Dass Rahel Springer und ihre Familie sich 1938 noch rechtzeitig vor den Nazis in Sicherheit bringen konnte, hing von vielen Faktoren ab. Vergangene Woche war die 85jährige in Regensburg zu Besuch und traf sich mit DGB-Jugendsekretär Andreas Schmal zum Gedankenaustausch. „Viel Glück, aber auch viel Voraussicht meiner Eltern” haben Rahel Springer und ihren Geschwistern das Leben gerettet. Als die jüdische Familie 1933 – nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler – von Frankfurt am Main in die Tschechoslowakei emigrierte, war sie eine Ausnahme. „Die anderen Leute haben gesagt: Ihr glaubt doch nicht, dass sich diese Witzfigur bis zur Wahl hält”, erzählt Rahel Springer. Viele hatten aber auch gar keine Möglichkeit, Deutschland zu verlassen. Dass Rahels Familie in die Tschechoslowakei auswandern konnte, verdankte sie dem Umstand, dass der Vater dort geboren war und sich für die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft entschieden hatte.
In Marienbad lebte die Familie fünf Jahre, die Mutter leitete ein Ferienkinderheim, der Vater praktizierte als Arzt. 1938, knapp eine Woche vor dem Münchner Abkommen, mit dem sich das deutsche Naziregime das Sudentenland einverleiben konnte, flüchtete die Familie erneut. Dieses Mal in die Schweiz. Eine Flucht, die nicht gelungen wäre, hätte nicht eine Schwester von Rahels Mutter in der Schweiz gelebt und die Familie mit wichtigen Informationen versorgt: Zwei Tage, bevor die Familie in den Zug Richtung Schweiz stieg, war dort – heimlich, still und leise – die Visa-Pflicht für tschechoslowakische Staatsbürger eingeführt worden.
Nur wenige Flüchtlinge wussten davon, als die Grenzkontrolle kam. Rahel: „Ich erinnere mich bildlich daran, wie verwundert die eidgenössischenen Kontrolleure waren, als wir ein Visum vorweisen konnten.” Im anschließend fast leeren Zug setzte Rahels Familie die Reise fort. Ein halbes Jahr später emigrierten sie nach England, wo Rahel, ihre Eltern und Geschwister den Krieg überlebten. Das Ausmaß der Massenmorde konnte sich Rahel, damals 14 Jahre alt, nicht vorstellen. „Trotz des Wissens um die Nazis und die Konzentrationslager.” Ihr Onkel, der nicht flüchtete, um seinen kranken Sohn betreuen zu können, wurde zusammen mit ihm in Auschwitz ermordet.
Rahel selbst kehrte 1946 allein nach Deutschland zurück. Sie entschied sich bewusst für die DDR. Bis zu ihrer Rente unterrichtete sie in Leipzig Geschichte, später – nach der Wende – baute sie dort den Bund der Antifaschisten (BdA) auf, organisiert Vorträge und Gespräche mit Zeitzeugen, „von denen es immer weniger gibt”. Wie sie sich fühlt, wenn heute wieder Nazis durch die Straßen marschieren?, fragt Andreas Schmal. „Das ist schlimm. Was soll ich sonst dazu sagen.”
P.S.: Am 3. Oktober marschieren die Neonazis unter dem Deckmantel „Rettung des christlichen Abendlands” durch die Regensburger Altstadt. Eine Route vom Bahnhof über den Neupfarrplatz zum Alten Rathaus wird von den Regensburger Ordnungsbehörden offenbar als unproblemtisch angesehen. Zu den Organisatoren des Aufmarschs gehört der NPD-Kreischef Willi Wiener, im Internet rufen gewaltbereiten Neonazis zur Teilnahme auf.