Mit der bereits vorgestellten aufschlussreichen Publikation von Peter Eiser und Günter Schießl, „Kriegsende in Regensburg. Die Revision einer Legende“ (2012), muss die bislang gültige Darstellung der letzten Kriegstage in Regensburg nach Robert Bürger (1983) als widerlegt gelten. Desweiteren wurde für den Fall der Einstellung der Kampfhandlungen von April 1945 vor allem die Notwendigkeit einer bedingungslosen Kapitulation herausgearbeitet. Von dieser Prämisse ausgehend, sollen nun die näheren Umstände der Publikation von Bürger (1983) in den „Verhandlungen“ (VHVO Bd 123) unter dem Aspekt ihrer Wissenschaftlichkeit betrachtet werden.Letzter Teil unserer Serie zum Kriegsende in Regensburg (Hier abrufbar: Teil I, Teil II und eine kurze Zusammenfassung). Der komplette Text von Robert Werner als PDF.UPDATE, 25.06.12: Eine Erwiderung von Dr. Werner Chrobak
Wehrmacht-Kommandatur am fürstlichen Schloss in Regensburg. Foto: Günter Schießl, Veranstaltung vom April 1995 im ehemaligen Kreisleiterbunker Regensburgs
Bürgers Erstfassungen – „ein echtes Wunder“
Von Bürgers Veröffentlichung in den VHVO Band 123 existieren zwei Vorläufer: die sogenannte „Erstfassung“ vom Mai 1981 und eine korrigierte Version vom Dezember 1981. Schießl und Eiser berichten, dass Bürger die erste Variante u. a. dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg angeboten hat. Dort lehnte man sie allerdings wegen fehlender militärgeschichtlicher Relevanz und der subjektiven Befangenheit Bürgers ab. Daraufhin sprach er ein Jahr später beim Regensburger Bischöflichen Zentralarchiv (BZA) vor und übergab ihm einen ganzen Ordner mit Materialien.
Dort war man seinerzeit, wie in allen katholischen Bistümern Deutschlands, mit der biographischen und statistischen Erhebung von geistlichen NS-Opfern beschäftigt. Dieses Projekt der deutschen Bischofskonferenz hieß „Priester unter Hitlers Terror“ und der Domprediger Johann Maier ragt in diesem Zusammenhang heraus, da er das einzige Todesopfer des NS-Terrors des Regensburger Bistums ist. Maier gilt schon lange als aussichtsreicher Kandidat für eine Seligsprechung und der bereits erwähnte Schlusssatz in Bürger (1983), wo von „Opfer der Märtyrer“ und Gebetsannahme um den 23.April die Rede ist, scheint genau dahingehend abgestimmt worden zu sein. Für den wahrscheinlichen Fall, dass ausreichend viele (Regensburger) Gläubige um ein Seligsprechungsverfahren für Johann Maier bitten werden, dürfte ein solches vom Diözesanbischof eröffnet werden.
Jedenfalls scheint man im BZA die Erstfassung Bürgers (1981), in der die Rettung Regensburg als „ein echtes Wunder“ angesprochen wird, mit offenen Armen aufgenommen zu haben. Allerdings erfüllten all diese Vorarbeiten keinesfalls die üblichen wissenschaftlichen Standards.
Liest man diese Vorläufer von 1981 heutzutage, sind bei Bürger reichlich Interesse an einer eitlen Selbstdarstellung und kaum wissenschaftlich-historische Ansätze zu erkennen. So stellt er etwa seinem Bericht eine soldatische Floskel voran: „Ehre wem Ehre gebührt“, womit er auf sich selbst anspielt. Robert Bürger, so lässt es sich klar erkennen, war schlichtweg nicht in der Lage, eine wissenschaftlich gehaltene historische Abhandlung zu verfassen. Zu viele militärische Fingerübungen, selbstreferenzielle Andeutungen und soldatische Gedanken über die Disziplin verunzieren die auf 1981 datierten Texte, die kaum strukturiert sind und oft nur aus Aufzählungen bestehen.
