Der tiefe Fall des Reinhold F.
Vor Gericht stand am Dienstag ein gebrochener Mann. Wegen Untreue in über 40 Fällen wurde der Ex-Stadtrat Reinhold F. zu drei Jahren Haft verurteilt. Damit sind nicht nur sein Ansehen und sein Ruf dahin, er verliert auch all seine Pensionsansprüche. Vom jähen Absturz eines Vorzeige-Bürgers.
„Franz, ich dachte Du seist ein Ehrenmann.“ Es birgt eine tragische Ironie, dass Reinhold F. just mit diesen Worten den Ausgangspunkt für seinen Abstieg setzte. Bei den CSU-Auseinandersetzungen der Jahre 2007 und 2008 hatte sich der damalige Stadtrat, ansonsten eher drauf bedacht, niemandem auf die Zehen zu treten, offensiv positioniert, auf die Seite von Hans Schaidinger gestellt, und mit scharfen Worten den heutigen CSU-Landtagskandidaten Franz Rieger angegriffen. Bei der anschließenden Kompromissliste der beiden CSU-Lager für die Kommunalwahl musste er über die Klinge springen, erhielt keinen aussichtsreichen Listenplatz mehr und flog aus dem Stadtrat.
„Da habe ich mir dann überlegt, was ich jetzt machen könnte und ich wollte den Menschen helfen“, so der 57jährige am Dienstag vor dem Regensburger Amtsgericht. Hier erfuhr der vollbesetzte Saal, dass Reinhold F. vor allem sich selbst geholfen hat. Und dass er vieles sein mag, aber sicherlich kein Ehrenmann. Zwei Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Stadtrat begann Reinhold F. eine Karriere als Berufsbetreuer, die ihn nun in den Knast bringt.
„Ich entschuldige mich recht herzlich“
Wegen Untreue in 42 Fällen, Diebstahls und Betrugs wurde der pensionierte Stabsfeldwebel zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Das Gericht berücksichtigte bei dem Strafmaß ausdrücklich, dass der Angeklagte in vollem Umfang geständig war. Über seinen Verteidiger Michael Haizmann räumte F., der selbst die meiste Zeit mit gesenktem Blick schwieg, alle Taten ein. Gefühlsregung zeigte der sichtlich mitgenommene Angeklagte, als er sich in seinem Schlusswort bei allen, die er betrogen habe „recht herzlich“ entschuldigte. „Es tut mir sehr leid.“
Sollte das Urteil rechtskräftig werden, verliert der zweifache Familienvater seinen Rang bei der Bundeswehr und sämtliche Pensionsansprüche. Seinen guten Ruf, sein Ansehen und seine bürgerliche Existenz hat der Lebemann mit einem Faible für schnelle Motorräder und gute Zigarren bereits eingebüßt. Vor einem knappen halben Jahr wurde der bis dahin unbescholtene Ex-Stadtrat festgenommen und kam in Untersuchungshaft. Damals nur wegen eines Falls von Untreue. Am Ende deckten die Ermittler ein Gebäude aus Lügen und Betrug auf, in das sich F. binnen kürzester Zeit verstrickt hatte und das ihn nun all das kostet, was ihm so viel wert war: der äußere Schein.
Stadtrat, Vereinsvorstand, Schöffe, Familienvater
Wie konnte es so weit kommen mit einem Mann, der sich mit Hauptschulabschluss vom einfachen Karrosseriebauer zum Stabsfeldwebel in gut situierten Verhältnissen hochgearbeitet hatte? Der ob seiner Verdienste bei der Bundeswehr noch mit dem Ehrenkreuz in Gold ausgezeichnet wurde? Der sechs Jahre lang im Stadtrat saß und zeitgleich ebensolang als ehrenamtlicher Richter tätig war? Der elf Jahre lang Vorstand beim Traditionsverein Freier TUS Regensburg war und trotz des Scherbenhaufens, den er bei seinem Rücktritt 2010 hinterließ, noch einige Unterstützer fand? Der sich in 57 Lebensjahren – abgesehen von 40 Tagessätzen wegen Trunkenheit am Steuer – nichts hat zuschulden kommen lassen? Der wegen seiner locker-leutseligen Art bei vielen Menschen beliebt war? Wie kann es also sein, dass ein Mann, dem nicht nur der Regensburger Oberbürgermeister gerne die Hand schüttelte, nun in Handschellen vor dem Richter stand?
Fatal: Dummheit gepaart mit krimineller Energie
Insider aus dem Umfeld der Ermittler sprechen von einer „fatalen Kombination aus Dummheit und hoher krimineller Energie“. Bereits eine Woche nach seiner Bestellung zum Berufsbetreuer bei einem 72jährigen an Demenz erkranktem Mann begann F., sich am Konto seines Schützlings zu bedienen. Einen Monat lang hob er täglich den maximalen Verfügungsbetrag von 1.000 Euro an Geldautomaten in Regensburg und München ab. Später begann er, sich unter Betreffzeilen wie „Ausgleich 2011“ direkt fünfstellige Beträge zu überweisen. Insgesamt 138.000 kamen so zusammen. Gegenüber dem Betreuungsgericht verschleierte F. das Ganze mit fingierten Kontoaufstellungen.
Am Dienstag versuchte der Pensionist sich damit herauszureden, dass er seiner Tochter habe helfen wollen. Tatsächlich stand die Gastronomin mit einer Landkreis-Gaststätte, die ihr der Herr Papa über seine Kontakte vermittelt hatte, kurz vor der Insolvenz. 45.000 Euro an Schulden waren aufgelaufen und die galt es zu tilgen. Er habe damals nicht gewusst, wie hoch die Schulden seien und deshalb einfach immer weiter gemacht, immer mehr Geld gestohlen und veruntreut. Das Ganze habe sich „irgendwie verselbständigt“, so sein Rechtsanwalt. „Ich war wie in einem Tunnel“, murmelte F. auf Nachfrage.
