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So viel Brimborium ohne Anteilnahme?
Was ist los? Ein zweistündiger Film, der sich nur um den Hl. Vater dreht, der eine kardinalsmäßige Kostümschlacht auf die Leinwand zaubert, ein Epos, das den Vatikan kaum je verlässt und bombastische Kulissen auffährt (die Sixtinische Kapelle wurde komplett nachgebaut) – und so wenig bischöfliche Begeisterung? So viel Brimborium um den Papst, und so gar keine klerikale Anteilnahme? Großes Kino um die seelischen Nöte des Herrn Stellvertreters, und Ratzingers Leib- und Magenblatt wendet sich ab, liefert gerade mal so einen Pflichtriemen? Ja, schon klar. Alles rhetorische Fragen. Natürlich kommt das alles nicht von ungefähr. Während der saubere Herr Ratzinger bei seiner Erwählung anno 2005 eben nur damit kokettierte, als „einfacher, demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn“ des höchsten Amts nicht würdig zu sein, macht Nanni Morettis Papst ernst damit und sagt schlicht njet. Da steht der Kardinalstaatssekretär auf dem Balkon des päpstlichen Palasts und spricht die feierlichen Worte ins Mikrophon: „Annuncio vobis gaudium magnum: Habemus Papam!“ Aber es will keine rechte Freude aufkommen. Denn der Erlöser mag nicht, er kann nicht, er ist blockiert, seine Füße wollen ihn nicht tragen.
Und schon klappt der Katholizismus zusammen…
Die Menge wartet darauf, dass sich der Messias zeige, doch der lässt mitteilen: „In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen!“ Und schon klappt der Katholizismus wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Was Nanni Moretti hier in beeindruckend ruhigen und souveränen Bildern vorführt, ist die Umkehrung jener schönen Szene im „Leben des Brian“: Nach einer Nacht mit der schönen Judith reißt Brian, noch nackt und gähnend, die Fensterläden auf und erblickt eine unüberschaubare Menschenmenge, die nur auf diesen Augenblick gewartet hat, um ihm endlich zujubeln zu können. Der anschließende „Dialog“ zwischen Brian und der Menge (die im Chor spricht) macht schnell klar: Er kann machen, was er will, die Masse ist wild entschlossen, ihn anzubeten und ihm nachzufolgen. Wer er ist und was er darüber denkt, interessiert sie nicht im geringsten.Nicht umsonst spricht der Müllerische gern vom Hirtenamt
Nicht umsonst spricht Seine Exzellenz der Müllerische so gern von seinem Hirtenamt. Und nicht ganz von ungefähr steht er mit dem Konzil auf Kriegsfuß. Denn dazumal, man glaubt das heute ja kaum mehr, griff selbst unter den Katholiken der aufrührerische Gedanke um sich, dass der Mensch kein Schaf ist. Sondern prinzipiell durchaus in der Lage ist, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Keine fünfzig Jahre ist das her, dass diese subversive Idee in der Luft lag! Und damals, 1968, um genau zu sein, lief auch der Film, auf den sich „Habemus Papam“ bezieht, aus dem Nanni Moretti die schöne Idee abgekupfert hat, die der deutsche Untertitel nennt: „Ein Papst büxt aus“. Denn eben das tut Anthony Quinn als Papst Kiril Lakota in dem Zweieinhalbstundenfilm „In den Schuhen des Fischers“. Die Kardinäle haben in ihrer Verzweiflung einen russischen Kardinal zum Papst gewählt, der eben erst aus jahrzehntelanger sowjetischer Lagerhaft entlassen wurde. Kiril Lakota sieht sich nun im Vatikan gefangen – und reißt aus. Des Nachts streift er unerkannt durch die Gassen Roms und landet unversehens bei einer jüdischen Familie. Ein Familienmitglied liegt auf dem Sterbebett, aber der Papst kann sofort mitbeten bei den jüdischen Gebeten: Das hat er im Lager von einem Mithäftling gelernt. Zehn Jahre später hat sich diese Prophezeiung Hollywoods immerhin insofern erfüllt, als tatsächlich ein Pole Papst wurde. Der war zwar stockkonservativ, doch in einer Hinsicht brach er mit der Tradition: den ewigen Hass auf die Juden ließ er seinen Schäfchen nicht mehr durchgehen. Erst sein Nachfolger, der feine J.R., machte dieses Fass wieder auf mit seiner berüchtigten Karfreitagsfürbitte.
Es gilt das oberste Gebot: Silentium!
Genau wie in „Habemus Papam“, nur hat dieser komische Alte einen französischen Akzent. Grandios, mit wie wenig Worten Michel Piccoli mit seinen 86 Jahren diesen Kardinal Melville auf die Leinwand bringt, der keine Lust hat, der Popanz einer Milliarde von Schäfchen zu sein. Nicht selten macht Piccoli es auch ganz ohne Worte. Es gibt ja auch nichts zu sagen. Beziehungsweise: In der Kirche gilt sowieso das oberste Gebot: Silentium! Als die Kardinäle angesichts des paralysierten Papsts den besten Psychiater Roms herkarren, soll der den Patienten vor versammelter Mannschaft therapieren. Der Dottore (dessen Rolle sich Nanni Moretti nicht entgehen lassen konnte), bevor er sich dem Papst zuwendet, zum Kardinalstaatssekretär: „Nun, ich gehe davon aus, dass ich ihn nichts fragen darf zu -“ – „Absolut nicht!“ Selten hat man im Kino einen derart komischen Nichtdialog gehört. Noch nicht mal die Frage darf ausgesprochen werden. Das böse Wort ist tabu. Silentium! Klappe zu, Affe tot. Deshalb spricht die Kirche andauernd vom Leben, weil sie ein Verein von Toten ist. Noch nie hat das ein Film mit einer derart bezaubernden Leichtigkeit und Ironie vorgeführt.