„Mia san mir und schreim dea me se uns“ – was viele bayerische Landsleute augenzwinkernd dahersagen und nur wenige allzu ernst nehmen, hat Wilfried Scharnagl zu einer Forderung ausgearbeitet. „Bayern kann es auch allein“, behauptet der frühere Redenschreiber von Franz-Josef Strauß und Ex-Chefredakteur des Bayernkuriers in seinem neuesten Buch. Der Kreisverband der CSU Regensburg hat ihn in den Prüfeninger Schlossgarten eingeladen und lauschte nur allzu gerne seinem „Plädoyer für den eigenen Staat“ (Untertitel).
BRD = Bayern und Restdeutschland – der Runnig Gag ungeklärter Quelle aus dem Internet könnte von Scharnagl stammen. (Foto: hb)
Bayerischer Separatismus in Zeiten zunehmender europäischer Integration? Aber selbstverständlich! Scharnagl formuliert diese Idee und macht dabei etwas, womit niemand bei einem CSU-Mitglied rechnet: Er ruft zum Aufstand. Sein Buch sei als „Aufruf, sich gegen wachsende politische Bevormundung zu verstehen“, als „Aufruf zum Aufstand“.
Ein Thema also, mit dem sich in der CSU wahrscheinlich lange niemand mehr beschäftigt hat. Also stellt sich die Frage: Aufstand gegen wen? Die Kommunisten sind ja irgendwie passé. Die paar Linken, die so durch die Parlamente flattern, will Scharnagl gar nicht groß ernst nehmen. Gegen die Bundesrepublik Deutschland? Gegen die Europäische Union? Ja, gewissermaßen schon.
„Nicht das Europa, das die Menschen wollen“
Und wie verträgt sich das mit dem Satz seines Weggefährten und Intimus FJS? Der hat immerhin gesagt: „Bayern ist unsere Heimat, Deutschland unser Vaterland, Europa unsere Zukunft.“ Nur: Das Europa, wie es heute existiert, braucht laut Scharnagl niemand: „Das ist nicht das Europa, das die Menschen wollen, das ist nicht das Europa, an das die Väter gedacht haben.“ Europa sei eine große Idee gewesen, eine Idee des Friedens und auch eine Idee des christlichen Glaubens. Den findet Scharnagl zu seinem Bedauern nirgendwo mehr erwähnt.
„Zahlen am meisten, bürgen am meisten, werden am meisten gehasst“
Europa – das hätte einmal bedeutet: unterschiedliche Mentalitäten, versöhnt in ihrer Verschiedenheit. Die Verträge seien überdies fabelhaft, aber die würden ja nicht mehr eingehalten. Die Leute würden getäuscht, oder, so fragt Scharnagl, „glaubt hier noch irgendwer daran, dass wir unser Geld von Griechenland zurückbekämen?“ „Wir zahlen am meisten, bürgen am meisten und werden am meisten gehasst“ – Scharnagls Schlussfolgerung der aktuellen Europapolitik.
„Unerträgliche Vergötzung einer Währung“
Verstört ist er von Merkels Aussage: „Wenn der Euro scheitert, scheitert Europa.“ Das sei Auswuchs einer „unerträglichen Vergötzung einer Währung“, der Euro sei zum „Goldenen Kalb“ geworden. Trotzdem stellt Merkel für ihn „das Stärkste, Beste, Taffeste“ dar, was an Führungsstärke vorhanden sei – „um Längen besser als alle Männer“ in der Union.
Überhaupt, die Union. Also, die CDU, um genau zu sein. Die hätten ja nur deswegen ihre Bundeskanzler stellen können, weil die CSU einen überdurchschnittlichen Beitrag zum Wahlergebnis geleistet hätte.
Länderfinanzausgleich: „ein Raubzug“
Und dann noch der Länderfinanzausgleich: ein „Raubzug“ sei das. Applaus vom Publikum. Scharnagls Theorie: Der Länderfinanzausgleich bringe gleich dreifaches Unheil: Er schwächt die Zahler, lähmt die Empfänger und dämpft das Wirtschaftswachstum. Bayern habe zwar selbst lange Zeit Zahlungen empfangen, „war aber immer dankbar und hat es als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden“.
