Sie ist nicht rothaarig und sie rennt auch nicht. Bei der Uraufführung der Oper „Lola rennt“ am Donnerstag in Regensburg dreht sich die Welt um Lola, während sie in drei Runden versucht, ihrem Freund Manni das Leben zu retten.
Vera Semieniuk und Ensemble. Fotos: Jochen Quast
Im Film von Tom Tykwer macht Lola vor allem eine Sache so richtig gründlich: rennen. Dreimal rennt sie los, Manni retten, Geld besorgen, Happy End machen. Lola und Manni sind ja auch so zwei naive Seelen in einer viel zu großen Welt, die versuchen, mit der völligen Überforderung klarzukommen. Die zeigen, dass Liebe nicht rational, gezähmt und bürgerlich sein muss, sondern im Gegenteil wild, einfach und unintellektuell sein darf. Der Film ist nicht nur eine Liebeserklärung an den Leitsatz „Liebe kann alles“, sondern auch eine Liebeserklärung an Berlin, an die Veränderungen in einer wieder zusammenwachsenden Stadt nach Jahrzehnten der Trennung. Der Film ist schnodderig, direkt und jung.
Manni (Seymur Karimov) und Chor. Foto: Jochen Quast
Und die Oper, die da am Donnerstag uraufgeführt wurde? Ja nun. Die ist eine völlig andere Geschichte, im wahrsten Sinne des Wortes. Trotz Einholung eines hippen Berliner Komponisten (Ludger Vollmer), der sich all die richtigen Gedanken macht, ist die Atmosphäre des Films, also das Atemlose und das blauäugig Naive, der intermedialen Übersetzung zum Opfer gefallen. Lola und Manni (Vera Semieniuk und Seymur Karimov) wirken so souverän, so kraftvoll an dieser Rampe des Regensburger Stadttheaters, dass die Überforderung mit der Welt und der Rückzug in die Liebe keinen Platz mehr haben.
Nicht Lola muss in dieser Welt rennen um voranzukommen; ganz im Gegenteil: die aus Lagerregalen bestehende Welt dreht sich beständig um Lola (Bühne: Caroline Mittler). Das Eindampfen des vielschichtigen Filmpersonals auf einige Kernfiguren wie beispielsweise den Vater und dessen Geliebte (Mario Klein und sehr sexy: Aurora Perry) verdichtet die Geschichte und verknappt sie dadurch leider auch. Die humorigen Elemente des Films verschwinden dadurch fast ebenso, wie die wirklich verstörenden Ausblicke in die Zukunft der Figuren nach ihrer Begegnung mit Lola. Einzig der Auftritt des Penners sorgt für Lacher im Publikum – weil der sonst ultraseriöse Adam Kruzel sich mit einem Verve in seine Rolle wirft, die wahnsinnig toll ist anzusehen.
Oper wie vor 150 Jahren
Interessanterweise versucht das Dreigestirn aus Komponist, Librettistin (Bettina Erasmy) und Regisseurin (Schirin Khodadadian) aus dem ästhetisch wegweisenden Film ein Werk zu machen, das sich deutlich an die Wurzeln und Geschichte der europäischen Oper anlehnt. Zum Beispiel durch eine Chor, der die antiken Funktionen des Volkes, des Dialogpartners und des Handlungstreibenden ausführt. Oder das viele Gesinge an der Rampe. Wir sind im 21. Jahrhundert ja eigentlich in der glücklichen Lage, elektrisches Licht, eine verbesserte Akustik, besser ausgebildete Sängerinnen und eine deutlich differenzierte Spielweise zu haben – wozu brauchen wir noch deklamierende Rampensänger?
Diese Entscheidung kann nur als deutliches Nicken in Richtung vergangener Operntraditionen verstanden werden und vermittelt einen Eindruck von Statik, der die Beschränkungen und die Gesetztheit des Konzepts Oper schmerzhaft verdeutlicht. Ein Zugeständnis an die Abonnenten-Generation? Immerhin wird in „Lola rennt“ zweimal gestorben und wiederauferstanden plus glückliches Ende in unter zwei Stunden und poetisch vorgetragene Zeilen wie „Sie labern immer den gleichen Mist. Lassen Sie mich durch“ anstelle von stundenlangen Liebesschwüren und Todesmetaphern. Die Aspekte der Ewigkeit, die Thematisierung von Liebe, Tod und vergehender Zeit, die so bewusst in den Vordergrund gerückt werden sollten – sie schaffen es nicht, das Werk aus einem Zeitgeist herauszuholen. Dieser Zeitgeist ist es aber, der die Oper so seltsam schief und faszinierend wirken lässt, wie das uneheliche Kind von E- und U-Musik.
Und das ist das wirklich Tolle an der Oper. Sie bricht, trotz aller Versuche der Versöhnung, mit den tradierten Seh- und Hörgewohnheiten des Genres. Ein bisschen mehr Mut zur Moderne und ein bisschen weniger Rückschau hätten aber gut getan. So ist „Lola rennt“ aber vor allem eins: endlich mal Leben in der Bude. Yeah!