05 Okt.2011
CSU-Streit: „Geistige Fußfessel“ bleibt
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- Vor Gericht abgeblitzt: Franz Rieger (l.) und Hermann Vanino, in der Mitte: Rechtsanwalt Troidl.
Verstößt die Geschäftsordnung der Regensburger CSU-Fraktion gegen das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung? Enthält sie einen unzulässigen Fraktionszwang? Verletzt sie den Grundsatz des freien Mandats? Das Verwaltungsgericht Regensburg hat es am Mittwoch abgelehnt, sich mit dieser Frage zu befassen. Die Kammer unter Vorsitz von Dr. Hans Korber wies stattdessen die Klage der beiden Stadträte Franz Rieger und Hermann Vanino als unzulässig ab. Eine Berufung wurde nicht zugelassen.
Die neue Geschäftsordnung sowie die Klage dagegen sind Ausfluss des seit Jahren tobenden CSU-Streits. Im vergangenen Dezember hatte die CSU-Fraktion diese Geschäftsordnung beschlossen, in der es unter anderem heißt:
„Jedes Fraktionsmitglied hat zu beachten, dass die Darstellung einer von der Position der Fraktion abweichenden Meinung nach außen grundsätzlich sowohl der Fraktion als auch der CSU schadet. Abweichende Voten und Meinungsäußerungen in diesem Sinn ohne Billigung durch die Fraktion stellen somit einen schweren Verstoß gegen die Grundsätze und gegen die Ordnung der Fraktion dar.“ Die ebenfalls in der Geschäftsordnung geregelten Sanktionen für einen „schweren Verstoß“ reichen von einer Rüge bis hin zum Ausschluss aus der Fraktion.
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Erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist…
Rieger und Vanino, die in der Vergangenheit schon mehrfach aus der Fraktionslinie ausgeschert sind – sei es mit eigenen Anträgen oder per Pressemitteilung – sprachen daraufhin von einem „rechtswidrigen Maulkorberlass“ und reichten über den Verwaltungsrechtler Dr. Thomas Troidl Klage ein. Sie forderten eine Aufhebung der kompletten Satzung oder wenigstens der strittigen Passagen. Bereits mit Beginn der Verhandlung machte Verwaltungsgerichtspräsident Korber im Rahmen einer einstündigen Einführung klar, dass die Kammer diesem Ansinnen wohl nicht folgen werde. „Man muss abwarten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist.“ Anders ausgedrückt: Erst wenn es einen konkreten Fall gibt – einen Verstoß gegen die Geschäftsordnung, der mit entsprechenden Sanktionen geahndet werden soll – könne das Gericht angerufen werden, um diese Sanktionen – etwa per Einstweiliger Verfügung – zu stoppen. „Vorher besteht kein begründetes Rechtsschutzinteresse.“Angezogene Handbremse und geistige Fußfessel
Rieger und Vanino sehen das naturgemäß anders. Allein die bloße Androhung von Sanktionen schränke sie beide in ihrer politischen Meinungsfreiheit ein, so Rieger. Ständig gebe es dieses Damoklesschwert. „Ich fahre kommunalpolitisch mit angezogener Handbremse.“ Jede öffentliche Äußerung können schließlich einen schweren Verstoß gegen die Geschäftsordnung darstellen. Bei jeder Aussage müsste man bei der Fraktion nachfragen, ob das erlaubt sei oder nicht. „Das ist wie eine geistige Fußfessel.“ Hermann Vanino sprach gar von einer „Lex Vanino“, die ihn als CSU-Sprecher im Verwaltungs- und Finanzausschuss mundtot machen solle. „Man ist wie eine Marionette, die die Arme heben soll, wenn der Fraktionsvorsitzende an den Fäden zieht und wenn man die Arme unten lässt, kriegt man eine auf den Kopf.“ 
- Vertreten die CSU-Fraktion: Peter Welnhofer und Konrad Brenninger.
Peter Welnhofer, der zusammen mit Dr. Konrad Brenninger die Fraktion vertrat, sprach im Gegenzug von „lächerlichen Behauptungen“. Wenn Rieger und Vanino „sich als arme, unterdrückte Wesen und Marionetten darstellen, dann ist das ein Zerrbild der Wirklichkeit“. Mehrheit entscheide nun mal und Fraktionsdisziplin sei die notwendige Voraussetzung für „eine effiziente Arbeit im Stadtrat“. Jahrzehnte habe das in Regensburg ohne Probleme funktioniert und als dies – im Zuge des CSU-Streits – nicht mehr der Fall war, habe man sich eben ein Regelwerk geben müssen. „Man muss mal mit dem Missverständnis aufräumen, dass in einer Fraktion jeder machen kann, was er will“, so Konrad Brenninger.
