„Man kann etwas erreichen“ – Von verbotenen
Streubomben und eierlegenden Wollmilchsäuen
94 Staaten sind es, die bis Donnerstag in Oslo das internationale Abkommen zum Verbot von Streumunition unterzeichnet haben. Ein entscheidender Schritt zum Verbot einer Waffenart, der fast ausschließlich Zivilisten – ein Drittel davon Kinder – zum Opfer fallen. Zu verdanken ist das in erster Linie dem jahrelangen Engagement zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich 2003 zur „Cluster Munition Coalition“ zusammengeschlossen und Druck gemacht haben. Federführend war dabei unter anderem Handicap International. Sprecherin Dr. Eva Maria Fischer hat die Kampagne von Beginn an begleitet und war in Oslo als Beobachterin vor Ort. Das Gespräch haben wir am Donnerstag Nachmittag geführt.
Frau Fischer, die Unterzeichnung läuft noch. Wie ist die Stimmung in Oslo?
„Fast schon ausgelassen. Zunächst hatten wir den Eindruck, dass nicht so viele Staaten den Vertrag unterzeichnen werden. Nun kommen in regelmäßigen Abständen Anrufe von Regierungen, die ihren Diplomaten das OK zur Unterschrift geben. Am Ende werden es wohl etwas weniger Staaten sein, als beim Verbot von Landminen (das sind derzeit 156, Anm. d. Red.). Dass aber über 50 Minister persönlich vor Ort sind und dass unter anderem Deutschland und Frankreich zu den symbolischen Erstunterzeichnern zählen, zeigt, welchen Stellenwert dieses Abkommen hat.“
Sie waren von Beginn an bei der Kampagne gegen Streumunition dabei. Wie war der Weg bis zum Abkommen in Oslo?
„Ohne ein breite Bündnis kleinster und großer Organisationen wäre ein Verbot niemals durchsetzbar gewesen. Unter anderem Handicap International und Human Rights Watch haben schon bei der Kampagne zum Verbot von Landminen einige Erfahrung gesammelt. Die konnten sie jetzt mit einbringen. Seit 2003 waren Vertreter von uns bei sämtlichen Anhörungen dabei. Opfer von Streubomben waren immer dort dabei, wo schwarz gekleidete Diplomaten sonst eher theoretisch diskutieren. Das brachten die Diskussion immer wieder zum Kern der Sache. Tragischer Weise war es der unverhältnismäßigen Streubomben-Einsatz im Libanon 2006, der den Durchbruch brachte. 2,8 Millionen Streubomben wurden dort schätzungsweise abgeworfen. Täglich kamen drei Menschen durch Blindgänger ums Leben. Damals wurde aber auch eine breite Öffentlichkeit auf das Thema aufmerksam. Norwegen hat sich seinerzeit an die Spitze der Verbotsinitiative gesetzt, es gab den ersten weltweiten Bericht, der belegt, dass 98 Prozent von Streubombenopfern Zivilisten sind und im Februar 2007 hat Belgien als erstes Land weltweit Streumunition verboten. Von da an ging alles sehr schnell. Und heute steht dieser Oslo-Prozess vor dem Abschluss.“
In einem Bericht des ZDF heute journals vom Mittwoch wird angeführt, dass nun statt konventioneller Streumunition eben die Nachfolgegeneration – sogenannte „intelligente Streumunition“ bzw. „Punktzielmunition“ – zum Einsatz kommt. „Erlaubt bleibt mit der neuen Variante der Streubombe Kriege zu führen. Nicht wirklich ein Fortschritt“, lautet das Fazit beim ZDF.
„Das ist so nicht richtig. Die Bundeswehr muss 95 Prozent ihres Bestands an Streumunition vernichten. Alle bisher eingesetzten Streumunitions-Typen sind künftig verboten und müssen dementsprechend geräumt werden. Das sind gewaltige Fortschritte. Dass bestimmte Munitionstypen vom Verbot ausgenommen wurden, haben wir immer kritisiert. Bomben, etwa vom Typ SMArt, wurden bislang noch nie eingesetzt. Glaubt man den Herstellern, wäre das die eierlegende Wollmilchsau: Eine Bombe, die alles erkennt, alles kann, keine Blindgänger verursacht und keine Zivilisten gefährdet. Da bin ich sehr skeptisch. Bislang gibt es keine unabhängigen Tests. Die Hersteller haben viele unserer Fragen nicht beantwortet. Schon bei der herkömmlichen Streumunition gab es immer wieder viele Versprechungen der Hersteller – nichts hat funktioniert. Aber: Trotz alledem darf man das, was jetzt erreicht wurde, nicht klein reden. Das Abkommen in Oslo zeigt, das sich zivilgesellschaftliches Engagement lohnt. Auch wenn man sich oft hilflos fühlt – man kann etwas erreichen.“
Danke.
Handicap International
Handicap International wurde 1982 von zwei französischen Ärzten gegründet, die in Kambodscha Kriegsopfer behandelten und ihnen mit Prothesen und durch Rehabilitation eine langfristige Perspektive ermöglichten. Daher auch der Slogan „Aufrecht leben“. Schwerpunkte sind unter anderem Orthopädiewerkstätten, Hilfe zur Selbsthilfe für Kriegsopfer, Aufklärung der Bevölkerung in minenverseuchten Gebieten und Aufbau von Räumungs-Teams. Handicap International hat 1992 gemeinsam mit fünf anderen Organisationen die Internationale Kampagne für ein Verbot von Landminen gegründet, die 1997 den Friedensnobelpreis erhielt. Derzeit ist Handicap International in 60 Ländern aktiv. Die deutsche Sektion arbeitet seit 1998 mit einem Büro in München und Ehrenamtlichen an anderen Orten. Mehr unter: http://www.handicap-international.de/
Das Oslo-Abkommen
Bis Donnerstag haben 94 Staaten das Abkommen zum Verbot von Streumunition unterzeichnet. Es werden bald über 100 sein. Für einige Staaten lag es nur an Formalitäten, dass sie noch keine Unterschrift in Oslo leisten konnten. Alle Arten von Streumunition, die bislang im Einsatz waren, sind damit in den Unterzeichnerstaaten verboten, sobald das Abkommen von 30 Ländern ratifiziert wurde.Der Vertragstext enthält auch Regelungen, die eine entsprechende Unterstützung von Opfern und deren Angehörigen vorsehen. Außerdem enthält der Vertrag die Verpflichtung, das Räumen von Blindgängern zu unterstützen. Der Bundestag hat bereits gefordert, dass Abkommen Anfang 2009 zu ratifizieren.
Die Schwachpunkte
Die größten Militärmächte, USA, Russland und China, haben sich dem Abkommen nicht angeschlossen. Den Vertragsstaaten sind gemeinsamen militärischen Operationen mit Nicht-Vertragsstaaten erlaubt, damit auch eine Unterstützung von Streumunitionseinsätzen. Auch die Lagerung von Streumunition anderer Staaten, die das Verbot nicht unterzeichnen, auf dem Gebiet von Unterzeichnerstaaten wird durch diesen Artikel ermöglicht. Ebenfalls kritisch gesehen wird die Ausnahmeregelung für bestimmte moderne Waffen, die mehrere Voraussetzungen erfüllen müssen, um sich in der Wirkung von herkömmlicher Streumunition zu unterscheiden. In diese Kategorie gehört die SMART 155 Munition, die auch die Bundeswehr im Bestand hat und die in Deutschland produziert wird. Bevorzugter Fachbegriff: „Punktzielmunition“. Hersteller sind die beiden Konzerne Diehl und Rheinmetall.