Ein Extremist wider den alten Nazi-Ungeist
Die Stadt München hat dem in Regensburg wohnenden Holocaustüberlebenden Ernst Grube am Dienstag den Georg-Elser-Preis verliehen.
Die Münchner Bürgermeisterin Christine Strobl zeichnete am Dienstag den Holocaust-Überlebenden Ernst Grube für sein gesellschaftliches Engagement mit dem Georg-Elser-Preis aus. Der seit 2013 von der Landeshauptstadt Stadt München vergebene Preis ist mit 5.000 Euro dotiert. Er soll Menschen ehren, „die sich gegen undemokratische Strukturen, Organisationen und Entwicklungen auf ganz individuelle Weise zur Wehr setzen, die für Schwache eintreten, welche selbst keine Stimme haben, und die rechtsextremen Tendenzen entgegentreten.“
Ernst Grube wurde Dezember 1932 in München geboren. Als zweiter Sohn einer jüdischen Mutter (Clementine, geb. Meyer) und eines evangelischen Vaters (der Malermeister Franz Grube) erlebte er als Fünfjähriger, wie die Münchner Synagoge abgerissen wurde. Als die Familie Grube aufgrund einer unerbittlichen antisemitischen Entmietungspolitik ihre Wohnung verlassen musste, wurden die drei Kinder von ihren Eltern getrennt.
Mit zwölf Jahren ins Konzentrationslager
Am Tag der Preisverleihung genau vor 79 Jahren, am 7. November 1938, kam Ernst zusammen mit seinem älteren Bruder Werner und der gerade vier Monate alten Schwester Ruth ins jüdische Kinderheim in die Antonienstraße. Als dieses 1941 geräumt wurde und etwa 20 jüdische Kinder zusammen mit hunderten Münchner Juden nach Kaunas (Litauen) ins IX. Fort deportiert und ermordet wurden, blieben die Grubes zunächst verschont. Der Grund: Die Grube-Kinder wurden gemäß der nationalsozialistischen Klassifikation als „Geltungsjuden“ behandelt und mit Rücksicht auf ihren „arischen“ Vater 1941 nicht wie andere in den Tod geschickt.
Zur Deportation kam es im Februar 1945, als Ernst zusammen mit der Mutter und seinen beiden Geschwistern Ruth und Werner nach Theresienstadt verbracht wurde. Dort wurden sie im April 1945 von der Roten Armee befreit.
Ernst Grube ging nach München zurück. Zunächst holte er die Schulausbildung nach, die ihm im NS-Regime verweigert wurde, absolvierte daraufhin beim Vater eine Malerlehre und übernahm zuletzt den elterlichen Betrieb. Ernst Grube engagierte er sich in der Gewerkschaft und der KPD. Er protestierte gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands, gegen die Ausdehnung der Regelarbeitszeit für den Einzelhandel auf Samstagnachmittag und immer wieder gegen alte Nazis in Amt und Würden. Im Jahre 1953 wurde er wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt zu sieben Monaten Haft verurteilt – er habe sich nur gegen Polizeischlagstöcke geschützt, sagt Grube damals wie heute. Wegen einer Flugblattaktion anlässlich des Verbots der KPD wurde er 1958 neun Monate in isolierte U-Haft genommen und zu einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt.
Bis heute vom “Verfassungsschutz” verfolgt
In den 1970ern engagierte sich Ernst Grube in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), oder gegen Berufsverbote und konnte eines gegen ihn als Berufsschullehrer und DKP-Mitglied gerade noch abwehren. Der Bayerische Verfassungsschutz sieht in Grube bis heute den gefährlichen Linksextremisten und beobachtet ihn deshalb. Bürgermeisterin Strobl forderte am Dienstag die Einstellung dieser unrühmlichen Praxis, die in völligen Widerspruch zur Auffassung des Münchner Stadtrats stehe.
Seit vielen Jahren besucht der Überlebende Ernst Grube Schulen aller Art. Nicht nur um Schülern und Schülerinnen von seiner Lebensgeschichte zu berichten, sondern auch um mit ihnen Auseinandersetzungen über Rassismus und Antisemitismus, oder Rechtsextremismus und Ausländerpolitik zu führen. „Von einem, der nicht aufgibt“, heißt ein Filmproträt, das seine engagierte Lebensgeschichte erzählt.
