„Es fehlt an Interesse und Kompetenz“, resümiert ein Berliner Historiker seine Erfahrungen mit dem Regensburger Stadtarchiv. Falsche Auskünfte, verschwundene Dokumente, Rügen von der Rechtsaufsicht – die Probleme sind seit Jahren bekannt und bescheren der Welterbestadt zwischenzeitlich auch überregional einen schlechten Ruf in Fachkreisen. Wirklich zu scheren scheint das die Verantwortlichen nicht. Er gedenke nicht, auf Kritik zu reagieren, heißt es vom Oberbürgermeister. Er sei mit seinen Möglichkeiten am Ende, erklärt der Kulturreferent. Und der Archiv-Leiter, den weder OB noch Referent zur Räson bringen können, geht auf Tauchstation.
Dr. Heinrich Wanderwitz: Sein Amt steht seit Jahren in der Kritik. Nun auch überregional. Foto: as/Archiv
„Das Archivgut sichert als objektive Quelle die rechtsstaatlich gebotene Kontinuität der Verwaltung und ist zugleich die unverzichtbare und unersetzliche Grundlage für die Erforschung der Vergangenheit.“
Gemeinsame Bekanntmachung der Bayerischen Staatsministerien des Innern sowie Kultus, Unterricht, Wissenschaft und Kunst im Jahr 1992
Die Antworten sind kurz und bündig. Weder der Oberbürgermeister, noch der Kulturreferent, noch der Chef des Amts für Archiv und Denkmalpflege lassen sich zu längeren Stellungnahmen hinreißen. Und einige Fragen beantworten Hans Schaidinger, Klemens Unger und Dr. Heinrich Wanderwitz überhaupt nicht. Es ist aber auch peinlich. Das Archiv der Weltkulturerbestadt, die ihre große Vergangenheit und geschichtliche Bedeutung bei jeder Gelegenheit marktschreierisch an den Mann bringt, gilt überregional als schlechter Witz. Bestenfalls. Für viele Forscher ist es einfach ein einziges Ärgernis, mit dem Regensburger Stadtarchiv zu tun zu haben.
Ein Eintrag in der Rubrik „Faule Archive“
Die Öffnungszeit von maximal fünf Stunden – dazwischen zwei Stunden Mittagspause – sind im Vergleich selbst mit Archiven in kleineren und weniger bedeutenden Städten beispiellos. Für auswärtige Forscher lohnt sich eine Anreise nach Regensburg kaum. Es sei denn, man plant einen Aufenthalt von mehreren Tagen.
Dokumente verschwinden oder sind zumindest nicht auffindbar. Ein Teil der Archivbestände lagert unverzeichnet in Schachteln.
Anfragen werden entweder falsch oder überhaupt nicht beantwortet. Und wenn ein Forscher mal all zu hartnäckig nachfragt, wird die Kommunikation einfach eingestellt und die Angelegenheit – einseitig – „für erledigt“ erklärt.
Im Blog des Freiburger Historikers Dr. Klaus Graf hat das Archiv seit geraumer Zeit einen Eintrag unter der Rubrik „Faule Archive“ erhalten. Auf eine kurze Anfrage erhielt er vom Stadtarchiv die Antwort, dass man schriftliche Anfragen „grundsätzlich nicht mehr“ beantworte. Aus Personalmangel. Die Mitarbeiterin rät Graf, auf eigene Kosten einen freien Regensburger Historiker zu engagieren, damit der für ihn im Archiv recherchiere.
Falsche Auskünfte und pampige Schreiben
Ähnliches widerfuhr auch dem Berliner Historiker Reinhard Markner. Er war auf der Suche nach Briefen des Literaten Franz Michael Leuchsenring, die er im Nachlass des preußischen Diplomaten Christian Wilhelm von Dohm vermutete. Auf eine erste Anfrage wurde ihm mitgeteilt, dass der Nachlass keine Briefe Leuchsenrings enthalte. Als er sich – gegen Gebühr – die Bestandsliste zuschicken ließ, stellte er jedoch fest, dass der Nachlass mehr als hundert Briefe enthält, deren Absender überhaupt nicht identifiziert sind. Ein Schriftvergleich – eine Sache von zehn Minuten, wie Markner sagt – wurde mit Verweis auf Personalmangel abgelehnt.
