Die politische Jugend begeht Gedenktage. Den einen geht es dabei um den Weltfrieden, den anderen um die bürgerliche Freiheit, auch nachts an Tankstellen einkaufen zu dürfen.
Die Falken demonstrieren am 1. September, dem Antikriegstag, für Frieden und gegen Militarisierung. Der shoppende Regensburger schenkt ihnen kaum Aufmerksamkeit. (Foto: hb)
Der 1. September ist ein Tag des Gedenkens. Vor 73 Jahren, am 1. September 1939, überfiel das nationalsozialistische Deutschland Polen. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges. Am gestrigen Antikriegstag blieb Regensburg vergleichsweise unbehelligt von diesem Gedenken.
Am Vorabend gab es im Brandlbräu eine Diskussion mit Vortrag, veranstaltet vom DGB. Am 1. September selbst stellten sich die Falken mit einem Info-Stand an den Europabrunnen zwischen Ernst-Reuter-Platz und Maximilianstraße.
„Nie wieder Soldaten gegen Demokraten“ forderten sie auf dem Transparent. Sie erinnerten an die historischen Ereignisse und warnten vor einer fortschreitenden Militarisierung der Bundesrepublik. Der aktuelle Aufhänger: das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass in Unglücksfällen die Bundeswehr auch im Inneren eingesetzt werden darf. Ein Dammbruch für Kriegsgegner, denn sie befürchten, dass wegen der ausbleibenden Definition von „Unglücksfällen“ auch Demonstrationen als solche gewertet werden könnten.
Bitte keine Werbung – auch nicht für den Frieden
Die Resonanz der Passanten: bescheiden. Sie nahmen die Flugzettel – wenn überhaupt – nur im Vorbeigehen an. Die meisten winkten ab mit einer Haltung, die sagt: „Lass mich bitte mit deiner Werbung in Ruhe!“ Eine elegante Dame verschmäht das Blatt Papier und sagt: „Ich finde das ja super, was Ihr macht, aber…“ – und entschwindet eiligen Schritts. Kosovo-Krieg, Irak-Krieg, Afghanistan-Krieg – die militärischen Auseinandersetzungen der letzten 15 Jahren haben offenbar nicht mal in einer ehemaligen Bundeswehrstadt wie Regensburg einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Bei der samstäglichen Shoppingtour wollen die Leute in Frieden gelassen werden, aber nicht über Frieden diskutieren.
JuLis protestieren für liberalen Ladenschluss
Wenige Stunden später, um 20 Uhr, macht sich die nächste politische Jugendorganisation auf, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Hinter einem Häuschen auf dem Grundstück in der Landshuter Straße 110 versammeln sich ein paar JuLis. Auch sie reagieren auf einen Gedenktag: Am 1. September 2006 trat die Föderalismusreform in Kraft. Im Zuge dieser Reform wurde das Ladenschlussgesetz Ländersache.
Auf dem Höhepunkt der Protestaktion stehen die JuLis an der Kasse in der Tanke Schlage. (Foto: hb)
Was es da zu gedenken gibt, mag sich der eine oder andere fragen. Nun, die bayerische Interpretation des Ladenschlussgesetzes führte in den Augen der JuLis zu einer ganz massiven Beschneidung der bürgerlichen Freiheiten. Des Nachts ist es nur noch motorisierten Reisenden erlaubt, sich an Tankstellen mit Getränken, Nahrungsmitteln, Glückwunschkarten, IKEA-Gutscheinen und anderem Schnick-Schnack einzudecken.
Praktiziert wird diese Tankstellen-Regelung allerdings noch nicht so lange. Erst seit Frühjahr 2011 müssen sich die Regensburger einen fahrbaren Untersatz besorgen, wenn sie sich in der Nacht Bier, Eis oder den Playboy kaufen wollen. Aber nicht einmal der Autofahrer darf sich kaufen, was und wieviel er will: Der Verkauf von alkoholischen Getränken selbst an Autofahrer ist beschränkt. Fußgänger oder Radfahrer bekommen nicht mal ein Wasser. Und falls doch, schlägt möglicherweise das Ordnungsamt zu. So geschehen letzten Sommer, kurz nach Inkrafttreten dieser Regelung: Eine Tankstelle erhielt ein Bußgeld, nachdem Ordnungsamtsmitarbeiter von einem Beobachtungsposten aus erspäht hatten, dass zwei Radfahrer jeweils eine Flasche Wasser erstanden hatten.
Konspirative Beratungen
Diese Beschränkung der Konsumfreiheit muss für einen JuLi unerträglich perfide anmuten. Deswegen haben die Jungliberalen in ganz Bayern zu Protestaktionen aufgerufen. „Freier Verkauf an allen Tankstellen, anstatt Reiseproviant nur für Autofahrer“ und „Liberalisierung der Öffnungszeiten, anstatt einkaufen zu müssen, wann der Staat es erlaubt“ fordern sie auf Flyern. Flashmobs an Tankstellen sollen auf diese unerträglichen Missstände aufmerksam machen.
Aufrüttelnder Protest
Auch die Regensburger JuLis beteiligten sich daran. Um 20 Uhr versammelten sie sich bei der Aral-Tankstelle in der Landshuter Straße. Hinter einem Häuschen auf dem Gelände fand um kurz vor acht das konspirative Treffen statt, die Ausführung des Plans erfolgte um kurz nach 20 Uhr.
In einer kurzen Beratung einigt man sich auf das weitere Vorgehen: „Jetzt gehen wir alle rein und kaufen uns ein Bier!“
Protest, wie er die Welt erschüttert.
Subversives Shopping: Bier und Bananenmilch nach acht
Und tatsächlich: Um fünf nach acht stürmen knapp 20 Leute (darunter mindestens drei von der Presse) die Aral-Tankstelle. Das Kühlregal ist nahezu unzugänglich, Tegernseer und Augustiner gehen weg wie die warmen Semmeln. Manch einer wählt eine mildere Form des Protests und entschließt sich für eine Bananenmilch oder für Cola.
Dann folgt der Moment des Triumphs: Alle Flashmobber haben ein Getränk erhalten! Prost!
Geglückte Aktion: Alle Flashmobber haben ein Getränk erhalten. (Foto: hb)
Die Beute wird auf dem Tankstellengelände verzehrt, man freut sich über den gelungenen Protest und das Unterlaufen der Restriktion.
Falscher Ort, um das Gesetz zu unterlaufen?
Die Frage ist nur: Wie subversiv war das jetzt eigentlich? Ein Gespräch mit dem Tankwart hat ergeben: Der flashmobbenden JuLis durften an der Aral-Tankstelle in der Landshuter Straße 110 ganz legal einkaufen. Auch ohne Auto. Die Tankstelle hat nämlich eine Gaststättengenehmigung und fällt somit gar nicht unter die Beschränkung. Bier und Bananenmilch gab es also auch für Radfahrer, Fußgänger und per Bus Angereiste völlig problemlos.
Zu ihrem Engagement hinsichtlich des Antikriegstags, also des zweiten wichtigen Gedenktages am 1. September, befragt, gaben sie zu, nichts getan zu haben. Halt, doch: „Auf Facebook geliked“ war der Beitrag eines JuLi zum Gedenken an den Frieden.