Entdecke Veranstaltungen in Regensburg Alle Kultur Oekologie Soziales Kino

Archiv für 13. Dezember 2011

5.000 Mal ließ ein ehemaliger MZ-Austräger diese Postkarte drucken. Der Verlag verstand keinen Spaß und erstattete Strafanzeige.
Oft verstehen große Organisationen keinen Spaß, wenn kleine Medien sich kritisch mit ihnen beschäftigen. Manchmal ist es umgekehrt. Da reagieren große Medien empfindlich auf Protestaktionen kleiner Leute. Ein ehemaliger Austräger bei der Mittelbayerischen Zeitung hatte sich einen Scherz mit Umfrage-Postkarten in MZ-Blau und mit MZ-Logo erlaubt (unser Bericht vom August 2010). „Was sollen wir tun?“ wurden die etwa 5.000 Empfänger dieser Karten gefragt. Als Antwortmöglichkeiten standen „Abopreise senken“, weniger Prospektbeilagen oder „Zeitungsträgern einen gerechteren Lohn zahlen“ zur Auswahl. Eine Ballonfahrt sollte unter den Teilnehmern verlost werden. 35 ausgefüllte Postkarten trudelten daraufhin bei der Mittelbayerischen ein.

Strafanzeige gegen Unbekannt

Das Verlagshaus verstand keinen Spaß und erstattete Strafanzeige gegen Unbekannt. Der Täter war rasch ermittelt: Thomas Reitemeyer, 36 Jahre alt, ehemaliger MZ-Austräger. Er hatte sich wenige Wochen zuvor in einem offenem Brief über die Arbeitsbedingungen beklagt und von einem „Moloch der Ausnutzung“ gesprochen.
Verlag fragt: Sollen wir den Austrägern einen gerechten Lohn zahlen? Ist das Satire oder Urkundenfälschung?
Reitemeyer hatte die Flyer ganz offiziell bei einer Internet-Druckerei bestellt und war sofort geständig. „Da gibt es nichts zu verheimlichen. Ich wollte damit zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen“, sagt er. „Ich wollte die Leute darauf hinweisen, zu welchen Bedingungen Austräger bei der MZ arbeiten müssen.“ Verteilt wurden die Postkarten just zu einer Zeit, als auch Warnstreiks bei der MZ-Tochter City Mail stattfanden, als das Thema der schlechten Bezahlung privater Postzusteller gerade eine etwas breitere Öffentlichkeit erreichte. Die Austräger sind demgegenüber aber (nicht nur bei der Mittelbayerischen Zeitung) noch weit schlechter gestellt (Bericht über eine Teilbetriebsversammlung der Austräger).

Amtsgericht verhängt 750 Euro Geldstrafe

Legal war Reitemeyers „Beitrag zur Meinungsbildung“ nicht, zumindest in den Augen des Regensburger Amtsgerichts. Das verurteilte ihn im August zu einer Geldstrafe 50 Tagessätzen á 15 Euro – wegen „Urkundenfälschung“. Die Postkartenaktion sei, wie von Reitemeyer beabsichtigt, nicht als Protestaktion zu werten, so das Gericht, weil das „auf den Postkarten nicht vermerkt“ sei. „Strraferschwerend“ sei das „Ausmaß der vorgenommenen Urkundenfälschung“, der Umstand, dass 35 Menschen die Postkarte an die MZ geschickt hätten.

Rechtsanwalt: Satire hat Verfassungsrang

Reitemeyer bezeichnet das Urteil als „Frechheit“. Er hat jetzt über seinen Rechtsanwalt Robert Hankowetz Berufung gegen dieses Urteil eingelegt. Der sagt: „Das ist eine Karikatur. Satire.“ Entsprechend sei die Aktion vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und durch die Kunstfreiheit gedeckt. Wer die Karte aufmerksam lese, für den sei – MZ-Blau hin, MZ-Logo her – klar, dass diese Umfrage nicht von der Mittelbayerischen Zeitung stammen könne. „Welcher Arbeitgeber gesteht schon ein, dass er sein Angestellten ungerecht bezahlt?“ Über 4.000 Leute, die die Karte nicht zurückschickten hätten dies verstanden, 35 eben nicht. „Aber es soll auch Leute geben, die Bruno Jonas nicht verstehen.“ Darin liege ja auch das Wesen von Satire. Auch sei nicht klar, worin das strafrechtlich relevante Handeln von Reitemeyer liegen solle. „Abgesehen von 35 Mal 45 Cent für das Zurückschicken der Postkarte ist niemandem ein Schaden entstanden. Es ist aber schon sehr aberwitzig Herrn Reitemeyer zu unterstellen, dass er die Postkarten verteilt hat, um der Post die Möglichkeit zu geben, sich zu bereichern.“ Voraussichtlich Anfang 2012 wird der Fall vor dem Landgericht Regensburg verhandelt. Satire oder Urkundenfälschung – es dürfte eine interessante Verhandlung werden. P.S.: Eine Zivilklage wegen Urheberrechtsverletzung gegen Reitemeyer hat der MZ-Verlag bislang nicht angestrengt.
drin