Neben der Betonung vom Wunderglauben und dem Bemühen von Schutzengeln fällt Bürgers neidvolles Abwertungsinteresse an dem Ia-Offizier Othmar Matzke auf. Dieser sei entgegen der Befehlslage in der Stadt geblieben und habe undiszipliniert – mit offenem Mantelkragen! – kapituliert, weshalb er „wegen unerlaubtem Entfernen von der Truppe gemeldet“ worden sei. „Wir haben … (Matzke) gemeldet“, heißt es bei Bürger im Plural der soldatischen Pflichtbewussten, die erst am 8. Mai mit der bedingungslosen Kapitulation von ihrem Durchhaltezwang entbunden wurden. Zeigte Bürger auf Matzke, um davon abzulenken, dass er, wie erwähnt, seinem Marschbefehl von April 1945 nicht nachgekommen war?
Bürgers Subjektivität im wissenschaftlichen Gewande
Beim direkten Vergleich der Erstfassung von Ende 1981 mit dem Aufsatz, der vorgeblich unter der Autorenschaft von Robert Bürgers in den VHVO (1983) erschienen ist, stellt sich die Frage, wer letztgenannten eigentlich verfasst hat. In dem o. g. Materialordner, den Bürger neben dem BZA auch der Staatlichen Bibliothek übergab, findet sich eine Erklärung, in der Bürger seinen Dank an Werner Chrobak für Korrektur, Ergänzung der Quellen und Vornahme eines Drucksatzes seiner Abhandlung ausspricht.
Im Vorwort des publizierten Aufsatzes hingegen spricht Chrobak selbst davon, dass er ein Angebot über eine gemeinsame Abfassung einer Arbeit ablehnte, „da das ihm vorgelegte Manuskript bereits so gut ausgearbeitet“ war (S. 379).
Eine Inaugenscheinnahme kommt zu einem anderen Ergebnis, da das von Bürger hinterlegte Manuskript mit den Erstfassungen von 1981 keinesfalls „gut ausgearbeitet“ war, wie oben kurz skizziert und ebenso vom Freiburger Militärgeschichtlichen Amt konstatiert wurde. Dass Robert Bürger den unter seinem Namen in den VHVO publizierten Aufsatz in dieser Form eigenständig geschrieben hat, halte ich angesichts der vorliegenden Quellenbasis für ausgeschlossen.
Da die „Verhandlungen“ des Historischen Vereins als seriöser Verlag gelten und die Abhandlung „Regensburg in den letzten Kriegstagen des Jahres 1945“ der äußeren Form nach im geforderten wissenschaftlichen Gewande erscheint, bestimmte sie fürderhin den lokalgeschichtlichen Kanon. Das heißt, bereits mit der Publikation in den VHVO Band 123 beginnt der oben erwähnte „Kometenschweif von Zitierenden“, die sich auf diesen Aufsatz beziehen, und nicht erst mit der Rezeption in militärgeschichtlichen Arbeiten, wie Eiser und Schießl meinen. Der Historiker Werner Chrobak hielt dem Oberst a. D. Robert Bürger den Steigbügel und ermöglichte ihm einen einmaligen Ausritt ins wissenschaftliche Gelände.
Keine Quellenkritik und Ausblenden von störenden Quellen
Die erste wissenschaftliche Arbeit, die in Teilen auf Bürger (1983) fußt, stammt aus der Feder von Werner Chrobak. Sie erschien in den VHVO 125 (1985) und trägt den Titel „Domprediger Dr. Johann Maier – ein Blutzeuge für Regensburg. Zum 40. Todestag neue Forschungen und Studien“. Chrobak untersucht darin die militärische Situation und die Demonstration Ende April 1945 in Regenburg, die Festnahme und Hinrichtung von Domprediger Maier und schließt mit einer Würdigung und Bewertung von ihm als Blutzeugen und Märtyrer. Chrobak betont im Anschluss an Bürger: Die militärtaktische Entscheidung, die Kampfgruppen aus Regensburg abzuziehen, habe aber nichts mit Engagement von Johann Maier bzw. der Demonstration vom 23. April zu tun gehabt.
Chrobaks Aufsatz von 1985, den Eiser und Schießl übrigens nicht in ihre Legendendemontage mit einbezogen, schließt zeitnah an den Vorgänger an und befördert Bürger sogar zur „rechten Hand“ des Regensburger Stadtkommandanten. In einer Fußnote wird Bürger dabei nochmals für „die weitere, konstruktive Zusammenarbeit“ (S. 455) bzw. die getätigten persönlichen Angaben herzlich bedankt, eine gewisse Interessenidentität wird deutlich. Chrobaks grundsätzlich verdienstvolle Arbeit, wird dadurch tendenziös, da er keinerlei Kritik an Bürger (1983) übt. Hier wiederholt sich aber im Grunde nur der Verzicht auf Quellenkritik.
