Es ist ein Dilemma: Da hat man einen guten Vorschlag und dann gibt es dennoch Leute, die anderer Meinung sind. Und es sind Leute, die diese Meinung auch noch äußern. Da bleibt nur eine Möglichkeit: Brüllen, beschimpfen und schließlich beleidigt spielen.
Bei der Sitzung des Regensburger Sozialausschusses am Mittwoch verlor Bürgermeister Joachim Wolbergs binnen kürzester Zeit die Nerven. Er wurde laut, warf Stadtrat Benedikt Suttner an den Kopf, er würde „nicht mehr richtig ticken“ und sagte schließlich, „als Konsequenz aus dieser Debatte“, die Teilnahme bei einer Podiumsdiskussion der Sozialen Initiativen ab. Es war das Sozialticket bzw. der Sozialpass, was den Bürgermeister so auf die Palme brachte.
Das Sozialticket: Ein Thema, das Wolbergs selbst einmal für wichtig gehalten hat, ein Thema, bei dem er seine Meinung aber schließlich geändert hat und ein Thema, bei dem seit diesem Meinungsumschwung auch schon SPD-Genossen den Zorn, sprich: das Gebrüll und Beschimpfungen des Bürgermeisters zu spüren bekamen. Eine Sozialticket sei „nicht dringlich“, so die Sprachregelung. Tenor: Im sozialen Bereich gebe es wichtigere Probleme. Außerdem sei es zu teuer. Punkt!
Einen ersten Antrag für ein Sozialticket hatten SPD und CSU nach monatelangem Verschleppen und Verzögern bereits im vergangenen Jahr abgelehnt. Eine weitere Debatte darüber hält Wolbergs, das ist ein offenes Geheimnis, für unnötig, populistisch-politisch motiviert oder persönlich gegen sich gerichtet und reagiert entsprechend empfindlich.
Doch die Sozialen Initiativen (SI), unterstützt von Grünen, Linken und ödp, lassen sich von der Idee nicht so ohne weiteres abbringen. Dem Sozialausschuss haben die SI eine Eingabe für einen „Sozialpass“ vorgelegt (hier komplett abrufbar). Neben einem vergünstigten Busticket für Bedürftige und Flüchtlinge soll dieser auch 50prozentige Ermäßigungen bei städtischen Kultur- und Bildungsangeboten beinhalten. Unterstützt wird diese Eingabe unter anderem vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Daneben wurden rund 1.000 Unterschriften gesammelt, auch von Regensburger Promis und Geschäftsleuten. Auch letztere bekamen am Mittwoch ihr Fett weg.
Dabei hatte alles so harmonisch begonnen.
Bürgermeister Wolbergs gab sich generös und ruhig. Er habe für den Stadtpass „einigermaßen Verständnis“. Da gebe es viele Dinge, die er „gut“, andere, die er „nicht so gut“ finde. Doch anstatt bereits am Mittwoch darüber zu debattieren und abzustimmen, solle man den Antrag besser vertagen. Das sei doch ein „Vorschlag, mit dem alle ganz gut leben“ könnten.
Grund: Am 29. Juni wird, nach drei Jahren, der langersehnte Sozialbericht für Regensburg öffentlich vorgestellt. Ursprünglich hätte der Bericht, der auf 100 Seiten einen Überblick über die Armut in Regensburg geben soll, den Stadträten bereits in dieser Sitzung vorgelegt werden sollen, doch es hatte erneut Verzögerungen gegeben. Daten hätten gefehlt, so Wolbergs.
Nun wird es also der 29. Juni sein.
In dieser Sondersitzung mehrerer Stadtratsausschüsse soll die Verwaltung damit beauftragt werden, anhand des Berichts einen Maßnahmenkatalog zu erarbeiten, der wiederum am Jahresende vorgestellt werden soll. In die Diskussion, an der auch Externe wie die Sozialen Initiativen beteiligt werden sollen, werde der Wunsch nach einem Sozialpass einfließen, so Wolbergs.
