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Historische Inkompetenz im Welterbe?

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Napoleon hat Stadtamhof angezündet. Das Karavan-Kunstwerk ist ein Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus. Ein Antisemit und NS-Karrierist ist ein ernstzunehmender, ja philosemitischer Historiker. Ein solches (mithin falsches) Geschichtsbild könnte man bekommen, wenn man sich in Regensburg mit Stadtratsvorlagen, Inschriften und Publikationen beschäftigt, für die federführend eine Stelle die Verantwortung trägt: das Kulturreferat der Stadt Regensburg und dessen Chef Klemens Unger (Foto). Dabei offenbart vor allem die seit Jahren andauernde Diskussion um ein 2003 erschienenes Buch mit dem Titel „Regensburger Hochfinanz” eine Nachlässigkeit und Inkompetenz von beeindruckender Qualität. Der Historiker Wilhelm Grau war ein überzeugter Antisemit. Mit 26 Jahren wurde er 1936 Geschäftsführer der „Forschungsabteilung Judenfrage“ im „Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands“. Hauptbeschäftigung: den wissenschaftlichen Beweis dafür erbringen, dass die Juden wegen ihres „jüdischen Geists” Feinde der Deutschen seien. In seinem Buch „Antsemitismus im späten Mittelalter: Das Ende der Regensburger Judengemeinde” lobt Grau das Spätmittelalter dafür, dass man es verstand „besser und reiner seinen Volkskörper zu bewahren”. An anderer Stelle lässt er sich über das „Eindringen des Judentums in den biologischen und geistigen Organismus des deutschen Volkes” aus. Der Regensburger Historiker Wilhelm Volkert bezeichnet das Buch bereits 1981 als „nationalsozialistische Hetzschrift”.

hochfinanzUm so erstaunlicher ist es, dass in einem „zentralen Werk zur Wirtschaftsgeschichte Regensburgs im Spätmittelalter” (Zitat Oberbürgermeister Hans Schaidinger) der Antisemit Wilhelm Grau als redlicher, fast schon philosemitischer Wissenschaftler reingewaschen wird. Antisemitische Stereotype werden in dem Buch zum Teil ohne klare Distanzierung oder Erläuterung einfach übernommen.

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Herausgeber des 2003 erschienen Buchs „Regensburger Hochfinanz” ist die Stadt Regensburg, genauer gesagt: die Museen und das Archiv der Stadt. Erschienen ist es in der Reihe „Regensburger Studien und Quellen”, deren erklärtes Ziel es ist, „dem Leser ein differenziertes Bild des historischen Regensburg und seines Umlandes zu vermitteln”.

Die problematische Haltung des Autors Klaus Fischer zum Antisemiten Grau und sein lässiger Umgang mit der nationalsozialistischen Quelle Graus ist bei der Stadt seit Jahren bekannt. Die Süddeutsche Zeitung beschäftigte sich bereits 2004 mit der „neuen Lässigkeit” der Stadt Regensburg im Umgang mit jüdischer Geschichte.

Es gibt dazu umfangreichen Schriftverkehr – unter anderem mit dem Verlag, dem Regensburger Oberbürgermeister und dem obersten Dienstherrn des Amts für Archiv und Denkmalpflege, Kulturreferent Klemens Unger. Der ist über alles informiert und sich keiner Schuld bewusst. „Ich bin nicht für jede Publikation verantwortlich, die in dieser Reihe erscheint”, erklärt Unger auf Nachfrage. Darüber hinaus habe die Stadt im Anschluss an ein Symposium im Jahr 2006 ein Korrigenda-Beiblatt für das Buch erarbeiten lassen.

Tatsächlich fand ein solche Symposium mit hochkarätiger Besetzung statt. Thema war der jüdische Historiker Raphael Straus, aus dessen Schriften Grau sich ungeniert bedient hatte, um sie im nationalsozialistischen Sinne umzudeuten. Straus musste emigrieren und starb mit nur 60 Jahren im Exil, Grau machte Karriere im NS-Staat.

Im Verlag weiß man von einem Beiblatt zunächst nichts. Laut Unger habe es da „ein Kommunikationsproblem” gegeben – für dessen Klärung offenbar vier Jahre notwendig waren. Nach mehrfachen Nachfragen erhält unsere Redaktion am 10. Februar vom Verlag ein Beiblatt zugesandt, das „seit heute” dem Buch beigelegt werde. Erhalten hat der Verlag es vom Kulturreferat – am selben Tag.

Zum Antisemitismus von Wilhelm Grau findet sich darin kein Wort, auch nicht zu seiner Rolle in der „Forschungsabteilung Judenfrage”, geschweige denn eine Klarstellung von mehreren fragwürdigen Passagen in den Ausführungen des Buchautors Fischer. Das wundert wenig: Er hat dieses Beiblatt selbst verfasst. Im Jahr 2006. Unmittelbar nach dem Symposium. Damals landete dieser „Entwurf” noch im Papierkorb und es passierte lange nichts mehr.

Nach mehreren Protestschreiben eines Regensburgers ließ Klemens Unger ihm schließlich ein anderes Beiblatt mit „notwendigen Ergänzungen” zur „Regensburger Hochfinanz” zuschicken. Im Mai 2007. Dieser Text stammt nicht von Fischer, sondern Monica Kingreen, Expertin vom Fritz Bauer Institut, Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust.

