Es ist kein schöner Termin für Oberregierungsrat Stahnke. Aber irgendwie ist es auch Alltag. Im Auftrag des Bundesamts für Migration (BAMF) soll er am Dienstag das Asylbegehren eines Flüchtlings abschmettern. In Regensburg läuft das normalerweise recht erfolgreich. Das hiesige Verwaltungsgericht ist für seine niedrigen Anerkennungsquoten bekannt. Eine Untersuchung bei iranischen Asylbewerbern hat ergeben, dass in Regensburg vor einigen Jahren nur vier Prozent von deren Klagen positiv entschieden wurden, während zur selben Zeit beim Verwaltungsgericht München ein Drittel und in Augsburg sogar fast 45 Prozent der Flüchtlinge erfolgreich geklagt hatten.
Für Flüchtlinge kein gutes Pflaster: Das Verwaltungsgericht Regensburg. Foto: as
Auch heute ist es ein Iraner, der gegen die ablehnende Entscheidung des BAMF klagt. Allerdings ist alles etwas anders als sonst.
Regensburg: Klagen haben hier kaum eine Chance
Normalerweise – in 95 Prozent der Fälle – entscheidet ein Einzelrichter über das Schicksal eines Flüchtlings. Dieses Mal scheint dieses Schicksal ebenso wichtig zu sein wie Streitigkeiten um zu hohe Gartenzäune, Baugenehmigungen oder Erschließungsbeiträge: Es tagt nämlich – ebenso wie bei solch wichtigen Streitigkeiten – eine Kammer, bestehend aus drei hauptamtlichen und zwei Laienrichtern.
Normalerweise gibt es bei Asylverfahren kaum Prozessbeobachter, was auch daran liegen mag, dass die Pressestelle des Verwaltungsgerichts solche Termine nicht mitteilt. Dieses Mal sind knapp 40 Zuhörer da. Im Eingangsbereich des Gerichtsgebäudes stehen mehrere Polizeibeamte und Sicherheitsleute.
Der Kläger ist kein Unbekannter. Mohammad Kalali protestiert seit fast sechs Monaten auf der Straße gegen die deutsche Asylpolitik und prangert das iranische Regime an. Als er in Würzburg in den Hungerstreik trat und sich dort die Lippen zunähte gingen sei Name und Foto bundesweit durch die Medien. Zuletzt sorgte Kalali mit einer Reise gegen die Residenzpflicht von Regensburg nach Düsseldorf für Aufsehen. Er gehört mit zu den exponiertesten Vertretern des Flüchtlingsprotests, nimmt man die mediale Wahrnehmung.
Am Dienstag nun klagte Kalali auf seine Anerkennung als Flüchtling in Deutschland. Sein Asylantrag war vom BAMF im Februar abgelehnt worden. Begründung: „Es ergibt sich nicht, ob er im Iran überhaupt gesucht wird.“
Objektive Verhandlungsführung Fehlanzeige
„Ich habe den Iran verlassen, um mein Leben zu retten“, so Kalali. Er sei bekennender Atheist und habe mit dieser Haltung nie hinter dem Berg gehalten. Zusammen mit Freunden habe er entsprechende Literatur aus dem Internet ausgedruckt, kopiert und verteilt. Als 2008 seine Wohnung durchsucht wurde und dabei regimekritische Bücher, CDs und Fotos beschlagnahmt wurden, flüchtete Kalali über die Türkei nach Griechenland. 2011 kam er mit einem Lkw nach Deutschland und meldete sich bei den Behörden, die seinen Asylantrag – wie erwähnt – ablehnten.
Im Verlauf der knapp dreistündigen Verhandlung wird Kalali regelrecht ins Kreuzverhör genommen. Sowohl der Vertreter des Bundesamts wie auch das Gericht sind bemüht, die Glaubwürdigkeit seiner Schilderungen zu erschüttern.
„Wie viele Bücher haben Sie verteilt?“
„Mit wie vielen Personen haben Sie Bücher verteilt?“
„Wie hat die Sicherheitsüberprüfung der Personen ausgesehen, an die Sie Bücher verteilt haben?“
„Wo hatte Sie die Bücher her?“
Dreh- und Angelpunkt all dessen: Kalali hatte bei seiner ersten Vernehmung beim Bundesamt für Migration zwar von der Hausdurchsuchung, Beschlagnahmung und der kurzzeitigen Festnahme seines Bruders berichtet, allerdings nicht erwähnt, dass er selbst religions- und regierungskritische Bücher verteilt hatte.