Aufstand für die Kulturhoheit
Der Länderfinanzausgleich ist für ihn Zeichen und Grundlage einer Erscheinung, die er immer mit der größtmöglichen Abscheu in der Stimme erwähnt: Gleichmacherei. Der schlimmste Auswuchs: die Bildungspolitik. Es wurde „immer nur nach unten nivelliert“, wenn von Seiten des Bundes an der Kulturhoheit „gezerrt, gebaggert, gebissen“ wurde. „Was will eigentlich ein Bundesbildungsministerium?“, fragt er in die Runde und verweist auf die Kulturhoheit der Bundesländer. Bayern habe „strahlende Universitäten“. Diese Landesuniversitäten dem Bund opfern? „Da geht mir’s Messer auf!“ Er ruft zum Aufstand. „Finger weg!“
Deshalb: Umschauen, wie Staatenbildung anderswo funktioniert. Schottland, Südtirol, Balkan, Baltikum und die ehemalige Tschechoslowakei: für Scharnagl alles Beispiele gelungener oder im Prozess befindlicher Selbstständigkeitsbestrebungen.
Bayern „kein Bindestrichland“ der Besatzungsmächte
Denn: „Bayern ist ein Phänomen für sich.“ Es sei „attraktivste Land Deutschlands“, worüber täglich eine Abstimmung mit den Füßen stattfinde, und „kein von Besatzungsmächten nach 1945 geschaffenes Bindestrichland“. Hier gebe es eine „Gewissheit des Seins“, und schließlich seien „Landkarten nicht für die Ewigkeit geschrieben“. Wie praktisch, wenn man sich selbst zitieren kann.
Vollstaat, keine „nachgeordnete Provinz“
Der Weg dahin geht natürlich nur mit der CSU. Wobei er das Volk als seinen stärksten Verbündeten betrachtet. Laut einer Umfrage seien 24 Prozent für einen eigenen bayerischen Staat – ohne dass dies Inhalt irgendeines erwähnenswerten politischen Programms sei. Bayern – das sei eine eigenständige Kraft in Deutschland und Europa, politisch und wirtschaftlich. Viel zu wenig repräsentiert in den Gremien der EU. Nach dem Krieg mit eigener Verfassung als Vollstaat entwickelt, nicht als „nachgeordnete Provinz“. Das Prinzip der Subsidiarität sei ausgehöhlt worden, der Bund habe sich selbst zu viel Gewicht verliehen.
„Buckel und Seele voller Narben“
Deshalb lautet die Scharnagls Schlussfolgerung und These: Bayern kann es auch alleine. Nicht von heute auf morgen. Aber für ihn eine Vision, für die er kämpfen würde. Und das, obwohl er schon einen „Buckel und eine Seele voller Narben nach einem Leben für die CSU“ habe.
Lebensaufgabe: „Vernichtung der Roten“
Ob das realistisch ist, ist dabei fast egal. Die Idee scheint vor allem einen Effekt zu haben: Sie gibt der CSU neues Selbstvertrauen. Er glaubt nicht an einen anhaltenden „Ude-Hype“ und widmet sich lieber wieder seiner „Lebensaufgabe: der Vernichtung der Roten“ (Scharnagl bei der Überreichung einer Falsche Rotwein). Das tut der verunsicherten CSU-Seele gut. Und wenn Scharnagl spricht, darf sich auch eine von Söder und Dobrindt gebeutelte CSU ein klein wenig intellektuell fühlen. Stolz und Dankbarkeit wabern durch den Raum, fast so, als hätte man selbst an Scharnagls starken Worten mitgewirkt; schließlich ist man ja auch in der Regensburger CSU du gegen den Länderfinanzausgleich.
Regensburger CSU-Frieden: lauter Lahme?
Nur eines vermag der Grandseigneur nicht: die zerrissene Regensburger CSU wieder heile zu machen. Er wünschte sich gar, er hätte die Kraft, die Hände aufzulegen und Frieden zu stiften, denn schließlich heißt es in Bergpredigt: „Selig sind die Friedensstifter“. Nicht die Friedfertigen, „denn das sind die Lahmen“. Doch vielleicht war Scharnagls Plädoyer für die Unabhängigkeit genau das falsche Signal für die Einheit: Wenn es Bayern ohne die Bundesrepublik kann, warum soll es dann nicht auch der CSU-Kreisverband ohne die Fraktion können? Das wäre doch eine vergleichsweise leichte Übung, auch für solche, die in Sachen innerparteilicher Frieden eher zur Fraktion der Lahmen zählen…
Und wenn Kreisvorsitzender Armin Gugau neben Landtags- und Bundestagsabgeordneten, Dorf-Bürgermeistern und Ortsvereinsvorsitzenden seinen (von der Fraktion bekanntermaßen verfemten) „Freund und ehemaligen Stadtratskollegen Thomas Fürst“ in der Begrüßungsansprache auch noch namentlich erwähnt, kann man sich vielleicht vorstellen, dass nicht einmal die Kräfte eines Wilfried Scharnagl dazu ausreichen, um in der Regensburg CSU auch nur ein bisschen Frieden zu stiften.