In diesen „notwendigen Ergänzungen” legt Kingreen die Rolle Graus als „spiritus rector der Nazifizierung der jüdischen Geschichte” dar. Sie beschreibt seine Karriere als Leiter des antisemitischen Instituts zur Erforschung der Judenfrage und macht auch deutlich, wie schamlos sich Grau bei Raphael Straus bedient hat. Publiziert wurden diese Ergänzungen bis heute nicht. Weder als Beiblatt, noch in anderer Form.

Bis vor kurzem erschien also „Regensburger Hochfinanz”, das „zentrale Werk zur Wirtschaftsgeschichte” der Weltkulturerbestadt Regensburg ohne korrigierende Erläuterungen. Trotz gegenteiliger, Jahre alter Versprechungen. Seit gestern wird es nun mit einem Beiblatt aus der Feder des Autors vertrieben, das nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich eher Verwirrung stiftet, als das es aufklärt, das sich zur Rolle Graus als maßgebliche Figur der nationalsozialistischen „Judenforschung” ausschweigt und mit dem Kulturreferent Klemens Unger offenbar glaubt, sämtliche „Kommunikationsprobleme” behoben zu haben.

UPDATE

Wie der Verlag am 12. Februar mitgeteilt hat, wurde der Verkauf des Buches mit sofortiger Wirkung gestoppt. Die Restbestände sollen eingestampft werden. Diese Entscheidung hat die Geschäftsführung getroffen.

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Kommentare (5)

  • Rudolf Waldmann

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    Sie immer mit Ihrem Gedenktafeljournalismus!

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  • peter.sturm

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    liest man das buch „regensburger hochfinanz“ hält man ein beredtes beispiel dafür in händen, dass es keinem menschen gut tut ein studium zu schnell zu absolvieren.
    der autor hatte wohl seine promotionsurkunde in der tasche, noch bevor er tief genug in die materie eingedrungen war oder gar eine gewisse kritikfähigkeit entwickeln konnte.
    bei einem blick in das impressum sieht man einige mitfahrer der regensburger schmalspurbahn vertreten. der einzig beteiligte von gewicht wäre der leiter des regensburger stadtarchivs, herr wanderwitz. falls er das buch je gelesen hat(kann ja passiert sein) müßte man dem einzigen fachmann in der runde schon einen schweren vorwurf machen.

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  • R.J. Werner

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    Die unkritische Bezugnahme auf den Nazihistoriker Wilhelm Grau ist in der Regensburger Lokalgeschichtsschreibung weit verbreitet. Der Versuch Fischers jedoch, in Regensburger Hochfinanz (2003) aus dem NS-Karrieristen Grau einen von den Nazis gegängelten Wissenschaftler zu machen, war neu und dreist gleichermaßen.

    Das im Artikel genannte Symposium zur Ehrung von Raphael Straus wurde damals an die Stadtverwaltung heran getragen und der ursprüngliche Anlass dafür war Fischers Werk! Denn mit der Tagung sollte lt. Unger unter anderem die Grundlage für ein Korrigenda-Blatt geschaffen werden.
    Ein wesentlicher Aspekt des Straus-Symposiums vom Januar 2006 war demnach einen Beitrag zu leisten zur Aufarbeitung und Delegitimierung von Graus Werk. Seither sollte geklärt sein: eine affirmative Bezugnahme auf Graus „nationalsozialistische Hetzschrift“ sollte auch in Regensburg inakzeptabel sein.

    Dass Fischer nach dem Symposium ein Korrigenda-Blatt vorlegte, das unverschämter Weise nur für verwirrende Ablenkung sorgen soll und nichts korrigiert, hat der Kulturreferent Unger anscheinend bis heute nicht verstanden. Was nicht weiter verwunderlich ist, denn Herr Unger schlief teilweise während des entscheidenden Vortrags auf dem Symposium.

    Obwohl eine Stadtverwaltung antisemitische Stereotype bekämpfen und nicht verbreiten sollte, wurde das Werk „Regensburger Hochfinanz“ entgegen den üblichen Kriterien (es lag nämlich bereits seit 1990 im Druck vor!) in die Reihe „Regensburger Studien und Quellen zur Kulturgeschichte“ aufgenommen.

    Der Leiter des Stadtarchivs Wanderwitz protegierte Fischers Werk offensichtlich und rührte auch die Werbetrommel dafür: „Besonders die spätmittelalterliche Wirtschaftsgeschichte hat durch die Arbeit von Klaus Fischer, … 2003 eine grundlegende Neubewertung erfahren.“ (S. 44, in: Das mittelalterliche Regensburg im Zentrum Europas, 2006, Edith Feistner (Hrsg.)

    Archivleiter Wanderwitz hat Fischers plumpen Versuch, Grau zu „entnazifizieren“, zumindest billigend in Kauf genommen, wenn nicht gar aktiv unterstützt. Denn als Kenner der Stadtgeschichte Regensburgs und als Schüler von Prof. Volkert wusste Wanderwitz sicherlich, dass jener schon 1981 Graus Arbeit als „nationalsozialistische Hetzschrift“ bewertet hatte.

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  • Reinhold Breuer

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    Schonungslos wurde meine historische Inkompetenz bloßgelegt: Trotz unseres römischen Erbes weiß ich nicht, wer denn als spätrömische
    Entsprechung zu unseren Hartz4-Beziehern in Frage kommt.
    Schon gar nicht ahne ich, was unser Vizekanzler über deren Dekadenz als bekannt voraussetzt. HILFE!

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  • Roswita Hallhuber

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    @Reinhold Breuer

    Ich glaube, Sie sind hier im falschen Forum, alter Römer!

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Kommentare sind deaktiviert

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