Regensburgerin weist Verfassungsschutz in die Schranken
Hörensagen und keine Beweise: Der bayerische Verfassungsschutz muss Passagen seines Berichts von 2013 schwärzen, in dem die Kreisvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes erwähnt wurde.
Es ist nichts Neues, dass der bayerische Verfassungsschutz in seinen alljährlichen Berichten Organisationen in eine verfassungsfeindliche Ecke stellt, irgendwelche Falschbehauptungen aufstellt und manchmal auch zurückrudern muss. Prominentes Beispiel ist etwa die mehrfach preisgekrönte „Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München“ (a.i.d.a.-Archiv), die von der Behörde als linksextrem diffamiert wurde und sich am Ende gerichtlich erfolgreich dagegen wehren konnte.
Arbeit nach dem Motto: „Die üblichen Verdächtigen“
Doch dieses Mal hat es eine Einzelperson erwischt und Luise Gutmann, Regensburger Kreisvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), scheint im Verfassungsschutzbericht 2013 schlicht nach dem Motto „die üblichen Verdächtigen“ gelandet zu sein. Ein Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof in München offenbarte am vergangenen Donnerstag zudem, wie schludrig und auf welch fragwürdiger Beleglage man in diesem Bericht landen kann.
Am 30. November 2013 hatte die „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD) einen Infostand in Regensburg abgehalten. Die kommunistische Kleinstpartei wird seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet. In Regensburg gibt es keine Aktivposten der MLPD. Anmelder des Infostands war denn auch ein Parteimitglied aus Nürnberg. Der Infostand unter dem Motto „Die MLPD stellt sich vor“ verlief nach Polizeiangaben störungsfrei.
Ein Sonderfall: Bayern und die VVN
Im Verfassungsschutzbericht findet sich dazu nun folgende Passage:
„Am 30. November [2013] führte die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) einen Infostand in Regensburg durch, der von einer Funktionärin der Kreisvereinigung Regensburg der VVN-BdA geleitet wurde.“
Der Hintergrund: Der bayerische Verfassungsschutz ist der einzig verbliebene Ableger des Inlandsgeheimdienstes, der die VVN als linksextremistisch einstuft und entsprechend in seinen Berichten erwähnt. Ein Umstand, den etwa der SPD-Landtagsabgeordnete und Vorsitzende des Rechtsausschusses als „Skandal“ bezeichnet. Die Leitung eines Infostands der MLPD durch eine Regensburger VVN-Funktionärin scheint dem Verfassungsschutz als Beleg für seine umstrittene Behauptung da wie gerufen gekommen zu sein.
Das Problem: Die Behauptung ist schlicht falsch. Luise Gutmann, die zuvor über ihren Rechtsanwalt versucht hatte, außergerichtlich die Streichung dieser Passage zu erwirken, aber beim Innenministerium auf Granit biss, klagte und bekam nun auf ganzer Linie recht.
Vage Personenbeschreibung führt zu offensichtlicher Lüge
Bei der Verhandlung am Donnerstag kam heraus: Es gibt keinen Beweis für die Behauptung. Vielmehr scheint man nach dem Motto „irgendwelche Linksextremen“ verfahren zu sein.
Die Polizei hatte am besagten 30. November keinerlei Personalien der Infostandbetreiber aufgenommen, stand allenfalls in „ein- bis zweiminütigem Kontakt“ mit den Betreibern. Einem Staatsschützer, der selbst nicht am Infostand war, teilte die Polizeiinspektion Süd später auf Nachfrage mit, dass eine „50 bis 60 Jahre alte Frau mit kurzen, grauen Haaren“ diesen geleitet habe. Diese etwas vage Personenbeschreibung ließ den Staatsschutzbeamten auf Luise Gutmann tippen. Er legte dem Polizisten ein Foto vor, der kam zu dem Schluss, dass das „wohl die Frau gewesen“ sein könne und flugs fand sich im internen Bericht des Staatsschutzes an den Verfassungsschutz die so oder so wahrheitswidrige Passage:
„Als Leiterin benannte sich ggü. Beamten der PI Regensburg Süd die Regensburger Kreisvorsitzende der VVN-BdA, Luise Gutmann.“
Diese offensichtlich falsche Formulierung konnte sich bei der Gerichtsverhandlung dann so gar niemand mehr erklären. Der als Zeuge geladene Polizist sagte bei der Gegenüberstellung mit Luise Gutmann aus, dass diese ihm „irgendwie bekannt“ vorkäme, er könne aber nicht mit Sicherheit sagen, dass sie am Stand gewesen sei. Der MLPD-Funktionär, der den Infostand angemeldet hatte, aber selbst ebenfalls nicht in Regensburg war und Luise Gutmann auch nicht kennt, geht wiederum davon aus, die Infostandleiterin könne seine Frau gewesen sein, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Luise Gutmann habe – zumindest was die Körpergröße, aber nicht die Haarfarbe betrifft.