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mkveits
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Die Geschäftsordnung der CSU-Fraktion beschädigt schleichend und irreparabel die innerfraktionelle Demokratie, was für die Bejahung des Rechtsschutzbedürfnisses genügt
Der Präsident des BVerfG, Prof. Andreas Voßkuhle, hatte eigentlich dem VG Regensburg den rechten Weg auch für dieses Verfahren gewiesen. In seiner Rede zum Tag der Einheit 2011 mahnte er: eine lebendige Demokratie speise sich von Kritik und Opposition.
Es versteht sich von selbst, dass dieser Grundsatz auch für die CSU, auch in Regensburg und natürlich auch für die CSU-Fraktion gilt.
Es ist ja richtig, wenn das Gericht meint, GRUNDSÄTZLICH gebe es für vorbeugende Klagen kein Rechtsschutzbedürfnis. Aber es weiß auch, dass es davon Ausnahmen gibt. An meine letztendlich vor dem BVerfG auch erfolgreiche vorbeugende(!) Unterlassungsklage zur Videoüberwachung am Neupfarrplatz sei nur nebenbei erinnert.
“Vorbeugender Rechtsschutz kann jedoch auch in Betracht kommen, wenn sonst vollendete Tatsachen geschaffen werden oder ein nicht wieder gutzumachender Schaden eintreten würde”. (vgl. Redeker / v. Oertzen, VwGO, § 42 Rz.162)
Einen solchen Schaden erleidet die Demokratie innerhalb der CSU-Fraktion, was negative Auswirkungen auch auf eine lebendige Demokratie im Stadtrat und damit auf die gesamte demokratische Kultur in der Domstadt hat. Die beiden Zitate der Kläger: „Ich fahre kommunalpolitisch mit angezogener Handbremse.“ – „Das ist wie eine geistige Fußfessel.“ belegen die “vollendeten Tatsachen” bzw. “den nicht wieder gutzumachenden Schaden” der Demokratie durch die fragliche Geschäftsordnung.
Der Verweis des Gerichts auf die nächsten Kommunalwahlen 2014 ist untunlich; es verstärkt so den demokratischen Mangelzustand innerhalb der CSU-Fraktion und darüber hinaus. Es darf gemutmaßt werden, dass sich das Gericht – mal wieder? – so aus politischen Auseinandersetzungen heraushalten wollte. Wo bleibt der Mut unter den Talaren?
Die klagenden Juristen werden sicherlich ihren ernsthaften Einsatz für die Demokratie in Regensburg mit einem Antrag auf Zulassung der Berufung beim BayVGH unter Beweis stellen; dabei können sie sich auf den Präsidenten des Bundesverfassungsgericht berufen – soweit ihr Rechtsschutzbedürfnis vom VG Regensburg verneint wurde. Dieser mahnte Kritik und Opposition als konstitutiv für eine lebendige Demokratie an.
mkveits
peter sturm
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” Bei jeder Aussage müsste man bei der Fraktion nachfragen, ob das erlaubt sei oder nicht. ”
das sind ja richtig couragierte volksvertreter.
domiNO
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Na die Frage bleibt, ob die beiden Juristen Vanino und Dr. Rieger nicht von vorne herein mit der Abweisung derKlage gerechnet hatten, da sie beide im Verwaltungsrecht firm genug sein sollten.
So versehentlich dürfte die Klage nicht erst bei einem unzuständigen Zivilgericht eingereicht worden sein, wo sie nicht behandelt wurde. Man konnte öffentlichkeitswirksam darauf hinweisen, was die CSU “unter Parteifreunden” unter Demokratie versteht, und dass in der Sache ja nicht entschieden sei.
Bitte keine Korrektur von wegen nicht die CSU, sonder nur de CSU-Fraktion, um den Verbleib in letzterer kämpfen ja Vanino und Rieger so erbittert.
Name der redaktion bekannt
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Rieger: fährt mit angeborener Handbremse….
ein Schelm, wer Böses dabei denkt
mkveits
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Die lokalen Auseinandersetzungen in der CSU-Regensburg sind – siehe Link – wohl Teil einer “schleichenden Revolution”, an deren Ende ggf. die harten Oppositionsbänke (des Landtags u.a.) warten mögen.
Über das Ende des Machtsystems der CSU schreibt trefflich
http://www.cicero.de/berliner-republik/das-alte-machtsystem-ist-am-ende/46103?seite=2
Stadtrats-Adventskalender, Folge 4 | Regensburg Digital
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[…] Ein Antrag, Welnhofer 2007 wegen dieser Vorstrafe von der Stadtratsliste zu streichen, scheiterte. Zuletzt machte Peter Welnhofer 2010 mit einer Satzung von sich reden, die er für die CSU-Fraktion mit erarbeitete, um den parteiinternen Gegnern Hermann Vanino und […]