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„Es wird verschärft rekrutiert“

„Soldaten sind Mörder.“ Mit einem Tucholsky-Zitat beschließt DGB-Sekretär Andreas Schmal die Veranstaltung der Regensburger Gewerkschafter zum Antikriegstag am Mittwoch. Im überfüllten Brandlbräu-Saal erntet er dafür Applaus. Gerade hat der Politikwissenschaftler Tobias Pflüger (Foto) auf Einladung des DGB eineinhalb Stunden lang die Rolle der Bundeswehr in Afghanistan unter die Lupe genommen. Der ehemalige Europaabgeordnete (Linke) und Mitbegründer der Informationsstelle Militarisierung e.V. fordert ein sofortiges Ende des Auslandseinsatzes. „Erst dann hört das Töten der Zivilisten auf.“ Dass es in Afghanistan um Freiheit, Demokratie oder gar Frauenrechte geht, verweist Pflüger ins Reich der Lügen. Die Sicherheitslage in dem Land ist instabiler denn je. Zahlen der UN belegen: Immer mehr Zivilisten werden getötet. Für 2009 spricht die UN-Organisation UNAMA von 2.259 Toten, im ersten Halbjahr 2010 lag die Zahl bereits bei über 3.000. Die Selbstmorde bei Frauen in Afghanistan nehmen seit Jahren zu, ebenso die Prostitution. Im Juli 2009 warnte ein UN-Bericht vor der „wachsenden Gewalt“ gegen Frauen, insbesondere was Vergewaltigungen betrifft. Die Regierung Karsai – für Pflüger ein „ korruptes Kriegsherren-Klientel-System“. 75 Prozent des Gewinns aus dem seit 2002 stetig steigenden Opiumanbau schöpfen Regierungsmitarbeiter ab. Einer Studie der Nichtregierungsorganisation Oxfam zufolge bezeichnen 70 Prozent der Befragten in Afghanistan Armut und Arbeitslosigkeit als Hauptursache für den andauernden bewaffneten Konflikt in ihrem Land.

Kunduz-Massaker als Sinnbild

„Vielen ist noch immer nicht klar, dass sich Deutschland im Krieg befindet“, konstatiert Pflüger. Afghanistan ist weit weg. Deshalb seien die Folgen dieses Krieges in Deutschland nicht direkt spürbar. Erst dann, wenn Bundeswehrsoldaten töten oder selber getötet werden. 4.500 deutsche Soldaten sind derzeit in Afghanistan im Einsatz. „Sie haben den Ruf, besonders hart aufzutreten.“ Als Sinnbild für die wichtige Rolle der Bundeswehr in Afghanistan bezeichnet Pflüger das Massaker von Kunduz. Bundeswehr-Oberst Georg Klein hatte am 4. September 2009 das Bombardement zweier Tanklastzüge angeordnet. Über 100 Menschen kamen dabei ums Leben. Die meisten waren Bewohner der umliegenden Dörfer, die Benzin abzapfen wollten. Fünf Mal hatten sich die angeforderten US-Piloten zuvor geweigert, die Bomben abzuwerfen. Klein bestand darauf. Was er getan habe, sei eigentlich Mord so Pflüger. Entsprechende Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft wurden allerdings eingestellt. Eine Rüge durch die Bundeswehr gab es nicht. „Intern wird Klein als Held gefeiert. Er wird sicher Karriere machen“, so Pflügers Überzeugung. Mit dem Kommando Spezialkräfte (KSK) sei zudem eine demokratisch nicht legitimiert und jeder parlamentarischen Kontrolle entzogene Bundeswehreinheit in Afghanistan im Einsatz, die auch an gezielten Tötungen beteiligt sei. „Das ist nichts anderes als heimtückischer Mord.“

Zunehmende Militarisierung

Als innenpolitischen Folge des Afghanistan-Kriegs macht Pflüger in Deutschland eine zunehmende Militarisierung der Gesellschaft aus. Die geplante Aussetzung der Wehrpflicht und damit einhergehende Umstrukturierung der Bundeswehr sei vor allem dem Motiv geschuldet, die Truppe „effektiver und kampffähiger“ zu machen. „In Afghanistan geht es nur noch um Aufstandsbekämpfung“, so Pflüger. Dafür brauche man „völlig überzeugte Soldaten“. Entsprechend werde „verschärft rekrutiert.“ Kooperationsvereinbarungen zum Einsatz von Jugendoffizieren an Schulen gibt es in immer mehr Bundesländern, ebenso Werbung für die Bundeswehr an Arbeitsagenturen. „Schon heute kommt – mangels anderer Berufsperspektiven – ein Großteil der Soldaten aus Ostdeutschland. Pflüger zufolge sind es in Afghanistan 66 Prozent der unteren Dienstgrade. Michael Wolffsohn, Geschichtsprofessor an der Universität der Bundeswehr, hatte in diesem Zusammenhang erst kürzlich von einer ostdeutsch dominierten „Unterschichtenarmee“ gesprochen.

DIHK-Präsident: Militär soll Handelswege sichern

Als Hauptmotiv für die Auslandseinsätze macht Pflüger unter anderem die Sicherung von Handelswegen und wirtschaftlichen Interessen aus. Im Weißbuch der Bundeswehr ist eine solche Strategie schon lange festgelegt. Bei Ex-Bundespräsident Horst Köhler gab es noch einen öffentlichen Aufschrei, als er Krieg mit deutschen Wirtschaftsinteressen begründete. Hans Heinrich Driftmann (Foto), Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, kann selbiges dagegen ganz ungeniert fordern. Gegenüber der Zeitschrift Focus forderte er vor wenigen Tagen die verstärkte Sicherung von Handelswegen durch die Bundeswehr: „Die Armee muss sich dringend den neuen Anforderungen stellen. Dabei geht es um unsere ureigenen legitimen Interessen – auch die der Wirtschaft.“ Da trifft es sich gut, dass Driftmann als stellvertretender Vorsitzender in der Kommission zur Umstrukturierung der Bundeswehr sitzt.

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Kommentare (4)

  • MB

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    “4.500 deutsche Soldaten sind derzeit in Afghanistan im Einsatz. „Sie haben den Ruf, besonders hart aufzutreten.“”

    Das ist aber eine völlig neue Erkenntnis.
    Die Berichte seriöser Medien aus Afghanistan stellen hier ein völlig anderes Bild dar.
    Der Umstand, dass die deutschen Truppen -selbst wenn sie angegriffen wurden- bis zur Anpassung des Mandats eben nicht einfach geschossen haben, ist letztlich doch die Ursache für die Verlagerung der Angriffe/ Kämpfe in den Zuständigkeitsbereich der Deutschen.
    Da wo den Taliban und den Drogenbaronen, Warlords etc. entschieden, vielleicht auch überhart durch die US-Streitkräfte begegnet wurde, haben diese sich zurückgezogen.

    Ich empfehle eine Auseinandersetzung mit dem Kulturkreis, in dem dieser Konflikt stattfindet.
    Um es einfach auszudrücken, hier wird der Stärkere akzeptiert, nicht der jenige mit der gutgemeinten Weltanschauung.

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  • Auf der Suche nach Kanonenfutter | Regensburg Digital

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