Altdorfer-Tagung: Von der Kunst des Aussitzens
In einem zweitägigen Symposium im Historischen Museum tauschten letztes Wochenende Wissenschaftler diverser Fachrichtungen vor interessiertem Publikum die Ergebnisse neuerer Forschung über den Regensburger Künstler Albrecht Altdorfer (ca. 1480-1538) aus. Der Leiter des veranstaltenden Lehrstuhls für Kunstgeschichte Prof. Christoph Wagner (Uni Regensburg) plädierte schon in der Ankündigung der Tagung für eine Neubewertung des berühmten Regensburger Renaissancemalers: „Es geht darum, Altdorfer wiederzuentdecken“.
Die Tagung steht in Zusammenhang bzw. am Ende der derzeitigen Furtmeyr-Schau im Historischen Museum. Nachfolgend wird an eine bei regensburg-digital.de dokumentierte Kritik am Ausstellungskatalog angeknüpft.
Altdorfer ein Schüler Berthold Furtmeyrs?
Obwohl Albrecht Altdorfer in der Propaganda der Furtmeyr-Schau bzw. in der kunstgeschichtlichen Debatte seit vielen Jahren spekulativ als wohl ein Schüler Furtmeyrs angesprochen wird, wurde die Frage nach einer Schüler-Lehrer-Beziehung auf der Tagung überraschender Weise nicht eigens beleuchtet. Dies verwundert umso mehr, als man den Werken des Künstlers Altdorfer in der derzeit laufenden Furtmeyr-Schau ein sehr weitreichendes Areal zukommen lässt. So wurde beispielsweise Altdorfers Tafelbild von der „Schönen Maria“, das nicht wenige als das ehemalige „Kultbild“ der judenfeindlichen Wallfahrtsbewegung nach 1519 sehen wollen, an prominienter, kapellenartiger Stelle präsentiert.
Kritiker der Schau monieren jedoch, dass dies ohne museumspädagogische Hinführung und historisch-kritische Kontextualisierung geschah. Ein Kritikpunkt lautet, man präsentiere die „Schöne Maria“ in einem „historisierenden“ Altarrahmen, der historisch nicht belegbar sei und auf eine Nachbildung anlässlich der Altdorfer-Ausstellung von 1938 zurückgehe, als der NS-Kulturbetrieb die „Altdeutsche Kunst“ wiederentdecken wollte.
Demnach handele es sich bei der aktuellen Präsentation der „Schönen Maria“ im Historischen Museum um eine manipulative Neuinszenierung als sogenanntes „Gnadenbild“ von 1519. Weder in der Ausstellung noch im Katalog der Furtmeyr-Schau werden die Hintergründe dieser Präsentation benannt, sie dürften nur wenigen Fachleuten bekannt sein.
Altdorfer ein Judenfeind?
„Die Rolle Albrecht Altdorfers beim Judenpogrom 1519 und bei der Wallfahrt zur Schönen Maria“ zu klären, fiel Dr. Andreas Angerstorfer zu, der auf der Tagung als Fachmann für jüdische Geschichte Regensburgs referierte. Für Angerstorfer besteht kein Zweifel: Altdorfer, der am 21. Februar 1519 mit anderen Vertretern der Stadt der jüdischen Gemeinde den Vertreibungsbefehl überbrachte, habe die Vertreibung mitgetragen, er sei früh darüber informiert gewesen. Als Künstler habe er daraus vielfach Profit geschlagen: So gestaltete er die damalige Ablassbulle, verdiente an hundertfach gedruckten Farbholzschnitten der „Schönen Maria“ und an tausendfach verkauften Wallfahrtszeichen.
Eine Sympathie für die Vertriebenen könne Angerstorfer ganz und gar nicht erkennen. Im Gegenteil: Soweit man wisse, seien unter der Regie Altdorfers als städtischer Baumeister viele der geraubten Grabsteine aus dem 1519 geschändeten jüdischen Friedhof – laut Angerstorfer sind mittlerweile ca. 90 Exemplare dieser Provenienz bekannt – als Pogrom-Souvenir verbaut worden.
Eine gegenteilige Bewertung wird im Katalog der letzten großen Altdorfer-Ausstellung (Berlin u. Regensburg 1988) vorgenommen. Dessen Herausgeber Hans Milke spekuliert darin über eine „gewisse Sympathie“ und „wohlwollendes Interesse“ Altdorfers an den im Jahre 1519 vertriebenen Regensburger Juden. Um dies tun zu können, musste Milke unter anderem die Bildüberschrift auf der berühmten Altdorfer-Radierung von der mobiliarlosen Synagoge als „törichte Tagesmeinung“ abtun. Die Überschrift der Radierung lautet: „Im Jahr des Herrn 1519 wurde die jüdische Synagoge durch das gerechte Gerichtsurteil Gottes dem Erdboden gleichgemacht“.
Neubewertung Altdorfers Judenfeindschaft?
