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Archiv für 1. November 2010

1.350 Bewohner, 38 Nationen, über 40 Prozent der Menschen haben (nicht-bayerische Deutsche nicht mitgerechnet) Migrationshintergrund – die Humboldtstraße ist ein passender Ort, um über Erfolg oder Misserfolg von Migration und Integration zu diskutieren. Entsprechend groß ist das Interesse. Der Saal ist voll, als Albert Schmid (Foto) ins Bürgerhaus kommt. Die SPD-Landtagsabgeordnete Margit Wild hat den langjährigen Präsidenten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge eingeladen und seine Ausführungen heben sich wohltuend von der aktuell bisweilen hysterisch geführten Integrationsdebatte ab. Dasselbe gilt für die anschließende Diskussion, bei der nicht die „Integrationsverweigerer“ im Zentrum stehen, sondern vielmehr die fehlende staatliche Unterstützung bei Integrations- und Sprachkursen. Denn Sprachkompetenz auf der einen und – vermittels Bildung – Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt auf der anderen Seite sind für Schmid die zwei unabdingbaren Voraussetzungen einer erfolgreichen Integration. Eine Milliarde Euro habe die Bundesregierung bis zum Ende dieses Jahres für Deutschkurse ausgegeben und damit rund die Hälfte der zwei Millionen Menschen mit Sprachproblemen erreicht. Eine solche Summe müsse man nochmal in die Hand nehmen, so Schmids Wunsch. Ähnlich argumentiert der Sozialdemokrat in punkto Arbeitsmarkt. Nach wie vor liege die Arbeitslosenquote bei Migranten doppelt so hoch wie bei Deutschen – betroffen seien vor allem Türken und Italiener. „Das ist ein Schichten-, kein Kulturkreisproblem.“ Zusätzliche Sprachkurse an Hauptschulen, sowohl in der Muttersprache wie auch in Deutsch, seien hier notwendig. Das politische Handeln sieht indessen anders aus, wie sowohl anwesende Lehrer als auch Vertreter von Caritas, BI Asyl und Amnesty International am Donnerstag beklagen. Just in diesem Bereich habe man mit Kürzungen oder – wie bei Deutschkursen – mit schlechter Bezahlung der Lehrkräfte zu kämpfen. Ein Problem, das Schmid unumwunden einräumt: „Die Tatbestände sind richtig benannt.“ Bei deren Lösung wären wiederum die politischen Entscheidungsträger gefragt. Das Bundesamt kann nur anmahnen. Einen eigenen Punkt bei seinen Ausführungen widmet Schmid dem Thema Asyl. Während man 1992 als Folge des Jugoslawien-Kriegs mit 440.000 Asylbewerbern einen Höchststand erreicht habe, seien diese Zahlen in Folge des „Asylkompromisses“ stetig rückläufig. Vor dem Hintergrund der europäischen Flüchtlingspolitik macht Schmid deutlich. „Wir haben im Grundgesetz, das Verbot der Todesstrafe verankert.“ Wenn man auf die steigenden Flüchtlingszahlen über das Mittelmeer – jährlich ertrinken 1.000 Menschen beim Versuch, Europa zu erreichen – aber nur mit polizeilichen Maßnahmen a la Frontex reagiere, dann „steht das zu den Wertentscheidungen unseres Grundgesetzes im Widerspruch“. Statt zunehmend auf Abwehrmaßnahmen zu setzen, gelte es, Fluchtursachen zu bekämpfen. Migrations- und Entwicklungspolitik müssten miteinander verzahnt werden. An oberster Stelle müsse hier, wie bei der gesamte Integrations- und Migrationsdebatte der Grundsatz gelten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Dass es angesichts von Migration und der daraus folgenden Integration Ängste in der Bevölkerung gebe, sei verständlich, so Schmid, zumal in Deutschland, wo lange die Vorstellung eines „ethnisch homogenen Nationalstaats“ vorherrschend gewesen sei. Das Wort Rassismus nimmt Schmid dabei nicht in den Mund, spricht aber von einer „irren Annahme“. „Seit es den Menschen gibt ist er unterwegs. Migration gehört zum Menschen.“ Allein zwischen 1952 und 2008 sind 38 Millionen Menschen nach Deutschland eingewandert, 28 Millionen haben das Land im gleichen Zeitraum verlassen. Etwa ein Fünftel der Bevölkerung hat Schmid zufolge Migrationshintergrund. Die aktuellen Zuwanderungszahlen nehmen sich mit rund 80.000 Menschen jährlich äußerst bescheiden aus. Das sei nicht nur in jeder Hinsicht verkraftbar, sondern angesichts der demographischen Entwicklung zu wenig. „Das Deutschland der Zukunft muss eine offene Gesellschaft sein“, fordert Schmid. Dieses Land dürfe zwar „die erste Loyalität“ von den Migranten verlangen, allerdings gehe es dabei nicht um Assimilation, sondern „Identifikation unter Respektierung der Identität“. Schmids Botschaft, die er an diesem Abend mehrfach ausgibt: „Integration ist ein Thema, das lösbar ist.“ Die Humboldtstraße ist Beleg dafür, dass Schmids Optimismus begründet ist. Das Publikum am Donnerstag ist bunt gemischt, sowohl was das Alter als auch die Herkunft betrifft. Der ehemals verrufene Stadtteil hat sich im Rahmen des Förderprogramms „Soziale Stadt“ spürbar gemausert – äußerlich durch Sanierung, Neubau und Platzgestaltung, vielmehr aber, was das Zusammenleben betrifft. Nationalitäten-Abende, kostenlose Deutschkurse, Gesprächsrunden, in denen man von Nachbarin zu Nachbarin über verschiedene Ausprägungen des Islam spricht – all das habe Ängste abgebaut und stattdessen Neugier geweckt, erzählt Burgi Geissler (Foto) im Lauf der Diskussion. „Integration ist möglich. Es tut gut und wir werden weltoffener“, sagt sie. Geissler kümmert sich seit zehn Jahren als hauptamtliche „Quartiersmanagerin“ um die sozialen Belange in der Sozialen Stadt. Vom Oberbürgermeister wie auch vom Stadtrat wird das Projekt quer durch alle Fraktionen gelobt und befürwortet. „Hier kann man die Bedingungen, unter denen Probleme entstehen unmittelbar angehen“, sagt Burgi Geissler. Ein Folgeprojekt – im Kasernenviertel – war angedacht, liegt aber nun auf Eis, denn just die Mittel für diese Integrationsarbeit will die schwarz-gelbe Bundesregierung streichen. Übrig bleiben Baumittel und Kampfansagen für „Integrationsverweigerer“.
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