23 Jun2008
„Das Salz der Demokratie“
„Die Gesetzesvorlage wird (…) mit Sicherheit weder zurückgezogen noch wesentlich verändert.“ Diese von Peter Welnhofer zum Ausdruck gebrachte Einstellung der Bayerischen Staatsregierung mit Blick auf die Kritik an der geplanten Verschärfung des Versammlungsgesetzes in Bayern braucht eigentlich nicht zu wundern. Ob es nun 2.000 (laut Polizeiangaben) oder „über 5.000“ Teilnehmer (laut Gewerkschaftsangaben) waren, die dem Aufruf zur bayernweiten Demonstration am Samstag nach München gefolgt waren – beides ist zu wenig, um die CSU zum Umdenken zu bewegen. Da machten sich auch die etwa 70 Regensburger keine Illusionen, die mit Bus und Bahn angereist sind, um wenigstens ihre Meinung über diesen Gesetzesentwurf kund zu tun.
Unter dem Vorwand, rechtsextreme Aufmärsche leichter verbieten zu können, hat die Union den Gesetzesentwurf auf die Agenda gebracht, der zwischen dem 15. und 17. Juli verabschiedet werden soll. Bei der Auftakt-Kundgebung in der Schwanthaler Straße nennt der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer „eine Herabwürdigung unserer Erfahrungen“. „Mit der Einschränkung der Versammlungsfreiheit tut man Nazis einen Gefallen“, sagt er mit leicht zittriger Stimme und unter großem Applaus der Anwesenden. Der jüdische Buchautor, Jahrgang 1920, war in den Konzentrationslagern Theresienstadt, Auschwitz und Dachau inhaftiert. Mannheimers Frau, seine Eltern und drei Geschwister haben den Holocaust nicht überlebt. Von der bereits bestehenden Möglichkeit, etwa das Konzentrationslager Dachau als Ort zu benennen, an dem Neonazi-Aufmärsche grundsätzlich verboten sind, hat die bayerische Staatsregierung bislang keinen Gebrauch gemacht.
„Wo zweie stehn und flüstern
da sieht die Polizei
den Himmel sich umdüstern
und riecht Rebellerei
fängt an zu arretieren
denn´s könnt zu Aufruhr führen.“
Dieses Gedicht zitiert der ehemalige bayerische Verfassungsrichter Klaus Hahnzog. Es stammt aus dem Jahr 1874. Wird der Gesetzesentwurf der CSU wie geplant verabschiedet, gewinnt dieses Gedicht wieder an Aktualität. Dann können zwei Personen, die sich laut unterhalten bereits als – nicht angemeldete – Versammlung gewertet werden. Dann drohen Geldbußen.
Die Anmeldung selbst werde bürokratisiert, so Hahnzog. Aufwand für Organisatoren und Verwaltung. „Und wer sich die Häufung möglicher Strafen ansieht, fühlt sich bereits bei der Anmeldung einer Versammlung wie auf der Anklagebank.“ In seinem Brokdorf-Beschluss von 1985 hat das Bundesverfassungsgericht die Versammlungsfreiheit als „ursprünglich-ungebändigte unmittelbare Demokratie“ bezeichnet.
Diese ungebändigte Demokratie macht sich jetzt auf den Weg zur CSU-Partei-Zentrale, zur „geistigen Brutstätte für die Einschränkung der Versammlungsfreiheit“. An der Spitze der Demo: Franz Mageth, SPD-Chef im Bayerischen Landtag, gefolgt von Transparenten, die über Die Linke, den Bund Naturschutz, den Bayerischen Jugendring, die MLPD und FDP, den Bauernverband oder den Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD und die Falken reichen. Die zum Teil recht einheitlich gestalteten Schilder könnten künftig unter das „Militanzverbot“ fallen. Ob und wann Fahnen, Anstecker oder einheitliche Schilder dagegen verstoßen, bleibt der Einschätzung der Polizei überlassen. Mögliche Geldbuße: 3.000 Euro. „Unsicherheit für Polizei und Demonstranten“ bedeute das, so Hahnzog.
An der Kreuzung Dachauer und Nymphenburger Straße wird laut gehupt, als der Demozug vorbei kommt. Freie Fahrt statt Versammlungsfreiheit. Zum Verbot einer Versammlung soll es künftig ausreichen, wenn „Rechte Dritter unzumutbar beeinträchtigt werden“. Ist ein kurzer Stau zumutbar?
Über die mangelnde Resonanz bei der Kundgebung regen sich so einige Gewerkschaftler auf. Schlechte Mobilisierung, mangelhafte Information, ein bayerischer DGB, „der nur seinen Namen für die Demo hergibt und sonst nix macht“, eine IG Metall, die sich politisch „sowieso aus allem raus hält“ hört man häufig.
An der CSU-Zentrale angekommen, muss man die Augen ein wenig anstrengen, um den altbekannten Slogan „Näher am Menschen“ lesen zu können. Dreifache Absperrgitter halten die Demonstranten von der Zentrale der bayerischen Volkspartei fern. Ein paar Bereitschaftspolizisten lehnen fast gelangweilt an den Absperrungen und auch die Zivilpolizisten mit Kameras wirken etwas unterbeschäftigt. Noch ist es ihnen untersagt, willkürlich Aufnahmen zu machen. Kommt das neue Gesetz, dürfen immer und jederzeit „Übersichtsaufnahmen“ gemacht werden, die für „Schulungszwecke“ auf unbegrenzte Zeit gespeichert bleiben können. Auch das zum Schutz vor Neonazi-Aufmärschen. Das Bürgerforum Gräfenberg, wegen seines Widerstands gegen Naziaufmärsche immer wieder in den Medien, war eine der ersten Gruppierungen, die gegen den Gesetzesentwurf mobil gemacht hat.
„Das einzige, was gegen Naziaufmärsche wirkt, sind Demokraten, die unsere Straßen verteidigen und sich den Rechten in den Weg stellen“, ruft die Grünen-Abgeordnete Margarete Bause vom Podium. Als Antwort von unten kommt: „CSU-Verbot jetzt!“ Neben der Bühne liegen stapelweise Schilder. Es waren zu viele für die wenigen Demonstranten.
Und als der bayerische DGB-Chef Fritz Schösser, seine Rede dazu nutzt, um für das DGB-Volksbegehren für flächendeckenden Mindestlohn zu werben und sich zu der Aussage versteigt: „Mindestlohn und Versammlungsfreiheit sind untrennbar miteinander verbunden“, verlassen einige Demonstranten demonstrativ die Kundgebung. Da wurde ein bisschen zu viel verwässert. „Versammlungen sind das Salz der Demokratie“, hat Franz Mageth vorher noch von der Bühne gerufen. Die Versammlung am Samstag hat der CSU ihren Gesetzentwurf vermutlich nicht versalzen …