„So ein Gefühl, dass es ungerecht ist“
Gregor Gysi hat es eilig. Als er am Samstag leicht verspätet ins Kolpinghaus kommt, marschiert er ohne großes Begrüßungszeremoniell sofort zum Rednerpult. Der kleine Kolpingsaal ist voll und es klingt ein wenig despektierlich, als Gysi zu Beginn seiner Ausführungen anmerkt: „Übrigens – die CSU ist in Berlin nicht in der Opposition.“ Tatsächlich könnte man das manchmal annehmen, betrachtet man das Abstimmungsverhalten der Christsozialen im Bund mit der Rhetorik in weißblauen Landen, etwa am Beispiel Pendlerpauschale. Im November wurde ein Antrag der Linken auf Wiedereinführung mit den Stimmen der CSU abgelehnt; seit Mai hat die bayerische Staatspartei das Thema für ihren Landtagswahlkampf entdeckt.
Also: Die CSU regiert in Berlin mit. Von Bayern aus müsse deshalb ein Signal nach Berlin gehen, friedens- und sozialpolitisch, wiederholt Gysi mehrfach, während er stakkatoartig durch die politischen Themen der Linken rauscht.
Privatisierung – „Es gibt Bereiche, wo es keine Rolle spielen darf, ob sich eine Sache rechnet oder nicht“, so Gysi. „Privatiseure sind diejenigen, die einen bestimmten Wert der Demokratie abbauen wollen.“ Es mache schließlich nur wenig Sinn, jemanden zu wählen, der in vielen Bereichen sein Mitbestimmungsrecht aus der Hand gegeben habe. Die Mitbestimmung über gleiche medizinische Vorsorge für alle, darüber, ob es im ÖPNV Sozialtickets gibt oder nicht, darüber ob „das dritte Kind der alleinerziehenden Sozialhilfeempfängerin die gleichen Bildungschancen hat wie die Tochter des Professors“. Gysi fordert eine Rekommunalisierung von Stadtwerken und nicht „vier Feudalkonzerne, die den Markt unter sich aufteilen. Die nicht nachvollziehbare drastische Steigerung der Energiepreise habe dazu geführt, dass in Deutschland mittlerweile 800.000 Haushalte ohne Strom auskommen müssen. Die daraus folgende erste Attacke gegen die Sozis – „Bei Privatisierungen ist auf die SPD immer Verlass“, Beispiel Deutsche Bahn – wird mit dankbarem Applaus aufgenommen.
Nächstes Thema: Sozialabbau. Laut einer Studie der Deutschen Bank liege Deutschland beim Pro-Kopf-Einkommen auf Platz 12. Während in den vergangenen zehn Jahren die Löhne bei geringfügig Beschäftigten um zehn, bei Teilzeitkräften um 14 Prozent gesunken seien, sei das Einkommen aus Vermögen um 38 Prozent gestiegen. „So ein Gefühl, dass es ungerecht ist“ sei da – bei allem vermeldeten Wirtschaftswachstum – durchaus gerechtfertigt. Applaus. Weiter im Text.
2,5 Millionen Kinder lebten in Deutschland unterhalb der Armutsgrenze, 7,5 Millionen Menschen seien auf Hartz IV („eine Gleichmacherei, wie sie Die Linke niemals fordern würde“) angewiesen, der Abbau der Arbeitslosigkeit durch Zunahme befristeter Arbeitsverhältnisse, Minijobs, Leiharbeit („eine moderne Form der Sklaverei“) erreicht worden. Die sozialversicherungspflichtige Zahl der Beschäftigten sei innerhalb desselben Zeitraums um 1,5 Millionen gesunken.
So weit zur Zustandsbeschreibung, dann kommt Gysi zu den Vorschlägen der Linken, „das, was die anderen vier Fraktionen im Bundestag als populistischen Kram bezeichnen“. Steuererhöhungen zum Beispiel. Gysi: „Läge in Deutschland die Steuerquote im Durchschnitt der alten EU-Länder (40,8 Prozent) und nicht weit darunter (35,6 Prozent) wären jährlich 120 Milliarden Euro Mehreinnahmen drin.“ Bei Erbschafts- und Körperschaftssteuer rangiere die Bundesrepublik im unteren Bereich, eine Börsenumsatzsteuer von einem Prozent würde jährlich 30 Milliarden Euro bringen. „Mit einer Vermögenssteuer würden wird den Milliardäre entgegen kommen, die sich tagtäglich einen Kopf machen, wie sie sich solidarisch am Gemeinwesen beteiligen können“. Applaus. Gysis Fazit: „Wir haben Konzepte, um unsere Vorschläge zu finanzieren.“
Auch zur Rente. Mit der steigenden Lebenserwartung sei keine Rente erst mit 67 zu begründen. „Müssten alle in die Rentenversicherung einzahlen, bräuchten wir das Renteneintrittsalter nicht um zwei Jahre zu erhöhen.“ Er halte sich da ganz an ein Motto aus der Schweiz: „Die Rentenversicherung braucht mehr Millionäre.“
Zwischen seinen Ausführungen streut Gysi immer wieder die Botschaft: „Die Linke wirkt.“ Während man zunächst mit der Forderung nach Mindestlohn noch zu „ökonomischen Idioten“ erklärt worden sei, ziehe die SPD nun mit diesem Thema in den Wahlkampf. Auch die Grünen haben sich mittlerweile für einen Mindestlohn ausgesprochen. „Eigentlich hätten wir einen Mehrheit.“ Allerdings nur auf dem Papier, nicht bei Abstimmungen. Ein entsprechender Antrag der Linken im Bundestag wurde bekanntermaßen abgelehnt. Das ficht Gysi nicht an. „Veränderung beginnt mit Opposition“, lautet sein Credo. Erst seit Die Linke in die Parlamente einziehe spiele die „soziale Frage“ überhaupt wieder eine Rolle, befindet er und benennt als beispielhafte Reaktion der Regierungsparteien die Erhöhung des Wohngelds. „Wenn Du eine Gesellschaft verändern willst, musst Du den Zeitgeist verändern“, lautet ein weiterer eingängiger Slogan. Im Kern gehe es deshalb auch bei der Landtagswahl in Bayern um „das Signal nach Berlin“. Spezifisch Landespolitisches hat Gysi im Rahmen seiner Rede, abgesehen von ein paar Seitenhieben auf Kreuzzügler Erwin Huber, auch nicht thematisiert. Er resümiert aber: „Wenn die CSU in Bayern nicht ihre absolute Mehrheit verliert, bleibt sie so wie sie ist.“ Zur Pendlerpauschale hat Die Linke übrigens eine erneute Abstimmung im Bundestag beantragt. Am Donnerstag vor der Landtagswahl.