Gut 2.000 Menschen (laut Polizei: 1.400) haben am Samstag in Regensburg gegen das umstrittene ACTA-Abkommen demonstriert. Der Protest schafft es auf die Straße. Das Thema auch. Es geht nämlich um weit mehr als „nur“ die Freiheit im Internet.
„Bullshit!“ Als Stefan Körner das am Bismarckplatz ins Mikro ruft, wird der Applaus am lautesten. Dass der Bayernvorsitzende der Piraten das bisherige undurchsichtige und undemokratische Zustandekommen des ACTA-Abkommens mit diesem Attribut belegt, gefällt (Körners Rede komplett gibt es hier).
Allein, dass dessen Unterzeichnung im (dafür überhaupt nicht zuständigen) Fischereiausschuss der EU beschlossen wurde, spricht Bände. „Es stinkt“, sagt Körner.
Dass das Abkommen, das vorgeblich geistiges Eigentum besser schützen soll, ohne Beteiligung von Welthandelsorganisation (WTO) und Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), erarbeitet wurde, dafür aber Konzerne wie Microsoft, Google oder Monsanto mit am Verhandlungstisch saßen und der Text des Abkommens eher zufällig öffentlich wurde, tut ein Übriges.
Ein transparentes, demokratisches Verfahren? „Bullshit!“ Das hat etwas Erfrischendes (Mehr über ACTA: http://digitalegesellschaft.de/)
Partei-Jugend geschlossen gegen ACTA
Wobei – Erfrischung braucht man bei der Demo am Samstag eigentlich nicht. Zwar scheint die Sonne, aber es ist eiskalt. Trotzdem sind es über 2.000 Menschen, die da am Nachmittag in Regensburg auf die Straße gehen, um gegen ACTA zu protestieren, das „Internationale Handelsabkommen zum Kampf gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen“. Der Protest hat es tatsächlich vom Internet auf die Straße geschafft. Trotz der kurzfristigen Ankündigung der Bundesregierung am Freitag, das Abkommen – vorerst – nicht zu unterzeichnen.
Für den Regensburger JU-Chef Michael Lehner, der in Begleitung einiger Jungs von der Schülerunion gekommen ist, ist es seine erste Demo. Und dann gleich Schulter an Schulter mit Gruppen wie Antifa und SDS, mit Piraten und Linken? „Da sind wir uns eben alle einig.“ Warum die Jugendorganisationen eigentlich aller Parteien gegen ACTA sind und die meisten Parteien – insbesondere CDU und CSU – nicht? Lehner: „Die kennen sich eben nicht aus. Das liegt wahrscheinlich am Alter.“
„Sollten hier Nazis auftauchen, fliegen sie raus.“
Tatsächlich sind es vor allem (aber nicht nur) junge Leute, die man am Samstag sieht. Viele mit Anonymous/ Guy Fawkes-Konterfei, mal die klassischen Plastikmasken, mal selbstgezeichnet auf Karton oder den gezwirbelten Schnurrbart ins Gesicht geschminkt.
Die Stimmung ist gut, fast ausgelassen. Damit, dass tatsächlich annähernd so viele Demonstranten kommen würden, wie auf Facebook oder Twitter angekündigt, haben selbst die hartgesottenen Internet-Aktivisten nicht gerechnet, seien es nun die Piraten, der AK Vorrat, der CCC oder Anonymous.
Das Bündnis gegen ACTA ist breit, sehr breit. Wen man nicht dabei haben will, macht Armin Schmid (AK Vorrat) gleich zu Beginn der Demo per Lautsprecheransage klar: „Sollten hier Nazis auftauchen, fliegen sie raus.“ Wahrgemacht werden muss diese Ansage nicht. Falls sich Nazis, die ebenfalls zu den bundesweit stattfindenden Anti-ACTA-Demos mobilisiert hatten, nach Regensburg verirrt haben, so treten sie jedenfalls nicht in Erscheinung.
„ACTA kostet Menschenleben!“
Die Stimmung ist friedlich, die Polizei agiert zurückhaltend, trotz der – ausnahmsweise erlaubten – „Vermummung“ mit besagte Guy Fawkes-Masken und auch als auf dem Domplatz innerhalb der Demo kurz ein bengalisches Feuer abgefackelt wird.
Auch thematisch schafft es der Protest heraus aus und weg vom Thema Internet. Dass von ACTA nicht nur die Gefahr ausgeht, dass Datenschutz und Meinungsfreiheit im Internet eingeschränkt werden, um die Interessen von Film- und Musikindustrie besser absichern zu können, sondern dass es auch um Saatgut, Lebensmittel und Medikamentenversorgung in der Dritten Welt geht, macht Martin Stauder (attac Regensburg) klar.
Agrarkonzerne wie Monsanto treiben mit Patenten auf Saatgut bereits jetzt weltweit Kleinbauer in den Ruin. Keine Lizenzgebühr – kein Saatgut. Selbstmordwellen unter Kleinbauern in Indien geben von dieser Praxis beredtes Zeugnis ab (mehr im Video unten).
„Wenn durch ACTA die Kontrolle auf solche Patente noch verschärft wird, wird es massenweise zu Gerichtsprozessen und dem Ruin von Landwirten kommen“, befürchtet Stauder. ACTA könne zum „Geldeintreiber der Agrarkonzerne“ werden. Ähnliches gelte für Generika – preisgünstige Nachahmungen von Medikamenten – wie sie vor allem in der Dritten Welt verwendet werden. Diese Generika, die insbesondere zur Behandlung von AIDS und HIV eingesetzt werden, könnten in Folge von ACTA künftig vom europäischen Zoll beschlagnahmt werden, so Stauder. „ACTA kostet Menschenleben.“
Ismael Ertug: Bundesregierung wälzt Verantwortung ab
Im März muss sich das EU-Parlament mit dem Abkommen beschäftigen. Der Oberpfälzer EU-Abgeordnete Ismael Ertug (SPD) ist am Samstag in Regensburg dabei und gibt ein kurzes Statement ab. Seine Partei eiert bei dem Thema herum, hat bislang keine klare Position. „Eigentlich hätte ACTA zuerst im Bundestag debattiert werden sollen.“ Dass die Bundesregierung das Abkommen nun vorerst nicht unterzeichnen wolle, sei ein Abwälzen der Verantwortung auf das EU-Parlament, so Ertug. Dort werde man aber „mit Argusaugen“ darauf achten, dass ACTA nur verabschiedet werde, wenn weder Grundrechte eingeschränkt, noch der Datenschutz aufgeweicht würde, verspricht er.
Doch weder diese Ankündigung, noch das „Vorerst“ der Bundesregierung dürften die Kritiker zufriedenstellen. Es könne nur eine Lösung geben sagt der oberste bayerische Pirat Stefan Körner am Ende seiner Rede. „Die BRD lehnt die Unterzeichnung von ACTA definitiv und endgültig ab.“ Und hier wird es am Bismarckplatz fast noch lauter als bei „Bullshit“.