Unmittelbar nach Angerstorfers Vortrag entspann sich eine Diskussion, bei der dem Referenten eine zum Teil schon feindselige Stimmung entgegenschlug. Einige der Zuhörer wollten seiner Bewertung Altdorfers als Judenfeind nicht folgen. Mit Verve versuchte Angerstorfer exkulpierende Einwände zu entkräften. Beispielsweise solche, die in Altdorfers Radierung mit der Synagogen-Architektur eine gewisse Sympathie für die Vertriebenen entdecken konnten.
So wollte eine findige Dame aus dem Publikum zu bedenken geben, ob es nicht sein könne, dass die Beschriftung der Radierung, die wie erwähnt von einem „gerechten Gottesurteil“ spricht, nachträglich und ohne Altdorfers Zutun eingefügt wurde und der Künstler von Judenfeindschaft somit freizusprechen sei. Unter anderem mit Verweisen auf die durchgängig judenfeindliche Stadtgesellschaft, in die Altdorfer auch als prominentes Mitglied des inneren Rates (ab 1526) eingebunden war, argumentierte Angerstorfer, wie schon über längere Strecken im Vortrag, überzeugend gegen Tendenzen, welche die antijüdische Einstellung Altdorfers herunterspielen bzw. umpolen wollten.
Ritualmordbeschuldigungen
Mit Spannung erwartet wurden Angerstorfers Ausführungen zu den mittelalterlichen Ritualmordbeschuldigungen, die aktuell pikanterweise im Furtmeyr-Katalog (herausgegeben von Christoph Wagener und Klemens Unger) vom Regensburger Stadtarchivar Heinrich Wanderwitz kolportiert werden.
Zur Erinnerung: Wanderwitz suggeriert in seinem Aufsatz mit dem irrwitzigen Konstrukt, Aussagen der wegen angeblichen Ritualmord inhaftierten Juden und preisgegebenes Täterwissen hätten am „bezeichneten Platz“ zu einem „tatsächlichen“ Fund von Kindergebeinen geführt. Die rituelle Ermordung von Christenkindern durch die damals angeklagten Juden wäre somit, folgte man Wanderwitz, eine historisch belegbare Tatsache.
Keine Stellungnahme
Was geschah in dieser Sache, nachdem regensburg-digital.de bereits am Tag der Eröffnung der Furtmeyr-Ausstellung (29.11.2010) kritisch darüber berichtet hatte?
Soweit ersichtlich, griff den Sachverhalt nur das Internetmedium haGalil auf, das sich bekanntlich der Bekämpfung von Antisemitismus verschrieben hat.
Eine damals angefragte Stellungnahme von Heinrich Wanderwitz, welche uns der Stadtarchivar versprochen hatte, lässt noch immer auf sich warten.
Zurück zu Angerstorfers Vortrag.
Dieser stellte gleich zu Beginn seines Referats über das Judenpogrom von 1519 fest, dass die „Lügen vom jüdischen Ritualmord“ in Regensburg schon im Jahr 1474 eine zentrale Rolle spielten und diese bis zur Vertreibung beibehielten. Die im Lauf des großen Ritualmordprozesses von 1476-1480 vorgelegten „verwesten Skelette“ von vorgeblichen Ritualmordopfern habe man den angeklagten Juden unterschieben wollen. Eine Beweiskraft könnten diese schon deshalb nicht beanspruchen, weil die angeblichen Opfer laut Anklage zum Teil erst kurz vor dem Auftauchen der Gebeine zu Tode gekommen seien und in diesem knappen Zeitraum keine vollständige Verwesung möglich sei. Und: „Es fehlt auch kein Kind. Das ist die Realität!“
Gut gelauntes Aussitzen
Im Einklang mit allen seriösen einschlägigen Forschungen verwirft Angerstorfer die Historizität eines Regensburger Ritualmords mehrfach und unzweifelhaft. Als Resümee der damaligen Ereignisse hielt er mit sicherem Urteil fest, dass dem Rat der Stadt zur Legitimation der Vertreibung jede Lüge Recht gewesen sei.
Gemünzt war dieses Statement Angerstorfers letztendlich sowohl gegen Christoph Wagner, den Gastgeber und Herausgeber des Furtmeyr-Katalogs, als auch gegen Stadtarchivar Heinrich Wanderwitz. Der ließ sich allerdings seine gute Laune, mit der er schon als Vorredner („Altdorfer im Spiegel der historischen Quellen“) auftrat, nicht verderben.
In einer Umgebung, die nicht dem Propagandisten der Gerüchte über die Juden feindselig gestimmt ist sondern seinem Kritiker, sitzt sich so manche antisemitische Affäre gut gelaunt aus.
Erich Tolli
| #
Auch wenn A. Angerstorfer die skandalösen „Ritualmordlügen“ des Leiters des Amts für Archiv und Denkmalpflege (was wird denn dort gepflegt?) H. Wanderwitz überzeugend zurückwies, bleibt doch die bittere Erkenntnis, dass sich (außer einer kritischen Mini-Gruppe) in Regensburg niemand daran stößt, wenn im Rahmen des vielgepriesenen Jahresthemas des Kulturreferats, der Furtmeyr-Ausstellung, antisemitische Propaganda betrieben wird.
