Amokfahrer: „Es tut mir leid.”
Im Amokfahrer-Prozess wurden heute die Plädoyers gehalten. Erstmals im Verfahren äußerte sich zudem auch der Beschuldigte selbst.
Von David Liese
Das Bild gleicht dem der vergangenen Prozesstage: Zusammengekauert sitzt der Mann auf der Anklagebank, mit gesenktem Kopf und ausdrucksloser Miene. Doch am Ende der knapp zweistündigen Sitzung, in der die Plädoyers der Verfahrensbeteiligten gehalten wurden, sollte der Amokfahrer sein Schweigen brechen.
Seit dem Prozessauftakt am 18. März wurde vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Regensburg die Amokfahrt des psychisch kranken 46-Jährigen nachvollzogen. Am 01. August des vergangenen Jahres raste er mit seinem Sportwagen durch die Stadt und tötete am Ende ein fünfjähriges Mädchen.
Staatsanwaltschaft: Bedingter Tötungsvorsatz „erscheint nicht unwahrscheinlich”
„Es ist gelungen, die Fahrt so weit wie möglich zu rekonstruieren“, stellt Staatsanwalt Markus Herbst zu Beginn seiner Ausführungen fest. Die Aussagen der zahlreichen vernommenen Zeugen – vom Passanten, der den über Gehwege und durch Parks kreuzenden Fahrer beobachtet hatte, bis zu den Streifenpolizisten, die ihn verfolgt hatten – seien zwar zum Teil recht widersprüchlich. Das ändere, so Herbst, aber nichts an ihrer Glaubwürdigkeit – ganz im Gegenteil. Diese sei sogar erhöht, weil die Zeugen „in keinem Lager“ stünden, also weder aus dem Umfeld des Beschuldigten noch der Geschädigten kämen.
Besondere Aufmerksamkeit widmet der Staatsanwalt der Frage, ob man beim Verhalten des Amokfahrers trotz dessen offensichtlicher Schuldunfähigkeit – der psychiatrische Sachverständige attestiert dem Mann paranoide Schizophrenie – von einem Tötungsvorsatz ausgehen müsse. Rein rechtlich widersprächen sich diese beiden Punkte nämlich nicht.
„Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass der Beschuldigte einen bedingten Tötungsvorsatz hatte“, führt Herbst aus. Das macht er unter anderem daran fest, dass „bewusste Entscheidungen“ getroffen worden seien, die nicht zum Wahn des Beschuldigten passten. „Ich vermag nicht zu erkennen, dass er durchweg wahrnehmungsgestört war“, fügt der Staatsanwalt hinzu. Der Amokfahrer hatte im Verlauf seiner Chaostour durch die Stadt Polizeibeamten den Mittelfinger gezeigt. Herbst bezeichnet diesen und andere Vorfälle als „situationsadäquate Handlungen“.
Emotionale Plädoyers der Nebenklage
Dennoch könne man letztlich keinen Vorsatz nachweisen und müsse im Sinne des Beschuldigten von Fahrlässigkeit ausgehen. Der Staatsanwalt beantragt auf Grundlage des psychiatrischen Gutachtens die Unterbringung des Mannes in einer psychiatrischen Klinik gemäß Paragraph 63 des Strafgesetzbuches.
Dem schließen sich auch die beiden Rechtsvertreter der Nebenklage, Wolfgang Schlachter und Nils Pütz, an – auch wenn ihre Plädoyers ungleich emotionaler ausfallen. Die Fahrweise des Beschuldigten könne man nur als „bizarr“ bezeichnen, sie sei eindeutig einem „akuten schizophrenen Schub“ geschuldet gewesen, so Schlachter. Pütz legt den Fokus vor allem auf die psychischen Auswirkungen für seine Mandanten und die dreijährige Schwester der Verstorbenen. „Ein ,Es tut mir leid’ reicht hier einfach nicht aus“, sagt der Anwalt. Man müsse von der weiteren Gefährlichkeit des Beschuldigten ausgehen, dieser sei „eine tickende Zeitbombe“.
Auch für Amokfahrer „nichts anderes als eine unfassbare Tragödie“
Schließlich erhebt sich Verteidiger Michael Haizmann. „Nichts anderes als eine unfassbare Tragödie“ sei dieser Fall – und zwar „auch für die Person meines Mandanten“. Der einzige Unterschied sei, dass die Tragödie für die Geschädigten von einer Sekunde auf die andere eintrat, während sie sich beim Beschuldigten über lange Zeit entwickelte.
„Wir sollten diesen Prozess nicht emotionalisieren“, so Haizmann weiter. Emotionen im Bauch führten letztlich nur zu falschen Entscheidungen. Sein Mandant sei stets als Mensch beschrieben worden, der nie gewalttätig gewesen sei und nie ein Problem mit Alkohol oder illegalen Drogen gehabt habe. „Das sind Dinge, die die Person meines Mandanten in der überwiegenden Zeit seines Lebens geprägt haben.“
„Kein Schuldiger, nur Verantwortlicher”
Er wolle weder den Ärzten einen Vorwurf machen, die zuließen, dass der schwerkranke Mann am 31. Juli 2013 die offene Psychiatrie des Bezirkskrankenhauses verlassen konnte, noch den Polizisten, die ihn auf seiner Amokfahrt verfolgt hatten – „auch wenn ich mit dem Gedanken gespielt habe.“ Letztlich habe man „keinen Schuldigen, für das, was geschehen ist – nur einen Verantwortlichen.“
Dass sein Mandant momentan gefährlich sei, will er nicht abstreiten. Einen konkreten Antrag stellt Haizmann nicht. „Der Beschuldigte wird an dieser Tragödie weiter leiden – wie andere Verfahrensbeteiligte auch“, sagt der Rechtsanwalt.
Amokfahrer bricht sein Schweigen vor Gericht
Als der vorsitzende Richter Werner Ebner Haizmanns Mandanten dann das letzte Wort erteilt, will sich dieser erheben – so, wie er es bei seinen Vorrednern beobachtet hat. Ebner bietet ihm an, er dürfe auch sitzen bleiben, wenn es ihm leichter falle. Mit unsicherer, brechender Stimme ergreift der Amokfahrer dann das Wort und richtet es direkt an die Hinterbliebenen des Mädchens, dessen Tod er verursacht hat. „Es tut mir leid, ich wollte das nicht. Mein Beileid habt’s ihr auch. Es tut mir leid. Ich wollte das nicht.“
Das Urteil wird am Dienstag verkündet.
Student
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‘Der Amokfahrer hatte […] Polizeibeamten den Mittelfinger gezeigt. Herbst bezeichnet diesen und andere Vorfälle als „situationsadäquate Handlungen“.’
Mit dieser interessanten Auffassung könnte der Herr Staatsanwalt Rechtsgeschichte schreiben.