Gefangene Soldaten und Flakhelferin. Foto: Günter Schießl, Veranstaltung vom April 1995 im ehemaligen Kreisleiterbunker Regensburgs
Unterließ Chrobak bei seiner „konstruktiven Zusammenarbeit“ mit Bürger (1983) eine objektiv gesehen unbedingt notwendige quellenkritische Intervention, als sich Letzterer quellenmäßig auf die bereits erwähnte singuläre und teilweise geschwärzte Kopie eines von ihm abgeschriebenen Kriegstagebuchs stützt, blendet er spätestens für die anschließende Arbeit zu Dr. Maier (1985) störende Quellen, wie z.B. Troll (1981), systematisch aus.
Bürger (1983) unvereinbar mit amerikanischen Quellen
Zwei Jahre nach Chrobaks Arbeit zu Domprediger Maier erschien in den „Verhandlungen“ (Bd 127, 1987) eine wertvolle Arbeit mit dem Titel „Amerikanischen Quellen zur Vorgeschichte der Kapitulation von Regensburg im April 1945“. Sie stammt von Jürgen Mulert und lässt die Schilderung von Bürger „teilweise in einem etwas anderen Licht erscheinen“. (S. 267) Mulert kann in seinem zehnseitigen Aufsatz keine Gesamtdarstellung liefern. Er bietet einen Überblick über die Quellenlage, der jedoch sehr aufschlussreich ist und zu weiteren Forschungen geradezu einlädt, jedoch von Schießl und Eiser (2012) leider weitgehend vernachlässigt wurde. Im Zusammenhang mit Bürgers Darstellung des Truppenausmarsches aus Regensburg ist die Überlieferung eines Details der Kapitulation vom 27. April sehr interessant. In dem S-2 Report No. 45, 14th Inf. Reg. wird der General a. D. Leythäuser, der den Amerikanern die Kapitulationserklärung der Stadt überbrachte, mit der Angabe zitiert, „daß alle Wehrmachtseinheiten die Stadt am Tag vorher [= 26. April; Anm. R.W.] in südöstlicher Richtung verlassen hätten.“ (S. 274) Genauere Informationen über deren Zustand habe er nicht.
Diese Angaben Leythäusers sind als höchst verlässlich einzustufen, da er aktuell vom US-Militär befragt wurde und sich in offizieller und für die Regensburger überlebenswichtiger Mission befand. Sie sind allerdings unvereinbar mit denen von Bürger (1983), wonach sein 1400 Mann starkes Regiment in den ersten Stunden des 27. Aprils in südlicher Richtung ausgezogen und bei Tagesanbruch an einem Schießplatz vor der Stadt angekommen sei.
Darüber hinaus stellt ein weiterer Zeitzeuge Bürger (1983) und somit auch jegliche Bezugnahme auf seine Darstellung grundsätzlich infrage.
27 Jahre nach dem Interview beim Wein in der Wachau
Hierbei ist das bereits erwähnte Interview mit dem ehemaligen Ia-Offizier Othmar Matzke, das Chrobak zusammen mit dem Regensburger Stadtarchivar Heinrich Wanderwitz Anfang 1985 in Krems (Wachau) führte, zu nennen. Das hauptsächliche Interviewinteresse an Matzke ist eindeutig erkennbar, mehrfach auch ausgesprochen, und bezieht sich primär auf die Vorgänge um die Hinrichtung von Domprediger Maier. Allerdings kommt in dem 90seitigen Interview auch zum Ausdruck, dass Chrobak und Wanderwitz die Angaben von Bürger (1983) gerne von Matzke bestätigt hätten. Fehlanzeige.
Matzke weiß weder was von einem „Stellvertreter“ des Kampfkommandanten noch von einem Streitgespräch mit ihm. Einen „Major Bürger“ kennt er nicht. Er dementiert sowohl die Einkreisung Regensburgs als auch den nächtlichen Auszug eines Regiments ausdrücklich. Vielmehr spricht Matzke von einer massenhaften Absetzbewegung: rund 70% der Soldaten seien Ende April in ziviler Kleidung davongelaufen. Ihm sei es bei seiner Kapitulation nicht nur um die Stadt gegangen, sondern ebenso um das Verhindern von „idiotischen Befehlen“, was sehr gefährlich gewesen sei. Der Tod des Erlanger Kommandanten Lorleberg bestätigt die Gefahr einer Kapitulation.