Diesen Vorschlag fanden SPD und CSU naturgemäß gut. Auch Kerstin Radler (Freie Wähler), Gabriele Opitz (FDP), Hans Renter( CSU II) und mit etwas Bauchschmerzen sogar Margit Kunc (Grüne) konnten mit einer Vertagung leben. „Es geht ja zunächst nur um ein paar Wochen“, so Kunc.
Anders Richard Spieß (Linke). Er beharrte auf einer Abstimmung. Spieß bezeichnete es als „wenig glaubwürdig“, den Antrag zu vertagen. Es gehe um eine „rein politische Frage: Wollen wir uns das leisten oder nicht.“ Das könne bereits jetzt entschieden werden. Es sei klar, dass ein Sozialpass Geld koste, aber auch andere Dinge, „wie zum Beispiel ein Fußballstadion“ kosteten Geld.
Statt souverän darauf zu antworten, flippte Wolbergs aus.
Spieß behaupte, wer gegen diesen Antrag sei, der sei gegen die Armen in dieser Stadt. Das sei eine „Unverschämtheit“. Das sei „völlig absurd“. Er, Wolbergs, habe hier einen vernünftigen Vorschlag gemacht, aber wenn es so los gehe, wenn Spieß das so haben wolle, dann könne er diesen Antrag auch auseinandernehmen und zerpflücken, so Wolbergs.
Einige Wortmeldungen später – Spieß blieb ungerührt bei seiner Haltung und erhielt Unterstützung von Benedikt Suttner (ödp) – war Wolbergs bereits auf 180.
Die prominenten Unterstützer des Antrags, namentlich nannte der Bürgermeister einen Buchhändler, einen Galeristen und einen Hotelinhaber sollten sich mal fragen, ob man bei ihnen mit einem Stadtpass auch alles 50 Prozent billiger bekomme. Sozialpolitik sei nicht so einfach, wie sich das einige vorstellen und überhaupt sei jeder schnell bei der Hand, wenn es darum gehe öffentlich Gelder auszugeben, ohne sich zu fragen, ob das überhaupt sinnvoll sei oder was das alles koste.
Als schließlich Suttner fragte, weshalb Wolbergs nicht die Sozialen Initiativen bereits im Vorfeld informiert habe, dass er den Antrag vertagen wolle und seit wann er wisse, dass es beim Sozialbericht zu neuerlichen Verzögerungen kommen werde, fasste Wolbergs dies als ungehörige Unterstellung auf und erwiderte – in ungebrochener Lautstärke: „Das weiß ich seit dem 11. Mai. Ich kann Ihnen auch noch die Farbe meiner Unterhose sagen. Sie ticken doch nicht ganz richtig.“
Am Ende wurde der Antrag gegen die Stimmen von Suttner und Spieß vertagt. Nachdem der Sozialbericht vorliegt, wird er in die Erarbeitung des Maßnahmenkatalogs einfließen. Externe, wie die Sozialen Initiativen, sollen dabei eingebunden werden.
Das ist ein Beschluss, mit dem die Sozialen Initiativen übrigens ganz gut leben können. Karin Prätori, die mit drei anderen SI-Vertretern die etwa einstündige Debatte auf der Zuschauertribüne verfolgt hatte, zeigte sich nach der Sitzung zwar etwas enttäuscht, „weil sich das Thema jetzt schon drei Jahre hinzieht“. Allerdings sei die Entscheidung in Ordnung, „wenn die Externen wie versprochen stark eingebunden werden“.
Dass Wolbergs seine eigentlich feste Zusage für eine Podiumsdiskussion mit den Sozialen Initiativen im Verlauf der Sitzung wieder rückgängig gemacht habe, bezeichnet Prätori als „völlig unverständlich“. „Ich war zum ersten Mal bei so einer Sitzung und hätte nicht gedacht, dass das so eskalierend und polemisch abläuft.“
P.S.: Ob Regensburg nun ein Sozialticket braucht oder nicht, wurde indessen noch nie ernsthaft im Stadtrat debattiert: Bislang ging es lediglich um Kostenfragen. Argumente wurde nicht ausgetauscht.