Auch der Bund für Geistesfreiheit wird mit erwähnt
Erstaunlich: Der bereits angesprochene interne Bericht des Staatsschutzes findet es auch der Erwähnung wert, dass Luise Gutmann in der Vergangenheit auch schon Infostände des Bundes für Geistesfreiheit (BFG) angemeldet hat, der – zumindest bislang – nicht in den Ruch verfassungsfeindlicher Umtriebe geraten ist. Ebenfalls wird der Name des BFG-Vorsitzenden Erwin Schmid an den Verfassungsschutz weitergereicht. MLPD, VVN, BFG – alles Linksextremisten und Verfassungsfeinde?
Doch selbst nach dieser ernüchternden Beweisaufnahme beharrten die beklagten Vertreter des Freistaats Bayern darauf, die Passage nicht zu schwärzen. Erst nach dem eindringlichen Hinweis des Gerichts, das darauf hinwies, dass das Urteil in jedem Fall zugunsten von Luise Gutmann ausfallen werde – „Sie müssen Ihre Behauptungen schon beweisen“, so der Hinweis eines Beisitzers – und einer Beratungspause, gaben die Beklagten schließlich nach. Die Passage wird gestrichen, der Freistaat übernimmt – bei einem Streitwert von 5.000 Euro – sämtliche Kosten. Das Verfahren wurde daraufhin eingestellt.
Mr. T
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Gut so! Auch wenn ich kein großer Freund der Ganzlinken bin, freue ich mich, dass der Verfassungsschutz hier immer wieder ausgebremst wird. Irgendwie kommt es mir so vor, als wie wenn die eine Anweisung hätten 50% links und 50% rechts zu ermitteln und da es links außer autonomen Idioten kaum was kriminelles gibt, kommen dann die harmlosesten Linken in deren Visier. Vielleicht sollten sie da auch mehr V-Leute und Geld einsetzen, um kriminelle linke Strukturen aufzubauen, die sie dann beobachten können.
joey
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Welch eine Verschwendung von Steuergeld. MarxLeninisten stehen nun gar nicht im Verdacht, irgendeine Revolution in Deutschland veranstalten zu können. Da würde eher ein Kostümverein draus, mit roten Fahnen und HammerSichel, ein Fotomotiv für US Touristen. Übrigens, die mögen auch Stalin Portraits gern.
Gefahren für die Demokratie kommen nicht aus der NS Geschichte sondern in völlig anderer Argumentation und Motivlage. Und da gibt’s genug zu tun.
Leonid Che Dimpflmoser
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BUND FÜR GEDANKENFREIHEIT!? So etwas *kann* einfach nicht im Rahmen der Verfassung sein. Unmöglich! Mir hier in Bayern haben noch nie einen Gedanken nicht gehabt!! Und brauchern auch keine Gedankenfreiheit nicht! Wokammerndahin?
Lothgaßler
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Das muss doch Konsequenzen bei den zuständigen und verantwortlichen Stellen und Personen nach sich ziehen. In der Sache wäre ein dickes Schmerzensgeld fällig.
Können oder wollen diese Staatsschützer nicht anders? Wenn unser Verfassungsschutz diese “Qualität” abliefert, dann helfen auch Vorratsdatenspeicherung und sonstiger technischer Tand nix. Welches “gesicherte Wissen” über “Gefährdungslagen” wird unseren Politikern und Staatenlenkern sonst noch aufgetischt?
„Die EU-Wertegemeinschaft fußt auf dem Antifaschismus“ » Regensburg Digital
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