“Nicht die Bequemen verteidigen die Demokratie”
Die Jury begründete die Vergabe des Georg-Elser-Preises an Ernst Grube so:
„Ernst Grube hat sich aufgrund seiner persönlichen Verfolgungserfahrung Zeit seines Lebens gegen Ausgrenzung und Unterdrückung engagiert. Er hat über Jahrzehnte hinweg jungen Menschen über die Schrecken des Nationalsozialismus aus eigener Anschauung berichtet – und aber auch immer wieder darauf hingewiesen, wenn heute Menschen unter Ausgrenzung und Ausbeutung leiden. Ernst Grube bezieht öffentlich Stellung besonders gegen Neonazis und Geschichtsrevisionisten. Er ist Präsident der Lagergemeinschaft Dachau und engagiert sich in der Stiftung Bayerischer Gedenkstätten ebenso wie im politischen Beirat des NS-Dokumentationszentrums München. Darüber hinaus streitet er für die in München so heftig umstrittenen Stolpersteine. Immer wieder hat er auf das Schicksal von Flüchtlingen hingewiesen – zuletzt hat er eindringlich einen Abschiebestopp für Afghanistan gefordert. Ernst Grube war und ist immer auch unbequem. Aber es sind nicht die Bequemen, die die Demokratie verteidigen. Für sein lebenslanges Engagement erhält Ernst Grube den Georg-Elser-Preis der Landeshauptstadt München 2017.”
Der Münchner Kulturreferent Dr. Hans-Georg Küppers führte durch den Abend der Preisverleihung. Küppers, der mit anderen Vertretern aus Stadtpolitik und Bürgerschaft in der zwölfköpfigen Preisjury sitzt, zollte Grube auch persönlich Respekt. Die Stadtgesellschaft verdanke Grube „außerordentlich viel“, insbesondere wegen dessen unzähliger Gespräche mit tausenden junger Menschen und Schülern. Küppers erinnerte indes daran, dass die Bedeutung des Namenspatrons des Preises, Georg Elser, in München lange Zeit verkannt blieb.
Regensburg tut sich noch schwer mit Grube
Vor 78 Jahren, am 8. November 1939, zündete Georg Elser im Münchner Bürgerbräukeller eine selbstgebastelte Bombe, mit der er die dort versammelte Führungsregie des NS-Regimes ausschalten wollte. Da Adolf Hitler die Veranstaltung (zur Erinnerung an den Hitlerputsch vom 9. November 1923) früher als eigentlich geplant verließ, entging er dem Attentat, das acht Tote und Dutzende von Verletzten forderte. Elser wurde am gleichen Tag gefasst. Nach Verhören und Folter bekannte er sich zur Tat: „Ich habe den Krieg verhindern wollen“. Kurz vor Kriegsende wurde Georg Elser am 9. April 1945 im Konzentrationslager Dachau ohne Gerichtsurteil ermordet.
Während die bayerische Landeshauptstadt den Kommunisten Ernst Grube für sein zivilgesellschaftliches und antirassistisches Engagement ehrt, wollten Vertreter der Stadt Regensburg (wo er mit seiner Frau Helga Hanusa wohnt) mit solchen Leuten in gedenkpolitischer Hinsicht bis kurzem gar nichts zu tun haben. Mit Grubes direkter Art, die auch scharf formulierte Interventionen nicht scheut, tut man sich an der Donau immer noch schwer. Etwa als Grube 2014 in der zähen Auseinandersetzung zur Umbenennung der Hans-Herrmann-Straße – genauer: anlässlich der von Stadtheimatpfleger Werner Chrobak und Professor Bernhard Löffler verfassten schwammigen Stellungnahme – fragte: „Wie kann man als ernstzunehmender Historiker so einen Larifari zusammenschreiben?“ Damals war man dem Vernehmen nach in der Stadtführung höchst irritiert und verärgert über diese Intervention des Holocaust-Überlebende Ernst Grube.
“Extrem empfindlich gegen Nazi-Ungeist und neues Unrecht”
In seiner exzellenten Laudatio für Ernst Grube betonte Dr. Jürgen Zarusky unter anderem die Bedeutung des Antikommunismus bei der Verurteilung des Preisträgers Ernst Grube im Jahre 1959. Zarusky, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ), arbeitete heraus, dass von den sechs Personen, die damals mit Grube wegen Unterstützung der KPD verurteilten wurden, vier bereits in der NS-Zeit wegen „kommunistischen Widerstands jeweils mehrere Jahre in Justizhaft und im KZ Dachau verbracht“ hatten.