Kulturreferent Klemens Unger über Archivleiter Wanderwitz: “Ich bin mit meinen Möglichkeiten am Ende.” Foto: Archiv
Archivleiter Wanderwitz versprach, sich um die Sache zu kümmern und ging anschließend auf Tauchstation. Beantwortete weder E-Mails noch Anrufe. Schließlich erhielt Markner auch noch drei Mahnungen für eine Rechnung, die ihm nie zugestellt worden war und am Ende auf seine Beschwerde hin ein pampiges Schreiben des Kulturreferenten, der mitteilte, dass die Angelegenheit erledigt sei und er keinen weiteren Schriftverkehr mehr wünsche. „Im Stadtarchiv Regensburg fehlt es offenbar am Interesse und an der Kompetenz, die eigenen Bestände vernünftig zu katalogisieren und die Inventare ins Netz zu stellen, wie vergleichbare Archive das längst tun“, resümiert Markner. „Bekanntlich stinkt der Fisch immer vom Kopf her.“
„Die Archivierung umfasst nicht nur die Aufgabe das Archivgut zu erfassen und auf Dauer zu verwahren und zu sichern, sondern auch zu erschließen, nutzbar zu machen und auszuwerten.“
Gemeinsame Bekanntmachung der Bayerischen Staatsministerien des Innern sowie Kultus, Unterricht, Wissenschaft und Kunst im Jahr 1992
Vor Ort sind die Missstände altbekannt. Das Problem mit den Öffnungszeiten. Die Tatsache, dass schon mal fünf Wochen nichts kopiert werden kann, weil „die zuständige Mitarbeiterin krank ist“. Dass der Drucker über Wochen nicht funktioniert und so alle Archivbestellungen per Hand ausgefüllt werden müssen. Dass die Software streikt und es immer wieder Dokumente gibt, die eigentlich da sein müssten, die aber niemand finden kann. Entsprechend verwaist ist der Lesesaal des Archivs. Selten sieht man dort mehr als zwei, drei Menschen bei der Recherche.
Allein fünf Anträge stellte Stadträtin Irmgard Freihoffer (Linke) in den letzten zwei Jahren, um das Archiv, wie sie schrieb, aus seinem „Dornröschenschlaf“ zu wecken. Ergebnislos.
„Ich bin mit meinen Möglichkeiten am Ende.“
In einer Sitzung des Kulturausschusses bekannte Kulturreferent Klemens Unger mit Blick auf Archivleiter Wanderwitz, dessen Vorgesetzter er ist: „Ich bin mit meinen Möglichkeiten am Ende.“ Oberbürgermeister Hans Schaidinger, der durchgreifen könnte, wenn Unger es nicht schafft, räumte in einer Sitzung des Personalausschusses letzten Sommer unumwunden ein, dass auch er mit seinem Latein am Ende ist: „Es finden klare Anweisungen statt, die aber nicht immer fruchten.“ Er könne aber auch nicht verlangen, dass jeder so arbeite, wie er das tue, so Hans Schaidinger. Er gedenke nicht, auf Kritik am oder Anträge zum Stadtarchiv zu reagieren.
Was im Archiv eigentlich passiert, weiß niemand so genau. Seit mittlerweile drei Jahren gibt es keinen Abschlussbericht des Amts. Es blieb stets bei Ankündigungen von Kulturreferent Klemens Unger gegenüber den Stadträten, diese Berichte nachzureichen. Eine solche Ankündigung wiederholt er auch gegenüber unserer Redaktion.
Der letzte Jahresbericht: Eine Notverordnung
Bislang bleibt aber festzuhalten: Der letzte Bericht des Amts für Archiv- und Denkmalpflege datiert aus dem Jahr 2009. Er liest sich wie eine Notverordnung:
Eine Pflege von roh verzeichneten Beständen findet nicht statt. Begründung: Personalmangel.
Es wurden „deutlich weniger Archivrecherchen“ durchgeführt. Eine Statistik dazu gibt es nicht. Begründung: Personalmangel.
