„Eine potentiell lebensgefährliche Behandlung“
Hitziger Tag beim Prozess um versuchten Totschlag an einem Asylbewerber. Richter und Rechtsanwalt geraten mehrfach aneinander. Ein Dolmetscher muss ausgewechselt werden. Die Angeklagten legen ein Geständnis ab. Der medizinische Gutachter bezeichnet die Attacke als „potentiell lebensgefährlich“. Bei der Befragung des Opfers greifen die Rechtsanwälte zu fragwürdigen Methoden.
Kurz vor 14 Uhr. Es ist, nach bereits fünf Stunden, ein kurzer versöhnlicher Moment an diesem langen Verhandlungstag vor dem Landgericht Regensburg. Der Hauptangeklagte im Prozess um versuchten Totschlag an dem 18jährigen Asylbewerber Manu D. steht auf und entschuldigt sich bei seinem Opfer. Dann geben sich die beiden die Hand. Dieselbe Szene wiederholt sich mit seinem Bruder Micolaji. Zuvor hat Jakub N. ein Geständnis abgelegt. Das kommt zwar reichlich spät, ist aber doch umfassend. Die glaubwürdig und ohne Belastungseifer vorgetragene Aussage des einzig unbeteiligten Zeugen in diesem Fall hat dafür wohl den Ausschlag gegeben.
Wie berichtet wirft die Staatsanwaltschaft dem 24jährigen Jakub N. vor, gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Micolaji und ihrem gemeinsamen Freund Denis K., ihr Opfer am Bahnhof in Niederlindhart krankenhausreif geprügelt zu haben. Jakub N. soll mit einem Nothammer, wie er zum Einschlagen von Scheiben verwendet wird, zwei Mal auf den Kopf des 18jährigen eingeschlagen haben. Der lag drei Tage im Krankenhaus.
Die Tatwaffe taucht plötzlich auf
Über seinen Rechtsanwalt Jörg Sodan räumt Jakub N. die Tat in vollem Umfang ein. Selbst das Versteck der Tatwaffe, die bei einer Hausdurchsuchung von der Polizei nicht gefunden wurde, gibt er preis. Sie liegt wenig später auf dem Richtertisch neben diversen anderen Nothämmern, die Staatsanwaltschaft und Verteidigung zuvor als Muster vorgelegt hatten.
Er habe den 18jährigen „nur wehtun“ wollen, weil er sich von diesem provoziert gefühlt habe. Außerdem habe er über SMS mitgeteilt bekommen, dass es zuvor Ärger mit seinem Bruder gegeben habe, lässt Jakub N. seinen Anwalt erklären. Wegen des Konsums von Crystal sei er an diesem Tag zudem „sehr aggressiv“ gewesen. Rassistische Motive, das Opfer stammt aus Mali und ist dunkelhäutig, bestreitet N. ebenso wie sein Bruder. Unter anderem ein dunkelhäutiger Freund der beiden Brüder, der heute im Publikum sitzt, wird als Beweis angeführt.
Auch Denis K. steht auf und entschuldigt sich – dafür, dass er die Tat nicht verhindert habe. Er bestreitet, selbst zugeschlagen zu haben. „Ich war selbst geschockt. Ehrlich.“ Manu D. schildert das etwas anders. Alle drei Angeklagten hätten auf ihn eingeschlagen. Der Handschlag zwischen ihm und Denis K. bleibt aus.
Mehr zu dem Prozess
Ansonsten ist der – mit Pausen – über neun Stunden dauernde Prozesstag geprägt von Unterbrechungen und hitzigen Debatten zwischen dem Vorsitzenden Richter Carl Pfeiffer und Rechtsanwalt Jörg Sodan. Am Vormittag wurde der einzig unbeteiligten Zeuge, der die Tat beobachtet hat, vernommen. Der 52jährige hat von seinem Platz im Zug aus beobachtet, wie drei Männer auf Manu. D. eingeschlagen haben. Er habe eine laute verbale Auseinandersetzung gehört und erst dann den Ernst der Lage realisiert. Als er losging, um einzugreifen, sei das Trio geflüchtet. Identifizieren kann er keinen der drei. Dass die drei aber am Tattag am Bahnhof waren ist durch Protokolle von Chats bewiesen.
