24 Apr.2009
Hitlergruß beim Gedenkweg
Seit Jahren ist es dasselbe Spiel: In Regensburg wird den Opfern des Nationalsozialismus an zwei Tagen gedacht. Am 23. April findet der Gedenkweg für die Opfer des Faschismus statt, der vom ehemaligen KZ-Außenlager Colosseum in Stadtamhof, über den Neupfarrplatz, die jüdische Synagoge und den Minoritenweg zum Dachauplatz führt. Tags darauf wird ein zweites Mal gedacht: ausschließlich am Dachauplatz, dann auch unter Beteiligung der städtischen Offiziellen. Zurückzuführen ist diese Spaltung unter anderem auf Berührungsängste der CSU mit linken Gruppierungen. Von Peter Welnhofer, lange Jahre Regensburger CSU-Chef, ist der Satz überliefert, dass er sich mit „diesen Kommunisten“ nicht gemeinsam auf den Dachauplatz stellen wolle.
Für Dr. Hans Simon-Pelanda (im Bild), Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft ehemaliges KZ Flossenbürg, ist das ganze „ein unwürdiges Schauspiel“. Seit über zehn Jahren reist er regelmäßig am 23. April an, um am Gedenkweg teilzunehmen. Die Hoffnung auf eine gemeinsame Veranstaltung musste er bislang begraben. „In Regensburg gibt es offenbar Opfer erster und zweiter Klasse“, so Pelanda vor dem Gedenkstein für die Opfer des Colosseum. 65 Menschen starben in dem KZ-Außenlager. Die meisten von ihnen in den letzten beiden Kriegsmonaten, während sie als Bombenräumer am Regensburger Hauptbahnhof eingesetzt wurden. In der Nacht vom 22. auf den 23. April wurden die rund 400 Gefangenen zum Todesmarsch gezwungen. Weniger als 50 von ihnen wurden schließlich am 1. Mai bei Laufen von den Alliierten befreit. Ein würdiges Andenken an die Opfer fehlt in Regensburg bis heute. Der Besitzer des Colosseum wehrt sich gegen eine Gedenktafel am Gebäude. Die Gedenktafel steht ohne Bezug zum Colosseum versteckt zwischen Bäumen, Fahrrädern und Hundedreck. An einer Versetzung arbeitet die Stadt seit Jahren – ohne Ergebnis.
Hitlergruß am Neupfarrplatz
Nächste Station ist das Karavan-Denkmal am Neupfarrplatz. Schüler der BOS erinnern an vier Regensburger, die in den Jahren 1942 und 43 von den Nazis ermordet wurden, weil sie es gewagt hatten, sich hier – auf dem Neupfarrplatz – offen gegen das NS-Regime auszusprechen – teils aus religiösen, teils aus politischen Motiven. „Mehrere Jahre wurden sie überwacht und fotografiert, schließlich wurden sie festgenommen und umgebracht.“ Für die vier Männer – Josef Haas, Johann Kellner, Johann Schindler und Max Massinger – werden in dieses Jahr im Juni vier Stolpersteine verlegt. „Wir müssen uns daran erinnern, dass es auch in unserer Stadt Widerstand gegeben hat“, sagt eine Schülerin. „Man muss etwas machen, um selbst keine Schuld zu haben“, so der Aufruf. Während die Schüler von dem Schicksal der vier Männer berichten, hebt ein etwa 40jähriger Mann im Vorbeigehen die Hand zum Hitlergruß. Erst als die etwa 100 Teilnehmer den Gedenkweg fortsetzen und der Mann erneut den Hitlergruß zeigt, wird er festgenommen.
An der Synagoge begrüßt Rabbiner Josef Chaim Bloch die Demonstration. „Ihr setzt ein Zeichen für das Zusammenleben von Menschen“, begrüßt er die Teilnehmer. Ein Zeichen setzt auch jedes Jahr die jüdische Gemeinde. Sie nimmt an beiden Gedenkveranstaltungen teil und dringt immer wieder auf eine gemeinsame Veranstaltung.
Im Minoritenweg erinnern die Teilnehmer an Wolfgang Waller. Als Zeuge Jehovas weigerte er sich, Adolf Hitler als Führer anzuerkennen, verweigerte den Hitlergruß. Er starb 1940 im KZ Mauthausen. Als konsequente Kriegsdienstverweigerer wurden die Zeugen Jehovas von den Nazis massiv verfolgt. Einer von ihnen ist August Dickmann. Er gilt als erster Kriegsdienstverweigerer und wurde 1939 im KZ Sachsenhausen hingerichtet.
Bei der Abschlusskundgebung am Dachauplatz erinnert Luise Gutmann (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) an die hunderten von Frauen, die hier am 23. April 1945 die kampflose Übergabe der Stadt gefordert hatten. Der damalige Gauleiter Ludwig Ruckdeschel hatte tags zuvor gefordert, die „Festung Regensburg“ bis zum letzten Stein zu verteidigen. Am Abend des 23. April versammelten sich die Frauen auf dem Dachauplatz (damals: Moltke-Platz) und forderten: „Gebt die Stadt frei!“ Unter ihnen: Domprediger Dr. Johann Maier, der „die Regensburger aller Glaubensbekenntnisse“ dazu aufrief, Ruhe zu bewahren und um die Freigabe der Stadt zu bitten. Die SS zerrte den Domprediger aus der Menge. Wenige Stunden später waren Maier, der 70jährige Josef Zirkl und der Polizist Michael Lottner, die sich beide für ihn eingesetzt hatten, tot. Gauleiter Ruckdeschel, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits aus Regensburg abgesetzt hatte, bestand auf der sofortigen Vollstreckung der Todesurteile. Nach dem Krieg saß Ruckdeschel vier Jahre im Gefängnis und war wenig später Direktor der VW-Niederlassung in Hannover.
Die bayerische Deutungshoheit
„60 Jahre nach dem Widerstand der Regensburger Frauen und den Morden an Maier, Zirkl und Lottner stellt sich für uns Nachgeborene immer wieder die Frage nach Widerstand und Zivilcourage“, so Luise Gutmann. Sie verweist auf die aktuelle Auseinandersetzung zwischen der Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München (aida) und dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Seit 1990 werden bei aida rechte Umtriebe dokumentiert und publiziert. Bildungseinrichtungen, Parteien und Bündnisse gegen Rechts greifen auf die Informationen von aida zurück. Mehrfach wurde aida ausgezeichnet, unter anderem von der Stadt München und dem bundesweiten Bündnis für Demokratie und Toleranz. Innenminister Herrmann (CSU) ließ aida ungeachtet dessen in den Verfassungsschutzbericht 2008 aufnehmen – in einer eigens geschaffenen Kategorie „sonstige Linksextremisten“, ohne dafür irgendwelche konkreten Belege zu liefern. Gutmann spricht von einer Diffamierungskampagne, mit der sich die bayerische Staatsregierung die Deutungshoheit beim Thema Rechtsextremismus sichern wolle.
Rund 100 Menschen nahmen am Gedenkweg für die Opfer des Faschismus teil. Aus dem Stadtrat kamen Jürgen Huber, Jürgen Mistol und Günther Riepl.
Am Freitagabend fand die zweite Regensburger Gedenkveranstaltung statt. Nach einem Gottesdienst wurde am Dachauplatz gedacht.
Roland Hornung
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Mein Dank gehört allen Veranstaltern und Teilnehmern des Gedenkweges. Besonderen Dank aber möchte ich den Schülern/innen der BOS aussprechen, die sich sehr gegen Rassismus und gegen Antisemitismus engagieren. Danke dieser ” Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage “.