Der antinapoleonische Befreiungskrieg des Heinrich Wanderwitz
Die Napoleon-Inschrift in Stadtamhof ist seit drei Jahren ein Streitthema. Am Mittwoch wurde der Streit denn auch mal wieder ausgetragen. Lautstark und ohne Annäherung.
„Ich bin begeistert. In einer Dreiviertelstunde beginnt eine Champions-League-Spiel und ich konstatiere doch eine sehr, sehr zahlreiche Besucherschaft“. Freudig gestimmt begrüßt Heinrich Wanderwitz etwa 70 Zuhörer, die letzten Mittwoch der Einladung des „Historischen Vereins“ (HV) in den Runtigersaal gefolgt sind. Der programmatische Titel des Vortrags lautet „Über Napoleon kann man streiten.“ Und tatsächlich: Im Laufe des Abends entbrennt ein Streit, der sich gewaschen hat.
Der „Historische Verein“ als beständiger Kritiker
Als Veranstalter fungierte der Vorsitzende des HVs, Dr. Martin Dallmeier. Sein Anliegen: Die etwas ruhig gewordene Diskussion um die sogenannte Napoleon-Inschrift im Pylonentor, „1809 Schreckenstage durch Napoleon – Zum Gedenken an die Opfer 2009“, die der Kulturreferent Klemens Unger im April 2009 eigenmächtig dort einmeißeln ließ, sollte wiederaufgenommen werden.
Bekanntlich hat unter anderem der HV auf mehreren Veranstaltungen mit Fachhistorikern, in Schreiben, Resolutionen und Gesprächen mit Oberbürgermeister Hans Schaidinger und Kulturreferent Klemens Unger substanzielle Kritik an Ort und Inhalt der Inschrift vorgetragen. Erfolglos. Schaidinger blockte ab. Zwischendurch erließ er sogar ein Hausverbot für Inschriftenkritiker.
Klemens Unger sprach zuletzt davon, dass erst einmal ein Historiker kommen und sagen müsse, die Inschrift sei falsch. Dann würde er über eine Änderung nachdenken. Obwohl nicht nur einer, sondern viele kamen, ist über ein Nach- oder gar Umdenken des Kulturreferenten nichts bekannt. Politik der vollendeten Tatsachen nennt man das.
Doch bald droht ganz Bayern (erneut) über die Regensburger Inschrift zu spotten. Für die „Bayerische Landesausstellung“ in Ingolstadt 2015 ist eine Schau über „Napoleon in Bayern“ geplant. Insofern dürfte sich es sich beim Vortrag von Heinrich Wanderwitz um eine Flucht nach vorne gehandelt haben.
Hauptfeind Greipl
Nach einer kurzen Einleitung durch Dallmeier, der sich eine sachliche Klärung der historischen Sachverhalte, einen neutralen Inschriftentext und einen geeigneten Standort wünschte, ging Wanderwitz schnell zum Frontalangriff über. Als einen Hauptfeind – neben Napoleon versteht sich – hatte sich der Stadtarchivar den Bayerischen Generalkonservator Egon Greipl ausgesucht.
Zur Erinnerung: Greipl hatte im März 2010 die maßgeblichen Argumente gegen die Napoleon-Inschrift vorgetragen. In einem Vortrag im vollbesetzen Spitalgarten hatte Greipl seinerzeit die Inschrift in die unter anderem von König Ludwig I. begründete Tradition deutschnationaler, antifranzösischer und königstreuer Geschichtsschreibung eingereiht. Diese sei aber längst überkommen. Kurz: Die Inschrift müsse geändert werden. Die Regensburger hätten sich das Leben wieder einmal selbst schwer gemacht, so Greipl damals mit spöttischem Unterton und unter großem Beifall.