Die (Regensburger) Kunsthistoriker haben sich bislang nicht bei der Bearbeitung von Themen wie Judenfeindschaft in der christlichen Kunst hervorgetan. Der Publikationsliste von Prof. Christoph Wagner nach zu urteilen, interessiert er sich für diesen Themenkomplex eher gar nicht.
Wagner begrüßte Andreas Angerstorfer auf der o.g. Tagung als DEN Fachmann für jüdische Geschichte Regensburgs, einen besseren Referenten hätte man gar nicht finden können. Ob sich der strebsame Prof. Wagner gegen die Ritualmord-Propaganda eines H. Wanderwitz positionieren wird, bleibt abzuwarten. Er hätte einiges zu verlieren, so z.B. den Sponsor seiner drei letzten Fachtagungen, die er um die Furtmeyr-Schau gruppierte. Als Sponsor und z.T. als Mitveranstalter trat Ungers Kulturreferat auf (die weithin bekannte Fachstelle für Franzosenhass, klerikalen Monarchismus und Geschichtsklitterung), dem Wanderwitz nebenbei bemerkt dienstlich untergeordnet ist.
Noch etwas Wasser in den (zu) süßen Wein.
Der Vortrag Angerstorfers wirkte unstrukturiert, eher improvisiert und dürfte zwischendurch nur für Menschen verständlich gewesen sein, die sich mit dem Themenkomplex eh schon beschäftigt haben. Oft verfiel der Referent in die Sprache der Täter, ohne diese als solche zu kennzeichnen. Nicht selten wäre es angebracht gewesen, auf Andeutungen und Selbstinszenierungen eines Experten zu verzichten bzw. notwendig, Grundsätzliches über christliche Judenfeindschaft zu referieren.
Daran mangelt es in Regensburg, nicht nur im Umfeld des Kulturreferat bzw. der Kunstgeschichte.
Wir sind die Guten
| #
Ein verdienstvoller Artikel. Danke.
Die Wahrheit ist schwer erträglich.
Zweife, Ungewißheit, Leugung wattieren und vernebeln wohltuend.
https://www.titanic-magazin.de/shop/images/default_shop/0207HitlerAntisemitPK.jpg
“Wir” jedenfalls sind nicht böse.
Sütterlin
| #
Dass unsere katholischen Kunstgeschichtler und Konservatoren die Fahne bis ins Mittelalter hoch halten müssen dürfte angesichts der Ludwig- und Triumphbogenbegeisterung und des Fluchtverhaltens vor aktueller Kunst eigentlich nicht verwundern… Alibihalber interessiert man sich dann noch für belangloses (wenns subtil Islamfeindlich ist umso besser!) … Über unsere Religions- und Herrschaftssymbole lassen wir aber nix kommen (siehe Nibelungenbrückenadler). Ist es eine besonders dumme Attitude von Provinz-Kulturbeamten in leitender Funktion sich geistig standesgemäß im 1. Wk zu bewegen?
Seitdem hat sich wohl schöngesitig wenig getan? Hier 2 Beispiele von bedeutenden Künstlerinnen, die sich zur Wehr setzten:
-1914 “Wich Dance” von Marie Wiggman
http://www.youtube.com/watch?v=cJaYuejjdk8&feature=related
…und dann schaut mal bei Else Lasker Schülers Theaterstück Artur Aronymus (1933):
http://de.wikipedia.org/wiki/Else_Lasker-Sch%C3%BCler
Unsere Töchter wird man verbrennen auf Scheiterhaufen
Nach mittelalterlichem Vorbild.
Der Hexenglaube ist auferstanden
Aus dem Schutt der Jahrhunderte.
Die Flamme wird unsere unschuldigen jüdischen Schwestern verzehren
Fr.Streng
| #
Wanderwitz spielt falsches Spiel.
Während er Stolz und realitätsfern behauptet, das Stadtarchiv Regensburg lasse „sich die Erforschung der jüdischen Gemeinde seit Jahren, man kann sagen, seit Jahrzehnten angelegen sein“, zieht sich das antisemitische Ressentiment wie ein roter Faden durch seine 26-jähriges Dienstzeit.
Wie man einem weiteren, oben nicht genannten, haGalil-Artikel entnehmen kann, verbreitet Wanderwitz nicht nur die Regensburger Ritualmord-Lüge, sondern u.a. auch Phantasien von der Beherrschung eines mittelalterlichen Sklavenhandels durch die Regensburger Juden.
http://www.hagalil.com/archiv/2011/01/16/regensburg-3/
Das obige Zitat stammt aus der letzten von Wanderwitz herausgegeben Publikation, die den deplatzierten Titel „Juden auf der Durchreise – Die Regenburger Jewish Community 1945-1950 (von Roman P. Smolorz, 2010) trägt. Folgt man der nachstehenden Rezension, weißt das Werk gravierende und unverzeihliche Mängel auf.
Es ging in diesem Zusammenhang auch nicht um ein seriöses Forschungsvorhaben, sondern darum, sich mit „jüdischen“ Themenfeldern zu schmücken.
http://buecher.hagalil.com/2011/02/regensburg/