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Archiv für 3. Juni 2009

Vor gut einem halben Jahr flüchtete Reza A. aus dem Iran nach Griechenland. Der 29jährige war zum Christentum konvertiert. Im Iran droht im dafür die Todesstrafe. In Griechenland erhielt Reza kein Asyl. Stattdessen landete er im Knast. Einen Monat lang musste er sich eine extrem verschmutzte Zelle mit zehn anderen Menschen teilen. Schlafen musste er auf dem gefließten Fußboden. Kleiderwechsel oder Duschen war nicht erlaubt. Stattdessen wurde wurden er und die übrigen Zelleninsassen mit Wasser aus einem Hochdruckschlauch abgesprüht. Mehrmals in der Woche wurde Reza zum Verhör abgeholt, wo er von den griechischen Polizeibeamten massiv misshandelt wurde. Er berichtet von Fußtritten und Schlägen ins Gesicht. Schließlich wurde Reza wieder auf die Straße gesetzt mit der Aufforderung Griechenland innerhalb eines Monats zu verlassen. Mittlerweile ist Reza in Deutschland. Er lebt derzeit in der Regensburger Flüchtlingsunterkunft an der Plattlinger Straße. Er hat einen Asylantrag gestellt, der aktuell zur Entscheidung ansteht. Gemessen an der gängigen Praxis der deutschen Behörden ist es sehr wahrscheinlich, dass Reza nun erneut nach Griechenland, damit in ein Leben in der absoluten Illegalität, abgeschoben wird. Hintergrund ist das Dublin II-Abkommen, demnach der EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist, über den ein Flüchtling eingereist ist. Die Folgen: Der geographische Zufall, dass Griechenland auf dem Fluchtweg vieler Flüchtlinge aus dem Iran, Irak, Afghanistan und Somalia liegt, weist diesem Land eine überproportionale Verantwortung für die Flüchtlingsaufnahme zu. Täglich werden Flüchtlinge aus dem Rest der EU nach Griechenland zurückgeschoben. Die dortigen Behörden sind mit der Situation völlig überfordert – mit gravierenden Auswirkungen für die Flüchtlinge. Marion Puhle vom Regensburger Flüchtlingsforum betreut den 29jährigen Reza derzeit. „Er hat panische Angst, wieder nach Griechenland geschickt zu werden. Ich befürchte, dass er das nicht durchstehen würde.“ In einer gemeinsamen Presseerklärung fordern das Flüchtlingsforum und der bayerische Flüchtlingsrat, das Bundesamt für Migration auf, die „unhaltbaren Abschiebungen“ nach Griechenland einzustellen. Sie sind nicht die einzigen. Thomas Hammarberg, Menschenrechtskommisar desEuroparats besichtigt das Flüchtlingslager Fylakio für Papierlose. Foto: Bayerischer FlüchtlingsratNicht nur Menschenrechtsorganisationen sind sich einig: Die Situation für Flüchtlinge ist in Griechenland menschenunwürdig, bedeutet meist Obdachlosigkeit, Schutz- und Rechtlosigkeit. 20.000 Asylanträge wurden im vergangenen Jahr in Griechenland gestellt; nur 0,02 Prozent der Bewerber wurden in der ersten Instanz als Flüchtlinge anerkannt. Fälle wie der von Reza – Haft und Misshandlung – sind zu hunderten dokumentiert, unter anderem von der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl. Vertreter des griechischen Flüchtlingsrats gehen davon aus, dass für 23.000 Menschen etwa 900 Unterkunftsplätze zur Verfügung stehen. Es besteht nur ein eingeschränkter Zugang zu Asylverfahren, meist ohne Dolmetscher. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat die übrigen europäischen Staaten bereits im April 2008 und nochmals im Dezember aufgefordert, Abschiebungen nach Griechenland auszusetzen. Der Menschenrechtskommissar des Europarats Thomas Hammarberg hat Anfang des Jahres auf die schweren Mängel bei der Behandlung von Flüchtlingen hingewiesen. Das Grundrecht auf Asyl sein infrage gestellt, so seine Bewertung. Das Schweizer Bundesamt für Migration hat zeitgleich auf systematische Hindernisse beim Stellen eines Asylantrags in Griechenland hingewiesen. Zu einem Umdenken bei den deutschen Behörden hat das bislang nicht geführt. Im Gegenteil. Als Reaktion auf ein Dossier von Pro Asyl zur Situation in Griechenland reiste im November 2008 eine Delegation des Bundesamts für Migration nach Griechenland, um sich selbst ein Bild von der Situation vor Ort zu machen. Entstanden ist dabei ein Bericht, der die Lage selektiv und beschönigend darstellt. Asylverfahren seien regelgerecht, Dublin II-Rückkehrer seien nicht von Obdachlosigkeit bedroht, heißt es darin unter anderem. In Stellungnahmen des Bundesinnenministeriums an Verwaltungsgerichte wurden zudem einige kritische Details zur Flüchtlingssituation aus dem ausführlichen Dienstreisebericht schlicht weg gelassen. Zwar wurden mehrere Behauptungen in diesem Bericht zwischenzeitlich widerlegt – die Praxis ist aber gleich geblieben: Nach Griechenland wird weiter abgeschoben. Hat der 29jährige Reza damit keine Chance? Zunächst wird das Bundesamt für Migration darüber entscheiden. Dann möglicherweise das Verwaltungsgericht. In Würzburg ist in diesem Zusammenhang vor rund zwei Wochen eine bemerkenswerte Entscheidung gefallen. Das dortige Verwaltungsgericht hat eine Abschiebung nach Griechenland für rechtswidrig erklärt. Das Gericht „ist zu der Überzeugung gekommen, dass die gegenwärtige Asylpraxis in Griechenland den Mindeststandards in wesentlichen Punkten nicht entspricht“, heißt es in der Urteilsbegründung. anzeige1
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