Ein Wohnmobil, neue Küche, schmuckes Motorrad
Dass er nicht allein der altruistisch handelnde Vater war, als der der Ex-Stadtrat sich darstellen wollte, erfuhr das Gericht erst durch die Aussage einer Kriminalbeamtin. Seiner nicht berufstätigen Frau, die laut F. von allem nichts wusste, stellte der Ex-Stadtrat demnach ein Wohnmobil vor die Tür. Er kaufte eine neue Küche mit Eckbank und für sich selbst ein schmuckes Motorrad. Schlappe 77.000 Euro gab er dafür aus. Ein Luxus, den der Pater Familias sich trotz einer Pension von 2.150 Euro und Bruttoeinkünften als Betreuer, die sich zuletzt auf jährlich 28.000 Euro beliefen, so wohl nicht hätte leisten können. Ein BMW, der monatlich 700 Euro an Leasingraten verschlang, tue da nichts zur Sache, meinte F.. Das seien Kosten gewesen, die er absetzen konnte. „Hätte ich das nicht gemacht, hätte man mir wegen meiner Einkünfte als Betreuer die Pension gekürzt.“
„Das schwöre ich beim Augenlicht meiner Enkelkinder.“
So hätte es munter weiter gehen können, wären nicht plötzlich Verwandte des Opfers auf den Plan getreten, von denen F. nichts geahnt hatte. Sie wollten den Großonkel in ihrer Nähe haben, veranlassten dessen Umzug und bestellten einen neue Betreuer, der die Konten überprüfte, F. auf die Schliche kam und das Geld zurückforderte. Diesem Mann ist es letztlich auch zu verdanken, dass das Ganze aufflog.
In einer E-Mail an den neue Betreuer, die am Dienstag verlesen wurde, fleht F. diesen an, seine bürgerliche Existenz nicht zu zerstören. Er habe diesen „schweren Fehler“ nicht begangen, um sich selbst zu bereichern, sondern es „für einen geliebten Menschen“ getan, so F.. „Das schwöre ich beim Augenlicht meiner Enkelkinder.“ F. nahm Kredite auf, überzog seine Konten – doch all das reichte nur für 25.000 Euro. Das Wohnmobil oder das Motorrad zu verkaufen, kam für ihn nicht in Frage. „Sonst hätte meine Frau davon erfahren.“ Also begann er, sich das notwendige Bargeld bei anderen Schützlingen, für deren Betreuung er zuständig war, zu besorgen.
Opfer vereinsamt nach dem Diebstahl
Einer 97jährigen Frau stahl F. ihre Goldmünzensammlung, deren Versteck sie ihm noch kurz zuvor anvertraut hatte. Dafür musste er den Schrank, in dem die Münzen im Wert von 25.000 Euro aufbewahrt waren, aufbrechen. Weil die Bestohlene ihre Nichte als Täterin verdächtigte, kam es zum Bruch zwischen den beiden. Die Frau sitzt heute vereinsamt in einer Seniorenresidenz. Von mehreren Konten überwies Reinhold F. Geld auf das Konto einer „R+F Finanz“. Bei Gericht dazu befragt, gab F. an, sich nicht erinnern zu können, worum es sich dabei handle. Tatsächlich war „R+F Finanz“ ein Konto von F., das dieser unter diesem Namen bei der Sparkasse angelegt hatte.
Nebenbei bezahlte F. Arztrechnungen seiner Frau von Konten seiner Schützlinge und fälschte am Computer Rechnungen, um dies zu verschleiern. Für einen bereits verstorbenen Betreuten bezog F. noch einen Monat dessen Sozialhilfe und verweigerte anschließend die Rückzahlung mit der Begründung, das Geld sei schon ausgegeben. Dies sind nur einige, nicht alle Fälle, die am Dienstag zur Sprache kamen. Und die Aussagen des Angeklagten vermochten über dessen Motivlage nur wenig Aufschluss zu geben.
Der Erhalt seines Ansehens, seines Rufs und des Anscheins einer wohl geordneten bürgerlichen Existenz scheinen F. alles gegolten zu haben. Ihm ordnete er alles unter, verschwieg seiner Frau seine kriminellen Machenschaften und verstrickte sich so immer tiefer in Verbrechen, die ihm so oder so früher oder später nachgewiesen worden wären. Dass es bereits früher so weit war, ist dem Hinweis des Nachfolgebetreuers zu verdanken.
„Schamlos hilflose Menschen ausgenommen“
Im Betreuungssystem möge es Fehler geben, so Richter Norbert Brem in seiner Urteilsbegründung. Das alles spreche aber – entgegen dem Plädoyer von Rechtsanwalt Michael Haizmann – nicht zugunsten des Angeklagten. „Betreuern muss man vertrauen können, sonst kann der Staat das gleich selber machen.“ Und F. habe „schamlos die Gelegenheit genutzt, um hilflose Menschen in erheblicher Weise auszunehmen“. Dass er auch Gutes getan habe, sei dem Angeklagten nicht allzu hoch anzurechnen, so Brem. „Das tun auch andere. Kein Mensch ist nur böse.“
Mit dem Urteil von drei Jahren blieb das Gericht neun Monate unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Dass F. dagegen Berufung einlegen wird, darf als sicher gelten. Seine – mittlerweile zum größten Teil gepfändeten – Pensionsansprüche verfallen erst mit einer rechtskräftigen Verurteilung.