Da ist man mal kurz in Urlaub und schon steht Deutschland vor einer veritablen Staatskrise. Zumindest wird so getan. Der Horst verlässt den Adler – das ist der beste Spruch, der mir bislang zum Rücktritt von Horst Köhler untergekommen ist. Mimosenhaft, mimosenhaft, liebes Ex-Staatsoberhaupt, kann man da nur sagen.
Während die versammelte Medienwelt so tut, als wäre das ganze Staatsvolk ob dieses Verlusts von tiefer Trauer befallen, hat Köhlers Rücktritt und die damit verbundene Diskussion über seine Person einen ganz angenehmen Nebeneffekt: Darüber, was er gesagt hat, wird so gut wie überhaupt nicht mehr diskutiert. Was die Aufregung darüber soll, muss man sich schon fragen. Seine Sicht der Dinge ist die angestrebte politische Doktrin in Deutschland, aber auch Europa.
Zitat aus dem Interview beim Deutschlandfunk, Köhler war nach einem Besuch bei der „Truppe“ gerade in Hochstimmung:
Jetzt kann man sich – zu Recht – darüber ereifern, dass Köhler Krieg als Mittel definiert, um deutsche Arbeitsplätze, Handelswege und „Interessen“ zu sichern. Dann wäre die Aufregung aber schon früher angebracht gewesen. Dass Arbeitsplätze und deutsche Wirtschaftsinteressen über alles gehen, sieht man allein daran, wie sehr die politische Klasse vor Rüstungskonzernen katzbuckelt, deren Aufstieg bis in die Nazi-Zeit zurückreicht. Konzernführer, deren Affinität zu Freiheit und Demokratie eher zweifelhaft ist, werden mit Verdienstkreuzen und Orden bedacht.
Da wäre durchaus mal die Frage zu stellen, wie viele Leichensäcke ein deutscher Arbeitsplatz wert ist. „Ganz Deutschland“ trauert zwar, mit Stahlhelm auf den Särgen, um gefallene Soldaten. Wie viele Opfer es unter der afghanischen Zivilbevölkerung gegeben hat, wird kaum zur Kenntnis genommen. Auch nicht, wie viele Somalier sterben, weil ihnen europäische Fangflotten die Küsten leer gefischt haben und dort giftiger und radioaktiv verseuchter Müll verklappt wird. Hauptsache die deutsche Marine verteidigt nun deutsche Handelswege gegen böse somalische „Piraten“.
Auch Köhler geht es in seinem Interview ausschließlich um deutsche Opfer.
Fazit: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Der Afghane oder Somalier an sich interessiert nicht.
Der Einsatz des Militärs als Mittel der Wirtschaftspolitik ist in deutschen und europäischen Strategiepapieren schon längst die wesentliche Zielmarke.
Im Weißbuch der Bundeswehr ist davon die Rede, wenngleich unter dem weit gefassten Begriff „Sicherheitspolitik“. Ein Strategiepapier der EU aus dem Jahr 2004 oder ein weiteres vom EU-Institut für Sicherheitsstudien sprechen eine noch deutlichere Sprache.
„Grundlage der herrschenden Weltordnung ist eine globale hierarchische Klassengesellschaft mit transnationalen Konzernen und postmodernen Staaten an der Spitze”, heißt es darin. Diese postmodernen Staaten – unter anderem die EU – müssten eine „symbiotische Beziehung” mit diesen Konzernen eingehen. „Diese brauchen den Staat und der Staat braucht sie.” Waren-, Kapital- und Rohstoffströme sollen durch „globale militärische Überwachungskapazitäten und die Fähigkeit zur Machtprojektion” abgesichert werden. Diese Papiere sind öffentlich zugänglich. Eine Diskussion darüber findet nicht statt.
Immerhin: Bis vor kurzem war Deutschland noch in „humanitärer“ oder ähnlich euphemistischer Mission unterwegs. Mittlerweile spricht man schon von – Krieg. Jetzt bleibt noch die Frage, wie lange es dauert, bis eine offene Diskussion darüber stattfindet, um was für einen Krieg es sich handelt, wie die korrekte Bezeichnung dafür lautet und welche und wie viele Leichen deutsche oder europäische Interessen, Arbeitsplätze und Handelswege wert sind.
Und, um zu Horst Köhler zurück zu kommen: Wenn er es tatsächlich befürwortet, dass deutsche Arbeitsplätze Krieg rechtfertigen, dann kann man sich über seinen Abgang nur freuen. Er wäre allerdings bei weitem nicht der einzige, der seinen Stuhl räumen sollte.