„Sie nehmen offenbar nicht wahr, was in diesem Prozess passiert.“
Wie er denn wissen könne, dass alle drei geschlagen hätten?, will Sodan nun wissen. Habe er das gesehen? Vermute er das vielleicht nur? Immer wieder variiert der Rechtsanwalt diese Fragen, bis ihn Pfeiffer irgendwann genervt unterbricht. Er habe dieselbe Frage jetzt oft genug gestellt. Sie sei schon lange beantwortet. „Nein“, meint Sodan. „Doch“, erwidert Pfeiffer unter Nicken der Beisitzer. „Ach ja? Wie denn?“, gibt Sodan zurück. „Wir lesen Ihnen nicht vor, was Sie nicht mitbekommen“, gibt Pfeiffer zurück und legt nach: „Sie nehmen offenbar nicht wahr, was in diesem Prozess passiert.“
Sodan beantragt im Gegenzug einen Beschluss zur Zulässigkeit seiner Frage. Genervt unterbricht Pfeiffer die Sitzung. In der Pause kommen Oberstaatsanwalt Theo Ziegler und Sodan ins Gespräch. Die Gemüter beruhigen sich wieder etwas und es folgt die – zu diesem Zeitpunkt etwas überraschende – Ankündigung Sodans, dass sein Mandant eine Erklärung abgeben werde, das erwähnte Geständnis. Eine Änderung der Prozessstrategie.
Doch bereits wenig später kocht die Auseinandersetzung zwischen Sodan und Pfeiffer erneut hoch. Bei der Vernehmung des Opfers, Manu D., beschwert sich Sodan bereits nach etwa 20 Minuten Befragung über den Dolmetscher. Der rede viel länger mit dem Zeugen als anschließend seine deutsche Übersetzung sei. Der scheine ihm etwas zu erklären anstatt nur zu übersetzen. Als Pfeiffer anmerkt, dass er keinen Grund habe, an der Arbeit des Dolmetschers zu zweifeln, gibt Sodan Widerworte. Es wird laut. Schließlich brüllt Pfeiffer. Es gebe jetzt eine Unterbrechung von 15 Minuten, „damit sich der Herr Rechtsanwalt etwas Gedanken machen kann“.
Dolmetscher wegen Befangenheit abgelehnt
Nach der Pause geht das Spiel weiter. Sodan lehnt den Dolmetscher nun wegen Befangenheit ab. „Dann übersetzen Sie doch Herr Sodan, wenn Sie es besser können“, habe dieser in der Pause zu ihm gesagt. „Zu meinem Mandanten hat er gesagt: ‘Halt’s Maul! Mit Dir rede ich nicht.’“ Wieder wird die Sitzung unterbrochen. Der Dolmetscher bestätigt anschließend den Wortwechsel mit Sodan. Mit seine Mandanten aber, dem Hauptangeklagten, habe er nicht gesprochen. Doch Pfeiffer hat die Nase voll. Er will dem Rechtsanwalt wohl auch keinen Revisionsgrund geben. Allein das Gespräch sei Anlass genug, den Dolmetscher zu entlassen, sagt er. Zehn Minuten später trifft ein Ersatzmann ein und die Befragung von Manu D. beginnt von vorne.
Der schildert die Zugfahrt von Straubing nach Niederlindhart etwas anders als dies am dritten Prozesstag die Freundin des Angeklagten Micolaji N. getan hat. Sie hatte ausgesagt, dass Manu D., am Bahnhof zusammen mit einer Gruppe anderer dunkelhäutiger Männer gestanden sei und dass ihr von dort aus unter anderem das Wort „Chicka“ zugerufen worden sei. Später im Zug habe er ihr vor die Füße gespuckt und sie schließlich beim Aussteigen angerempelt. Dies, so die Angeklagten, sei auch das Motiv für die spätere Attacke gewesen. Unabhängige Zeugen für diese Version gibt es nicht.