Zarusky vermutet, „dass mit der Illegalisierung der KPD, ob nun bewusst oder unbewusst, auch eine unbequeme Erfahrungswelt aus dem politischen Diskurs“ der 1950er ausgeschaltet werden sollte. Zwei Drittel der vom nationalsozialistischen Volksgerichtshof verurteilten Widerständler seien Kommunisten gewesen. Mit dem ausgeschalteten politischen Diskurs sei, so Zarusky, auch sich daraus ergebende unbequeme Fragen verhindert worden. Wie etwa, „was denn die sogenannte, mit sich selbst stets so zufriedene ‚Mitte‘ gegen Hitler getan“ habe, oder „die Angehörigen staatlicher Funktionseliten“.
Die Frage ob Grube ein Extremist sei, beantwortet Jürgen Zarusky so: „Ich glaube ja. Er ist extrem empfindlich, wo er den alten Nazi-Ungeist oder neues Unrecht am Werk sieht.“
Mr. T
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Glückwunsch an Ernst Grube! Unsere Gesellschaft bräuchte ein paar mehr Ernst Grube. Ein paar mehr Georg Elser hätten wohl damals schon gereicht, um das Schlimme zu verhindern – oder wenigstens zu mildern.
joey
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Extremisten sind nicht besonders “empfindsam”, sondern gewaltbereit. Ironie in dieser Sache ist mir zu mißverständlich.
Jürgen
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@joey:
Georg Elser hätte auch versuchen können Adolf Hitler zu Tode zu streicheln.
*Ironiemodus AUS*
Extremisten müssen m. E. nicht zwangsweise gewaltbereit sein. Es reicht m. E. dass sie extremere Gedanken haben, die Sie ggf. gewaltfrei versuchen umzusetzen.
blauäugig
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Glückwunsch an Herrn Grube
@Joey: Das, was Herr Grube vorgelesen hatte bei der Demonstration, waren Auszüge aus Ablehnungsbescheiden des BAMF bzw. den Verwaltungsgerichtsurteilen, welche darauf folgten. Dies war in der Tat menschenverachtend, Gewalt rechtfertigend – aber gerade nicht Herrn Grubes Gesinnung.
Florian
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Herzlichen Glückwunsch an Herrn Grube!
Bis heute ist Ernst Grube unermüdlich als Zeitzeuge an Gedenkstätten, in Schulen, bei Vereinen und in Bildungseinrichtungen aktiv. Ich darf in diesem Zusammenhang auf die Vorführung des Dokumentarfilms “Ernst Grube – Zeitzeuge. Von einem, der nicht aufgibt” am 15. Dezember 2015 mit anschließendem Gespräch im W1 – Zentrum für junge Kultur hinweisen. https://www.facebook.com/events/142565596379683/?active_tab=discussion
joey
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@blauäugig und andere
ich sage hier nichts gegen Georg Elser und seinen mutigen Versuch – Tyrannenmord ist kein Extremismus, sondern Notwehr.
Die Opfer des NS mußten ja gar nicht einmal “dagegen” sein, schon wegen Abstammung oder schlichte Willkür brachte man Leute grausam um. Dieses Leiden ist mit Achtung und Ehrerbietung zu berücksichtigen, ist aber kein Freibrief.
Politischer Extremismus wird in Deutschland als Gegnerschaft zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bezeichnet. Heißt auf Deutsch: da wünscht sich jemand (DKP Mitgliedschaft) einen der sozialistischen Musterstaaten zurück z.B. DDR, wo vielen Leuten (auch Kindern) mit Folter und Haft die “richtige Meinung” eingeprügelt wurde, das würde ich wohl als Gewaltbereitschaft bezeichnen. Auch dazu gibt es Zeitzeugen.
Ich wende mich hier gegen Verharmlosungen, ohne den einen Terror mit einem anderen aufwiegen zu wollen.
„Nicht die Bequemen verteidigen die Demokratie …“ Eindrücke zur Verleihung des Georg–Elser–Preises 2017 an Ernst Grube, Link zur Dankesrede, Videoclips, Fotos | jourfixeblog
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Feier zum 85. Geburtstag von Ernst Grube – Kreisvereinigung München
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