Wanderwitz kündigte nun an, sich mit Greipls – und nur Greipls – Thesen auseinanderzusetzen. Diese Stoßrichtung ist nicht verwunderlich. Mitte der 90er war Greipl als ehemaliger Regensburger Kulturreferent auch der Chef des Stadtarchivars. Die mittlerweile offene Feindschaft zwischen Wanderwitz und dem Generalkonservator – in vielen denkmalpflegerischen Details gereift und gewachsen – ist bekannt. Andererseits machte es sich Wanderwitz so aber auch einfach, da er andere kritische Fachhistoriker wie Dr. Marcus Junkelmann oder Prof. Diethard Schmid schlicht ausblendete.
„Greipl ist typischer Mainstream“
Wanderwitz hat offenbar die zweieinhalb Jahre seit Greipls Vortrag genutzt, um sich aktuelle Fachliteratur zu Gemüte zu führen. Mehrfach zitierte er aus verschiedenen Werken, zum Teil jedoch unverständlich oder ohne stimmigen Zusammenhang.
Greipl, so Wanderwitz, sei mit seinem Vortrag von 2010 nur „typischer Mainstream“, der ohne aktuelle Literatur auskomme. Greipl habe keine scharfe historische Analyse betrieben, sondern nur pathetische Worte mit einer „nicht ganz aktuellen Methode“ geboten.
Doch Wanderwitz’ Ankündigung, auf Basis aktueller Literatur selbst zu einer aussagekräftigen historischen Analyse zu kommen, konnte er selbst nicht erfüllen. Der Archivar referierte Altbekanntes neben frisch Angelesenem, gespickt mit einer Note antinapoleonischem Ressentiment. Neu in dieser Offenheit war allerdings sein Bekenntnis zu deutschnationalen Standpunkten.
Nix Positives bei französischer Revolution
Die Wurzel der sogenannten Erbfeindschaft der Deutschen gegenüber Frankreich sei nicht zuletzt in der Französischen Revolution zu suchen. Die Begeisterung für Napoleon unter den Regensburgern oder Bayern sei sehr rasch wieder verflogen, so Wanderwitz, der zutreffend auf die Ausbeutung und Heranziehung unter anderem Bayerns zu Napoleons Kriegsführung verwies. Einen positiven Aspekt kann der Archivar der französischen Revolution keinesfalls abgewinnen.
In diesem unterkomplexen Resümee bezieht der Stadtarchivar sich ausschließlich auf die damalige Enttäuschung der Deutschnationalen und wirbt um Verständnis für sie. Eine Abwägung der historischen Prozesse und Entwicklungen hin zu den bürgerlichen Freiheiten, deren Träger Napoleon auch war, unternimmt Wanderwitz nicht. Dass zum Beispiel erst im Gefolge von Napoleon und dem „Code civil“ auch die bürgerlichen Freiheiten für Juden und Jüdinnen auf den Weg gebracht wurden, interessiert ihn nicht.
Im Gegenteil. In einer kausal anmutenden Ursachenkette sieht Wanderwitz allein in der Französischen Revolution den Ausgangspunkt für die Kriege in Europa bis hin zum Zweiten Weltkrieg. Sogar das deutsche Naziregime wird vom Referenten in dieser Kette eingereiht und – ohne Einschränkung – in seiner destabilisierenden Wirkung mit dem Napoleonischen Frankreich gleichgesetzt. Der deutsche Nationalstaat sei zwar 1945 zerschlagen worden, aber auch Europa habe darüber seine „weltpolitische Dominanz“ verloren. Welche Dominanz, welches Europa hier gemeint sein könnte, bleibt Wanderwitz’ Geheimnis, jedenfalls sei Napoleon auch daran schuld.