Auch Manu D. bestreitet all das. Er sei allein am Bahnhof gewesen. Bei der Zugfahrt habe es keinerlei Zwischenfälle gegeben. Als er beim Halt in Niederlindhart an der Zugtür stand und geschaut habe, ob dies die richtige Station sei, seien drei Männer auf ihn losgegangen, hätten ihn zurück in den Zug gedrängt und so lange auf ihn eingeschlagen, bis er blutend am Boden lag.
Die Befragung gestaltet sich langwierig. Immer wieder scheint es zu Missverständnissen zwischen D. und dem Dolmetscher zu kommen. Als Sodan erneut die Vermutung äußert, dass die beiden doch viel zu viel miteinander reden würden, greift die beisitzende Richterin ein. Sie verstehe selbst französisch und könne ihn beruhigen. „Hier wird wörtlich übersetzt. Manchmal werden nur die Fragen nochmal erläutert.“
„So führt man Akten nicht in einen Prozess ein.“
Die Rechtsanwälte, allen voran Sodan, vertiefen sich in Details. Intensiv wird wegen – teils marginaler – Abweichungen zwischen der jetzigen Aussage von Manu D. und der Vernehmung bei der Polizei nachgehakt. „Es geht um die Glaubwürdigkeit des Zeugen“, erklärt Sodan, als Richter Pfeiffer – jetzt mit resignierter Ruhe – nachfragt, worauf der Rechtsanwalt denn hinaus wolle. Dann beginnt es, schmutzig zu werden.
Sodan will mehr über eine Schlägerei in der Asylunterkunft wissen, in der Manu D. untergebracht ist. Ob er daran beteiligt gewesen sei? Ob er beschuldigt worden sei, jemanden mit einem Messer bedroht zu haben? Ob er wisse, ob jemand aus Angst vor ihm aus dem Fenster gesprungen sei? Ob er als Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung vernommen wurde? Dann wird aus den Akten des besagten Ermittlungsverfahrens zitiert.
„Was hat das mit unserem Verfahren zu tun?“, will Pfeiffer nun wissen. „Es geht um die Glaubwürdigkeit und eine eventuelle Neigung zu impulsive Handlungen“, erklärt Sodan. Was das für ein Ermittlungsverfahren sei?, fragt Pfeiffer. Er habe diesen Fall in seiner Kanzlei gehabt, antwortet Sodan. „Ich frage mich, wie es mit der Verschwiegenheitspflicht gegenüber ihrem damaligen Mandanten vereinbar ist, hier einfach diese Akten zu verwenden“, merkt Pfeiffer an. Das Gericht wisse nichts von diesem Verfahren und: „So geht das jedenfalls nicht. So führt man Akten eines anderen Verfahrens nicht in einen Prozess ein.“
Gutachter: „…nicht vorhersehbar, ob der Schädelknochen bricht.“
Die Akten dieses Ermittlungsverfahrens, von dem am Mittwoch nicht klar ist, ob es bereits abgeschlossen ist, was der genaue Inhalt ist und wer die Beteiligten sind, sollen nun beigezogen werden. Kurz vor 18 Uhr wird die Befragung von Manu D., die eigentlich heute abgeschlossen werden sollte, unterbrochen. Sie soll am Freitag fortgesetzt werden, der ursprünglich als letzter Verhandlungstag geplant war. Es wird eine Verlängerung geben.
Am Ende des langen Verhandlungstages kommt schließlich der medizinische Gutachter zu Wort, der eigens für Mittwoch geladen war. Der beschreibt die Verletzungen von Manu D., zwei tiefe Platzwunden am Kopf, zwar als „nicht gravierend“, sagt aber auch: „Die Schläge mit dem Hammer waren eine potentiell lebensgefährliche Behandlung.“ Die Tiefe der Wunden zeige, dass „mit entsprechender Wucht“ geschlagen worden sei. „Und es ist für niemanden, der mit einem solchen Werkzeug gegen den Kopf schlägt, vorhersehbar, ob nicht der Schädelknochen bricht.“ Wieder bohrt Sodan nach, will aus dem Gutachter irgendeine Relativierung des zuvor gesagten herauskitzeln. Erfolglos.
Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.
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