27 Okt2010
Frontex – das ist eine vor sechs Jahren eingerichtete „EU-Agentur“, die dafür sorgt, dass möglichst wenig Flüchtlinge europäischen Boden erreichen (Jahresbudget 2010: 86 Millionen Euro). Zumeist tut Frontex das auf hoher See und während sich die Agentur nach außen menschenfreundlich und humanitär gibt, kritisieren Organisationen wie Pro Asyl oder Human Rights Watch seit längerem, dass es hier schlicht um eine Abwehrauftrag geht, der auch mit Gewalt umgesetzt wird. Wie Frontex auf hoher See verfährt, weiß niemand so genau. Es fehlt die Kontrolle. Demokratisch legitimiert durch ein Parlament ist diese Agentur nicht, sie wurde von der EU-Kommission „errichtet“.
Nun soll Frontex auch auf dem Festland zum Einsatz kommen und an der griechisch-türkischen Grenze helfen. Dort landen – geographisches Pech – einfach die meisten Flüchtlinge an. Und weil der Rest Europas diese Flüchtlinge nicht aufnehmen will, Griechenland das Abschieben allein nicht mehr in den Griff kriegt und Fotos von obdachlosen oder zu Massen eingesperrte Menschen nicht gut ankommen, werden jetzt die Spezialisten von Frontex angefordert – zur Flüchtlingsabwehr. Damit nicht ständig jeder sieht, wie menschenverachtend mit Flüchtlingen umgegangen wird. Auch die 177 Flüchtlinge, die derzeit in der Unterkunft am Hohen Kreuz wohnen, will nicht jeder dauernd im Blickfeld haben. Da entstehen in der Bevölkerung „diffuse, teils unberechtigte Ängste“, wusste etwa vor zwei Wochen das Regensburger Wochenblatt unter der Aufmacherschlagzeile „Protest gegen Asylantenheim“ zu berichten. Stadträtin Bernadette Dechant (CSU) hat sich in ihrer Eigenschaft als Sprecherin der „Bürgerbewegung Hohes Kreuz“ über die Flüchtlingsunterkunft in der Plattlinger Straße beklagt. In einer Petition (die sich kurzerhand auch gegen ausufernde Prostitution richtet) forderte die Bürgerbewegung vergangenes Jahr eine „Reduzierung der massiven Konzentration von Asylsuchenden in unserem Stadtteil“. „Die Lasten“ – gemeint sind die Bewohner der Unterkunft – sollten auch auf andere Stadtteile und den Landkreis verteilt werden. Von „Sprengstoff“ ist in dem Wochenblatt-Artikel die Rede, von Drohungen des Staatssekretärs gar, „noch mehr Asylanten“ zu schicken, wenn die Bürger keine Ruhe geben. Im einen oder anderen Nebensatz wird aber dann doch erwähnt, dass es schon auch um die Interessen dieser „Asylanten“ gehen soll – irgendwie. Nicht das noch was passiert. Man kennt das ja aus Hoyerswerda oder Rostock, wie eine überforderte (Stamm?)bevölkerung reagieren kann. Auf scharfen Protest der SPD im Stadtosten, die Dechant Scheinheiligkeit vorgeworfen hat, reagiert die Stadträtin verärgert. „Ich höre daraus, dass die SPD offenbar gegen eine Aufwertung des Stadtteils ist“, sagt sie uns am Telefon. „Vielleicht wollen Teile der SPD das verhindern, damit sie so etwas nicht vor ihrer eigenen Haustür haben“, legt Dechant später nach. Am Rande geht es dann auch um eine menschenwürdige Unterbringung der Asylsuchenden – irgendwie. Wie sieht es aber aus mit dem „Sprengstoff“ am Hohen Kreuz, wo laut Dechant schon jetzt zu viele Ausländer leben („473 Menschen ohne deutschen Pass“), wo zudem 177 „Asylanten“ die „erfolgreiche Integration“ erheblich erschweren und wo „Ethnien beieinander leben, die seit 1.000 Jahren Krieg führen“? Von einer ausufernden Kriminalität kann offenbar keine Rede sein. „Das Hohe Kreuz ist besser als sein Ruf“, sagt etwa der zuständige Polizeidirektor Wolfgang Mache. „In diesem Stadtteil kann man in Ruhe und Frieden leben.“ Nur so richtig schnuckelig – und das soll der Stadtteil werden – sieht so eine Unterkunft eben nicht aus. Dechant nennt ihren Protest „einen Hilferuf“ und ist nun mit Ministerpräsident Horst Seehofer im Gespräch. Der habe ihr versprochen, sich der Sache anzunehmen, sagt sie. Lässt das hoffen? Für die Flüchtlinge wohl weniger. Am strikten Lagerzwang hält die CSU – trotz jahrelanger Proteste, trotz einhelliger Expertenmeinungen zu den gesundheitlichen Auswirkungen und trotz Mehrkosten – zwanghaft fest. Ebenso an der Maxime Essenspakete statt Bargeld und einer nur sehr zaghaften Lockerung der Reisebeschränkungen („Residenzpflicht“). Die Rückkehrbereitschaft der Flüchtlinge soll mittels dieser Behandlung erhöht werden, heißt es in der bayerischen Asyldurchführungsverordnung. Protest von der Bürgerbewgung dagegen hört man nicht. Am Rande: Eine Resolution des Regensburger Stadtrats gegen die zwangsweise Unterbringung der Flüchtlinge scheiterte im vergangenen Jahr an den Stadtratsfraktionen von CSU und SPD. Hilfeschreie wie vom Hohen Kreuz dürften Seehofer in dieser harten Haltung bestärken – der Wählerschaft sind Flüchtlinge offenbar nicht zuzumuten. Und ebenso legitimiert man damit eine letztlich militärische Abwehr von Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen durch die Frontex-Agentur. Dort muss man sich dieses Elend wenigstens nicht anschauen und ebensowenig sieht man die mindestens 15.000 Menschen, die zwischen 1988 und 2007 an diesen Außengrenzen ertrunken sind.