Old-School-Öffentlichkeitsarbeit: Im Regensburg der 70er werden Handzettel über Einzelfälle verteilt.
Am Donnerstag feierte die „Ortsgruppe 1100“ von Amnesty-International mit Gründungsmitgliedern und rund 50 Gästen ihren 40. Jahrestag. Im „Alumneum“ der Evangelischen Kirchengemeinde (ESG) am Ölberg ließ man die internationale Arbeit Revue passieren. Aus dem Nähkästchen der Gründungsjahre wusste Veit Wagner, der „Vater“ der Regensburger Gruppe einiges zu berichten. Bis heute hält sich hartnäckig, was einst als „Quasi-Spontis“ verhöhnt wurde.
Das Gründungsmandat von Amnesty ist der Einsatz für gewaltlose politische Gefangene, Meinungsfreiheit und für die Abschaffung der Todesstrafe weltweit. In über 100 Ländern gibt es Ortsgruppen wie die Regensburger, die sich an den internationalen Kampagnen beteiligen oder eigene Beispielfälle betreuen. Die bekannteste Aktionsform ist das Sammeln von Unterschriften für Protestbriefe an Machthaber, die Menschenrechte verletzen, bzw. für Petitionen an Justizministerien, um formal geltendes Recht einzufordern.
Was hat Amnesty mit der Kirche zu tun?
“Was gut ist, darf man nicht ändern.” Pfarrer Friedrich Hohenberger. Fotos: Annika Lüthy
Eine ökumenische Adventsandacht eröffnete den Jahrestag in der Neupfarrkirche. Pfarrer Friedrich Hohenberger sah in seiner Ansprache die Anliegen von Amnesty eng mit christlichen Werten verwoben. Die Fürbitten richteten sich an die Opfer von Machtmissbrauch und Gewalt, gegen Krieg und Terror und gegen Verletzungen der Meinungsfreiheit. Was hat aber ausgerechnet die Kirche mit der unreligiösen Organisation zu tun? Die ESG stellt für die Menschenrechtsorganisation die Räume Am Ölberg 2 zur Verfügung. Dazu Hohenberger: „Das wird auch so bleiben, weil Amnesty eine gute Sache ist. Und was gut ist, darf man nicht ändern.“
Den anschließende Umtrunk in den Sitzungsräumen der ESG begleitete Brigitte Karczmarek, die Leiterin der Gruppe. Skurriles wusste Veit Wagner, selbst Student der 60er Jahre, über die Barrieren der Gründungsjahre und über erste Protestaktionen zu berichten. Aus den informellen Treffen in der Uni-Mensa wurde unter seiner Leitung die Regensburger Ortsgruppe, die mit Handzetteln auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machte.
Bespuckt und belächelt
Bespuckt und belächelt sei damals ihre „Öffentlichkeitsarbeit“ worden. Bei dem Verteilen von Handzetteln auf dem Haidplatz 1973, brachten aufgebrachte Regensburger sogar einiges durcheinander. „KGB, haut’s ab!“ oder „Ihr seid’s ja schlimmer als wie das FBI“ waren nur einige von vielen vergessenen Kommentaren, so Wagner. Bald aber erzielte man erste Erfolge. Schon im zweiten Jahr konnte in Zusammenarbeit mit dem Regensburger Siemens Gymnasium eine Ausstellung organisiert werden, die politisch Verfolgten in Rhodesien und Vietnam unterstützte.
Kein Wunder, dass die Regensburger zunächst nicht besonders begeistert von den „faulen Studenten“ waren. Über den politischen Lokalhintergrund in den Siebzigern äußerte sich vor Kurzem sogar die Frankfurter Allgeimeine Zeitung: „In einer von CSU-, Fürsten- und Kirchen-geführten Provinz wie Regensburg muss man etwas wie Amnesty schlichtweg als Sünde betrachten!“
Der Unmut des Schirmherrn
Die Ausstellung „Aufmachen – Geheimpolizei!“ 1982 sorgte im „Leeren Beutel“ für großes Aufsehen. Die Besucher wurden gezielt mit Fotos von Folterszenen aus Südafrika, Argentinien, UDSSR und der Türkei konfrontiert. Die Bilder polarisierten gewaltig und stießen sogar dem Schirmherren, dem damaligen Oberbürgermeister Friedrich Viehbacher (CSU), sauer auf.
In seinen Augen hatte Amnesty zu wenig „objektiv dokumentiert“ und „reißerisch Einzelschicksale“ hervor gehoben. Aber auch damals war dies zu keinster Zeit das Anliegen der Regensburger Ortsgruppe. Einzelfälle ja, aber sicher nicht reißerisch, sondern leider wahr. Besonders bewegend ist deshalb ein Zitat von Ayatollah Khomeni, das man als Bildunterschrift einer Executionsszene wählte: „Die Kurden sind die wahren Atheisten, sie sind die Nachkommen des Teufels, man muss sie gnadenlos zermahlen.“
Die Köpfe von Amnesty Regensburg: Stefan Berger, Raphaela Natter und Brigitte Karczmarek. Foto: Lüthy
Von Einzelfällen hin entwickelte die Ortsgruppe sich hin zur Kampagnentätigkeiten. Dazu gehört, dass man 2005 in den USA die Todesstrafe von Jugendlichen als verfassungswidrig eingestuft hat. Die Vereinigten Staaten waren vorher mit der Hälfte aller Hinrichtungen weltweit dramatischer Rekordhalter in der Sache. Die Gruppe 1100 (Regensburg) setzte sich für fünf Jugendliche in Arizona ein und trug so dazu bei, dass der internationale Druck auf die Regierung wuchs.
Menschenrechte? Und was geht Regensburg das an?
Von Yahoo verraten, von der chinesischen Regierung zehn Jahre eingesperrt: Der Journalist Shi Tao. Foto: Amnesty
Brigitte Karczmarek, Leiterin der Regensburger Gruppe, berichtete nun im Anschluss von den Erfolgen, die die Regensburger Bürger in Form von Petitionen erreicht haben. So kam der unschuldig verurteilte Bremer Murat Kurnaz frei. Durch Unterschriften auf dem Regensburger Gassenfest wurde ihm nach vier Jahren Guantanamo Bay im Jahr 2006 die Freiheit wieder geschenkt.
Das aktuelle Projekt befasst sich derzeit mit dem chinesischen Journalisten Shi Tao. Er soll Staatsgeheimnisse weiter gegeben haben und wurde deshalb zu zehn Jahren Haft verurteilt. Die chinesische Regierung hatte vor dem 15. Jahrestag am „Platz des himmlischen Friedens“ der Presse verboten, über das damalige Massaker zu berichten. Shi Tao informierte eine amerikanische Nichtregierungsorganisation per E-Mail darüber und Yahoo gab darauf hin China den Inhalt der Mail Preis.
Im Alumneum Am Ölberg 2 liegen deshalb derzeit Petitionslisten und Postkarten für den Journalisten aus. Auch befindet sich dort die aktuelle Ausstellung der internationalen Erfolge, die Regensburg gestützt hat. So können sich die Bürger erneut mit der Hilfe von Amnesty-International weltweit, dieses Mal für Meinungsfreiheit, einsetzen.
Kontakt: www.amnesty-Regensburg.de
Spendenkonto: 8090100, BfS Köln, BLZ 37020500