Offener Brief von Kurt Raster an Oberbürgermeister Wolbergs
Sehr geehrter Herr Joachim Wolbergs,
ich werde im Folgenden das „Sie“ verwenden, auch wenn wir uns aus der Zeit, in der ich im Kulturbereich des Studentenwerks arbeitete und Sie Vorstand des Mälze-Kulturvereins waren, duzen. Doch der Anlass scheint mir für das „Du“ unpassend.
Ich habe heute gegen Sie Anzeige wegen Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung erstattet. Anlass waren für mich Ihre Äußerungen in einer Stadtratssitzung, wie diese in der Mittelbayerischen Zeitung vom 02.05.2015 berichtet wurden, sowie Ihre Aussagen in einem Interview, das Sie dem Internetblog Regensburg Digital gaben, veröffentlicht am 04.05.2015. Den Wortlaut der Anzeige können Sie dem Anhang entnehmen.
Aber Sie beleidigten und verleumdeten nicht nur mich, sondern jeden einzelnen Menschen, der die Petition unterschrieben hat oder noch zeichnen wird. Der „Theatermensch (…) finde dann schon Leute, die ihm das abnehmen.“ Damit sprachen Sie den inzwischen über 700 Unterzeichner_innen jede eigene Entscheidungsfähigkeit ab.
Ich bin entsetzt. Ich bin entsetzt über den Kulturverfall in dieser Stadt. Ich bin entsetzt darüber, wie mit dem abgegriffenstem Instrumentarium aus der Mottenkiste der Demagogen versucht wird, eine kritische Öffentlichkeit einzuschüchtern.
Ich möchte von einem Bürgermeister dieser Stadt nicht so behandelt werden. Und ich möchte auch nicht, dass andere so behandelt werden.
Zumal die Einwände zur beabsichtigten Schließung des Alten- und Pflegeheims St. Michael bislang nicht widerlegt werden konnten. So belaufen sich die Kosten für den notwendigen Brandschutz, wie von uns und Angehörigen der Bewohner_innen schon länger vermutet, lediglich auf 150 000 Euro. Nach wie vor bleibt die Stadt die Antwort darauf schuldig, wie viele der angeführten 15 Millionen Euro Sanierungskosten auch bei anderer Nutzung, beispielsweise als Hotel, aufgebracht werden müssten.
Aber selbst wenn der genannte Betrag allein für den Erhalt als Altenheim anfallen würde, sollten es uns unsere Alten wert sein! Regensburg ist eine reiche Stadt! Davon sollten alle profitieren!
Außerdem, Herr Wolbergs, Sie bekundeten in der nämlichen Sitzung, die Stadt „stehe vor der Situation rückläufiger Belegungszahlen.“ Am Michlstift aber kann‘s nicht liegen. Wie uns Angehörige berichteten, sei dieses immer nahezu voll belegt, trotz angeblich fehlender „Nasszellen“. Kann es sein, dass die ach so „modernen Pflegestandards“ anderer Heime die alten Menschen eher abschrecken? Dass sie viel lieber im „altmodischen“ Michlstift und dessen wunderschönen Garten ihren Lebensabend verbringen wollen, als „zukunftsfähigen Konzepten“ ausgeliefert zu sein?
Noch ein Wort zur Struktur von Recht auf Stadt, weil darüber offensichtlich völlige Unkenntnis herrscht. Es ist eine basisdemokratische Initiative. Jede öffentliche Verlautbarung wird von allen bis ins letzte Komma gemeinsam redigiert und beschlossen. Sich eine Einzelperson herauszusuchen und zu „verteufeln“ (Stadtrat Richard Spieß) geht daher völlig an der Sache vorbei.
Die Anzeige allerdings ist allein meine persönliche Angelegenheit. Die meisten Aktiven bei Recht auf Stadt rieten mir ab, zeigten aber auch großes Verständnis für meinen Schritt, zumal sich Ihre Äußerungen auch beruflich für mich nachteilig auswirken können.
Auch Politiker müssen ihre Grenzen kennen. Wenn Sie versuchen, Bürgerengagement mit Beleidigungen und Verleumdungen zu unterbinden, ist diese Grenze überschritten.
Mit freundlichen Grüßen,
Kurt Raster
PS: Dieses Schreiben geht an alle per Email erreichbaren Stadträte und an die Presse.
Das Jahr der offenen Briefe » Regensburg Digital
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[…] Der Künstler Kurt Raster etwa schrieb dem OB ein Briefchen im Zuge der Diskussion um die Schließung des Michlstifts. In diesem entzog er dem Wolli, der Raster zuvor in einer Stadtratssitzung hart angegangen war, das Du und kündigte ihm eine Strafanzeige wegen Beleidigung an. Von der Strafanzeige hörte man anschließend nichts mehr. Ob Wolbergs einen Brief an Kurt Raster zurück schrieb, ist nicht überliefert. Sozialbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer schaffte es, mit sachlichen Informationen statt aggressivem Gebaren die Schärfe aus der Michlstift-Debatte zu nehmen. […]