Eine Erfassung der Archiv-Bibliothek im Verzeichnis der Regensburger Universität unterbleibt. Personalmangel!
Wie viele Nutzer das Archiv besuchten, wurde nicht gezählt. Personalmangel!
Die Zweitbücher des Standesamts zu führen – eine staatlich vorgeschriebene Aufgabe – unterblieb. Zu wenig Personal.
Unter anderem deshalb gab es mehrfach scharfe Rügen der Regierung gegen das Regensburger Stadtarchiv. Immerhin scheint man in diesem Punkt reagiert zu haben. „Die Führung der Standesamtszweitbücher ist durchgeführt und auf aktuellem Stand“, heißt es gegenüber unserer Redaktion.
Konsequenzlose Ankündigungen
Die Stadtspitze indes bestreitet, dass es dem Archiv an Personal fehle. Inklusive des im höheren Dienst angesiedelten Leiters Heinrich Wanderwitz arbeiten dort sieben Personen. „Die Pflichtaufgaben des Archivs können mit dem vorhandenen Personal erledigt werden“, heißt es knapp. Serviceleistungen, die über diese Pflichtausgaben hinaus gingen habe man früher über ABM-Stellen anbieten können, heißt es weiter. Nachdem diese Möglichkeit nicht mehr bestünde, „überlegt“ man nun, wie sich diese Situation verbessern lassen könnte.
Wieder einmal eine Ankündigung, von der man zumindest bezweifeln kann, dass sie irgendwelche Konsequenzen zeitigen wird.
Hans Schaidinger über Heinrich Wanderwitz: “Nicht jeder hat meine Arbeitsauffassung.” Foto: Archiv
Seit fünf Jahren arbeitet man angeblich an einer Veränderung der Öffnungszeiten. Ergebnislos.
Seit einem Jahr kündigt Kulturreferent Klemens Unger an, Jahresberichte nachzureichen. Ergebnislos.
„Einige negativen Dinge, die in der Vergangenheit liegen“
Bei einer Sitzung des Personalausschusses im Jahr 2011 bemängelte das zuständige Amt, dass Wanderwitz zwar öffentlich stets den vorgeblichen Personalmangel beklage, aber nie neue Stellen, ja nicht einmal bereits zur Verfügung stehende Teilzeitkräfte beantragt oder in Anspruch genommen habe. Zwei Jahre lang. Es habe ein „langes und schwieriges Gespräch“ mit dem Archivleiter gegeben, heißt es weiter im Sitzungsprotokoll. Die Verwaltung sei bereit, „einige negativen Dinge, die in der Vergangenheit liegen“, zu vergessen, heißt es weiter. Mann wolle „auf einer Sachebene weiterarbeiten“, so das Angebot an den Stadtarchivar.
Weder Wanderwitz, noch Unger, noch Schaidinger wollen dazu auf Nachfrage Näheres zu diesen Ausführungen sagen.
Verwaltung: „Wir versuchen, so wenig Unterlagen wie möglich an das Stadtarchiv weiterzugeben“
Gefruchtet scheint dieses Gespräch unbekannten Inhalts jedenfalls nicht zu haben. Zumindest, wenn man die Praxis verschiedener Ämter innerhalb der Stadtverwaltung betrachtet. Die archivieren ihre eigenen Bestände mittlerweile über das übliche Maß hinaus selbst. „Wir versuchen, so wenig Unterlagen wie möglich an das Stadtarchiv weiterzugeben“, heißt es von einem Mitarbeiter (Name bekannt). „Denn wenn es einmal dort landet, kann es sein, dass man es nie wieder findet.“
Die Frage, wer dienstrechtlich dafür zuständig ist, dass sich das Stadtarchiv mehr und mehr einen einen überregional bekannten einschlägig schlechten Ruf erarbeitet, beantwortet uns die Stadt übrigens nicht. Es ist aber auch klar: Wenn Heinrich Wanderwitz sein Amt nicht im Griff hat und Unger mit seinen Möglichkeiten am Ende ist, müsste eigentlich der Oberbürgermeister eingreifen. Doch der gedenkt, wie oben erwähnt, nicht auf Kritik zu reagieren.