„Ich habe damals Fragen beantwortet, die mir gestellt wurden“, so Kalali. Im Verlauf des eineinviertelstündigen Gesprächs habe aber die Vertreterin des Bundesamts immer wieder Druck gemacht. „Es war wie ein Verhör.“ Es habe immer wieder geheißen: „Mach schnell. Wir haben keine Zeit.“ Auch sei er damals – er war gerade in Deutschland angekommen – unter erheblichem psychischen Druck gestanden.
Groteskes Frage-Antwort-Spiel
Eine schriftliche Übersetzung seiner ersten Vernehmung hat Kalali übrigens nie erhalten. Ihm wurde mündlich rückübersetzt, was das BAMF auf Deutsch als seine Aussage festgehalten hatte. Anschließend musste er unterschreiben. Und es ist diese von ihm unterschriebene Aussage, die ihm am Dienstag en detail und in zum Teil absurden Frage-Antwort-Spielchen von Gericht und BAMF-Vertreter vorgehalten wird.
Drei Stunden Kreuzverhör durch Gericht und BAMF-Vertreter: Kalali mit seinem Rechtsanwalt Franz Auer. Foto: as
„Wo standen die Bücher?“
„Auf dem Regal in meinem Zimmer.“
„Warum haben Sie dann behauptet, Sie hätten die Bücher in Ihrem Zimmer versteckt?“
„Wo wurde Ihr Bruder festgenommen?“
„In der Wohnung.“
„Warum haben Sie dann beim BAMF gesagt, in Ihrem Zimmer?“
„Sie sagen, es wurden politische Bücher beschlagnahmt. Warum steht im Protokoll religiöse Bücher?“
„Das waren ‘Die Satanischen Verse’ von Salman Rushdie. Die würde im Iran niemand als religiöses Buch bezeichnen.“
Fehler? „Sorry!“
Als Kalali angesichts dessen und weiterer Widersprüche, die das Gericht da aufzudecken glaubt, mögliche (Übersetzungs)fehler in seinem Vernehmungsprotokoll vermutet, wird der beisitzende Richter grantig.
„Sie behaupten also, das Protokoll ist eine Fälschung?“
„Nein. Ich spreche von Fehlern.“
„Nein. Sie sagen doch, dass es eine Fälschung ist.“
„Nein. Aber es gibt Fehler in dem Protokoll.“
„Sie haben dieses Protokoll unterschrieben.“
Dass es in dem Protokoll durchaus Fehler gibt, die zuvor so vehement bestritten werden, räumen kurz darauf aber alle Beteiligten ein. Etwa, als erwähnt wird, dass als Religionszugehörigkeit Kalalis „protestantischer Christ“ vermerkt wurde. Ein Umstand, den der bis dahin so detailversessene BAMF-Vertreter nur mit einem peinlich berührtem „Sorry“ kommentiert und mit dem sich das Gericht nicht weiter aufhält. Fehler passieren eben und sind ganz normal – solange man sie nicht als Falschaussagen des Flüchtlings interpretieren kann.
„Keine exponierte Person bei den Protesten“
Dass Kalali sich seit sechs Monaten aktiv und öffentlichkeitswirksam an Protesten in Deutschland beteiligt, sieht der BAMF-Vertreter nicht als Grund an, eine Gefährdung Kalalis im Iran zu befürchten. „Darauf könnte sich ja jeder berufen, der sich an irgendeinen Büchertisch stellt oder mal ein Transparent in die Höhe hält.“ Kalali sei keine exponierte Person bei den Protesten oder gar ein bekannter Regime-Gegner. Er habe im Fall einer Abschiebung nichts zu befürchten. Punktum.
Posieren für die Medien: Mohammad Kalali bei einer Pressekonferenz in Düsseldorf. Foto: as
Eine Antrag von Kalalis Rechtsanwalt Franz Auer, eine Einschätzung dazu von Amnesty International, dem UN-Flüchtlingshilfswerk und dem Bundesamt für Verfassungsschutz zur Bedrohungslage im Iran einzuholen, lehnt das Gericht nach halbstündiger Beratung ab.
Im Vorfeld der Verhandlung hatte die Kammer noch selbst eine nahezu wortgleiche Anfrage an das Auswärtige Amt gestellt. Die Antwort zusammengefasst: Wir wissen es nicht.
Am Dienstag kommt das Gericht aber nun auch ohne entsprechende Anfragen, geschweige denn Antworten, zu dem Ergebnis, dass eine Verfolgung Kalalis nicht „mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit“ anzunehmen sei.
Eine Entscheidung wird am Ende zwar nicht verkündet – diese werde schriftlich zugestellt, so die Vorsitzende Richterin. Angesichts des Verhandlungsverlaufs scheint eine Abweisung von Kalalis Klage aber so gut wie sicher. Aber das ist am Verwaltungsgericht Regensburg ja ganz normaler Alltag.