Schreckenstage in Regensburg
Im letzten Teil seines Vortrags versuchte sich Wanderwitz in der Bewertung Napoleons im Kontext der Erstürmung Regensburgs bzw. aus der Sicht der Stadt. Das Großmachtstreben der Österreicher, ihr Angriff auf das mit Napoleon verbündete Bayern und Regensburg im sogenannten Fünften Koalitionskrieg 1809, ihre Zerstörung von Stadtamhof durch die Österreicher scherten Wanderwitz nicht weiter. Die Kardinalfrage des Abends lautete für ihn: „Warum wurde Regensburg am 23. April 1809 überhaupt beschossen?“
Seine Antwort: Die zum Zuge kommenden Gründe seien keinesfalls militärischer, sondern vielmehr symbolischer Natur gewesen. „Kein Deutscher soll glauben, dass seine Stadt etwas wert“ sei. Dies sei die Botschaft Napoleons (an alle Deutschen!) gewesen, als er die Stadt Regensburg bombardieren ließ. So die Wanderwitzsche These, die zwar ohne Beleg blieb, aber ihn schließlich zu dem Schluss brachte: Die Inschrift im Pylonentor, die ja von Schreckenstagen durch Napoleon spricht, ist korrekt und berechtigt. Nun war es ausgesprochen. Der Stadtarchivar Wanderwitz versuchte zum ersten Mal öffentlich, den Inschriftentext von 2009 historisch begründet zu verteidigen. Entsprechend folgten nun heftige Widersprüche aus dem Auditorium.
Müßig wie ein Kropf und ohne Beleg
Marcus Junkelmann eröffnete die Diskussion mit einem scharf gehaltenen Gegenreferat und verwarf die Thesen von Wanderwitz im Bausch und Bogen. Napoleon habe das zurückziehende Heer der Österreicher zerschlagen wollen, nichts anders, so Junkelmann. In den Ausführungen von Wanderwitz drücke sich „manischer Franzosenhass“ aus.
Konrad Maria Färber, der Napoleon-Spezialist, dem Schaidinger seinerzeit Hausverbot erteilte, widersprach ebenso entschieden und bemängelte das Fehlen jeglicher Belege für die Wanderwitzsche These. Die sachlich falsche Inschrift sei „müßig wie ein Kropf“, Ausdruck eines Provinzialismus und angesichts der Opfer der zwei Weltkriege unangebracht. Die Tafel müsse weg.
Weitere Zuhörer widersprachen ebenso.
Man schreit sich an
In der Folge wurden alte Argumente ausgetauscht, der Ton wurde schärfer und laut. Als Wanderwitz mit seiner kühnen These von der Zerstörung Regensburgs, die Generationen von Historikern bislang entgangen war, im Grunde alleine dastand, kam Hilfe von unerwarteter Seite. Die Schwägerin des Kulturreferenten, eine promovierte Kunsthistorikerin, glaubte der Sache dienlich zu sein, indem sie auf den Ursprung der Inschrift hinwies: Ein Wunsch des Stadtamhofer Heimatvereins sei diese Inschrift gewesen, dem Klemens Unger lediglich nachgekommen sei.
Nun gab es kein Halten mehr. Viele Zuhörer riefen dazwischen. „Lüge“ schallte es durch den Saal. Heinrich Wanderwitz begann daraufhin seinerseits seine Kritiker anzuschreien. Er würde es ja wohl wissen, wie das abgelaufen sei, wo doch alles über seinen Tisch ging.
Auf eine ruhige und sachlich gehaltene Nachfrage eines Zuhörers, vom wem denn nun der Inschriftentext stamme, wollte Wanderwitz allerdings doch nicht antworten, was weitere laute Protestrufe zur Folge hatte. Erste Grüppchen flüchteten, als Wanderwitz ins angeblich „pronapoleonische“ Publikum schrie: „Ihr mit eurem Napoleon. Ihr tut so als wäre er ein Heiliger …“ Unverschämt fürwahr, wo doch Wanderwitz gerade noch Napoleon als Politiker durchgängig verteufelt und als militärisches Genie verklärt hatte.
Als im weiteren Verlauf erneut Zuhörer kopfschüttelnd das hitzige Szenario verließen, blieb Martin Dallmeier nur noch die nicht beneidenswerte Aufgabe, die Veranstaltung abzumoderieren: Die sachlich falsche Napoleon-Inschrift am falschen Ort tue der Stadtgesellschaft nicht gut, die Diskussion müsse deshalb weitergehen. Die Regensburger Schlacht um Napoleon ist noch nicht entschieden.