“, so Lothar B., ohne konkreter zu werden. Möglicherweise habe Daniel A., dessen Schuhe und Hose am nächsten Tag voller Blut waren, das Opfer auch getreten. Was aber nun im Schweinstall tatsächlich passiert ist, ließ sich am Freitag nicht klären.
„Das war schon krass.“
Etwa eine Stunde soll sich die Tortur für das Opfer hingezogen haben, ehe sie ihn auf dem Feld „weglaufen ließen“. Am nächsten Tag erst sei ihm bewusst geworden, was sie da gemacht hätten, sagt Lothar B.. „Das war schon krass.“ Er sei die Strecke mit dem Fahrrad abgefahren, um das Opfer zu finden. Erfolglos. Da habe er ihm „ein Fresspaket“ an die Tür gehängt, um sich damit zu entschuldigen. Der übel zugerichtete junge Mann lag zu dieser Zeit schon im Krankenhaus.
Dazu, weshalb sie sich keine Gedanken darüber gemacht hätten, ob er nicht erfrieren könnte, weiß keiner der drei Angeklagten zu antworten. Betretenes Schweigen, Achselzucken oder Ausweichen auf die bohrenden Nachfragen der Richter. Darüber habe man sich nicht unterhalten, darüber habe man nicht nachgedacht, das habe man auf keinen Fall gewollt, heißt es immer wieder.
Schweigen. Stammeln. Sprachlosigkeit.
Und als der beisitzende Richter Johann Piendl provozierend feststellt bzw. fragt: „Sie haben also, wenn ich das mal so deutlich sage, die schwule Sau durchs Dorf getrieben und sich dann keine Gedanken darüber gemacht, ob er irgendwo verrecken könnte“, bleibt dieses Schweigen und Stammeln. Diese Sprachlosigkeit.
Insbesondere die Antwort auf diese Frage dürfte entscheidend dafür sein, ob der Vorwurf des versuchten Mordes durch Unterlassen am Ende aufrecht erhalten werden wird oder nicht. War den Angeklagten bewusst, dass ihr Opfer hätte erfrieren können? Und falls ja, war ihnen das gleichgültig? Bis zu zwölf Jahre Haft könnten zumindest dem ältesten Angeklagten, Daniel A., für den Jugendstrafrecht in keinem Fall mehr in Frage kommt, drohen, wenn das Gericht zu diesem Schluss kommt. Und irgendwie hatte man bei keinem der Angeklagten, die trotz ihres jugendlichen Alters zum Teil schon einschlägig vorbestraft sind, den Eindruck, dass sie sich dessen bewusst sind.
Widersprüchliche Aussagen des Opfers
Das Opfer selbst trug zur Aufklärung nur wenig bei. Der 22jährige steht derzeit unter Betreuung und will sich in stationäre Therapie begeben. Mehrfach musste ihn der Vorsitzende Richter Carl Pfeiffer ermahnen – etwa als er den Rechtsanwalt eines Angeklagten anbrüllte oder die Richterbank zwischendrin einfach mal fragte: „Kommt ihr eigentlich noch mit?“ Mehrfach widersprach er den Angaben, die er bei der Vernehmung durch die Ermittler gemacht hatte.
Auffällig bemüht war er zudem, den Angeklagten Daniel A. in Schutz zu nehmen. Dieser habe verhindert, dass „ich vergewaltigt werde“. Er habe zwar auch zugeschlagen, „aber ich hatte das Gefühl, dass er das nicht wollte“. Auch im Schweinestall habe Daniel A. ihm Schläge versetzt, ihm aber auch ins Ohr geflüstert, dass er abhauen solle, weil Tobias B. so unberechenbar sei. „Doch dazu hatte ich die Kraft nicht“, erklärte das Opfer auf Nachfrage von der Richterbank. An den beiden Brüder hingegen ließ der junge Mann kein gutes Haar. Diese hätten versucht, ihn nach der Tat zu manipulieren. Tobias B. sei bei allem die treibende Kraft gewesen.
Vor dem Hintergrund aber, dass der 22jährige zum Einen erklärt, sich bedroht zu fühlen, aber zum Anderen offen einräumt, Geld von den Angeklagten und deren Familien gefordert zu haben, damit seine Aussage vor Gericht günstiger ausfalle, wirkt all dies allenfalls in Teilen glaubwürdig. Just mit der Familie von Daniel A. will er sich versöhnt haben, obwohl diese nichts bezahlt hätten.
Der Prozess wird am Montag fortgesetzt.