In jedem Fall wäre es die unerlässliche Aufgabe eines Historikers, widersprüchliche Zeitzeugenangaben zu diskutieren und abzuwägen. Was Chrobak seit Mitte der 1980er Jahre tat, nämlich die Bürger widersprechenden Angaben Matzkes auszublenden und nur solche zu verwenden, die ins Bild passen, ist unverzeihlich und disqualifizierend für einen Autor mit wissenschaftlichem Anspruch.
Bleibt die Frage, warum Chrobak unliebsame Quellen ignoriert? Seine Antwort (vom 8. Juni 2012) auf die Frage hin warum er „die Information aus dem Interview mit Herrn Major Othmar Matzke nicht in … (die) eigenen Arbeiten (z.B. VHVO 125) einfließen lassen“ und „zusammen mit der Darstellung von Robert Bürger diskutiert“ habe, macht zunächst sprachlos. Jenes Interview sei so ausführlich gewesen und das Abtippen im Stadtarchiv habe „letztendlich sich so lange hingezogen …, dass es unmittelbar nicht verwertbar war“.
Eiser und Schießl (2012) konstatieren für Chrobaks Arbeiten zum Kriegsende in Regensburg (zuletzt im Almanach 2005), dass die „beständige Abwertung Matzkes“ bezeichnend zu sein scheint. Angesichts der geschichtsklitternden Vorgehensweise von Robert Bürger und der geschilderten sehr tendenziösen „Quellenarbeit“ ist diese Resümee verharmlosend.
Korrektur der Legende und Erkenntnis Geschichtsklitterung
Obwohl die Arbeit von Eiser und Schießl in der Lokalpresse positiv aufgenommen wurde – „Revision der Legende einer Heldentat“ meldete die MZ vom 25. 4. 2012 – ist derzeit noch nicht abzusehen, ob eine Korrektur der 30jährigen wissenschaftlichen und lokalgeschichtlichen Rezeption von Bürger (1983) stattfinden wird. Ginge es allein nach Werner Chrobak, würde dies nicht geschehen. Auf Nachfrage hin erklärte er gänzlich unbeirrt, es seien keine „stichhaltigen Gegenbeweise“ geliefert worden. Eiser und Schießl (2012) käme zwar das Verdienst zu, viele Details geklärt zu haben. Dessen ungeachtet bleibe es dabei, dass das „Faktum“ des militärischen Auszuges vom 27. April unter dem seinerzeitigen Stadtkommandanten und seiner rechten Hand Robert Bürger die Stadt vor der Zerstörung gerettet habe. Eventuell verfasse er eine Rezension von „Kriegsende in Regensburg. Die Revision einer Legende“. Für die „Verhandlungen des Historischen Vereins“ versteht sich.
Es wäre in gewisser Weise sogar nachvollziehbar, wenn Dr. Werner Chrobak, 30 Jahre nachdem Robert Bürger durchgängig manipulatorisch mit Texten und Dokumenten umging, den selbst ernannten Retter Regensburgs weiterhin decken würde. Schließlich geht es auch um drei Jahrzehnte Rezeption und einen wichtigen Teil seiner eigenen wissenschaftlichen Arbeit. Da fällt ein grundsätzliches Eingeständnis, als junger Wissenschaftler einem Blender aufgesessen zu sein, sicher nicht leicht. Da ein Teil seiner Arbeit auch in das zu erwartende Seligsprechungsverfahren von Domprediger Johann Maier einfließen würde, wären in dieser Hinsicht weitere unangenehme Problemlagen zu erwarten.
Was ansteht, ist eine ausführliche Rezension von Peter Eiser und Günter Schießl (2012), eine Besprechung von „Kriegsende in Regensburg“, die den Regensburger militärgeschichtlichen Kontext von Kapitulation und Beendigungen der Kampfhandlungen im April/Mai 1945 herausarbeitet. Dass eine solche nicht von Werner Chrobak stammen kann, dürfte unverkennbar sein. Chrobak muss in dieser Hinsicht als subjektiv verstrickt gelten.
Einer Korrektur der Bürgerschen Legende ginge die Erkenntnis voraus, dass Robert Bürger eine Geschichtsklitterung betrieben hat, die auf ein vielfältiges Wohlgefallen gestoßen ist.